Kognitive Neurowissenschaften
ISBN
978-3-642-25526-7

Inhalt

 

 

I Elemente der visuellen Wahrnehmung

 

II Erkennen von Objekten, Gesichtern und Geräuschen

 

III Wahrnehmung des eigenen Körpers

 

IV Wahrnehmung und Orientierung im Raum

 

V Aufmerksamkeit

 

VI Sensomotorik und Handeln

 

VII Sprechen und Sprache

 

VIII Zahlenverarbeitung

 

IX Musikwahrnehmung

 

X Gedächtnis

 

XI Frontalhirnfunktionen

 

XII Beiträge des Kleinhirns zu kognitiven Leistungen?

 

XIII Affektivität

 

XIV Bewusstsein

 

XV Lateralität

 

XVI Funktionsanpassung und Plastizität

 

XVII Altern und Demenz

 

Kapitel 1: Zur Entwicklung der kognitiven Neurowissenschaften

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Kapitel 2: Methoden der kognitiven Neurowissenschaften

Inhalt
  • 2.1 Funktionelle Bildgebung
    1. 2.1.1 Positronenemissionstomografie (PET)
    2. 2.1.2 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
  • 2.2 Strukturelle Bildgebung
    1. 2.2.1 Läsionsanalyse
    2. 2.2.2 Voxelbasierte Analysen von Läsionslokalisationen
    3. 2.2.3 Voxelbasierte Morphometrie
    4. 2.2.4 Diffusionstensormorphometrie
  • 2.3 Elektrophysiologische Verfahren
    1. 2.3.1 Elektroenzephalografie (EEG)
    2. 2.3.2 Magnetenzephalografie (MEG)
    3. 2.3.3 Techniken der EEG- und MEG-Datenanalyse
  • 2.4 Stimulationsverfahren
    1. 2.4.1 Transkranielle Magnetstimulation (TMS)
    2. 2.4.2 Stimulation und Ableitung mit Elektroden im Rahmen neurochirurgischer Eingriffe
  • 2.5 Tierexperimentelle Ansätze
    1. 2.5.1 Ableitung von Aktionspotenzialen
    2. 2.5.2 Mikrostimulation und experimentelle Läsionen
    3. 2.5.3 Multiphotonenmikroskopie
    4. 2.5.4 Optogenetik

 

Kurzzusammenfassung

Das Spektrum der in den kognitiven Neurowissenschaften eingesetzten Verfahren hat sich in den letzten Jahren enorm erweitert. Es reicht von Methoden der funktionellen Bildgebung, der Läsionsanalyse und morphometrischen Verfahren, über elektrophysiologische Techniken wie der Magnetenzephalografie bis hin zur Mikrostimulation und Ableitung von Aktionspotenzialen im Tierexperiment. Diese unterschiedlichen Techniken werden mit dem Ziel eingesetzt, die Strukturen und Aktivitäten des Gehirns zu messen und dadurch seine verschiedenen Funktionen zu verstehen. Dies geschieht in dem Bemühen, zu neuen theoretischen Konzepten des menschlichen Verhaltens und Denkens zu gelangen. Wie in jeder Wissenschaft, so unterliegen auch die in den kognitiven Neurowissenschaften eingesetzten Methoden gewissen Moden. Diese führen manchmal sogar zur »Betriebsblindheit«, bei der die mit einer bestimmten Untersuchungsmethode arbeitenden Wissenschaftler ihr Hauptaugenmerk lediglich auf Studien und Ergebnisse legen, die mit derselben Methode erhoben wurden (Fellows et al. 2005). Tatsächlich aber hat jede der verschiedenen Techniken ihre ganz spezifischen Stärken und Schwächen, die sich gegenseitig ergänzen und nicht ersetzen. Erst das Gesamtkonzert der Beiträge aus verschiedenen methodischen Richtungen erlaubt es, langsam ein verlässliches Bild der unterschiedlichen Hirnfunktionen des Menschen zu entwerfen. Dieses Kapitel soll eine Einführung geben.

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I Elemente der visuellen Wahrnehmung

 

Kapitel 3: Neuronale Grundlagen visueller Wahrnehmung

Inhalt
  • 3.1 Nucleus (oder Corpus) geniculatum laterale
  • 3.2 Pulvinar
  • 3.3 Superiorer Colliculus
  • 3.4 Basalganglien
  • 3.5 Kortex

 

Kurzzusammenfassung

Das Gesichtsfeld eines gesunden Menschen erstreckt sich über einen sehr großen Bereich: etwa 180° in horizontaler Richtung und etwa 100° in vertikaler Richtung. Über diesen Bereich können optische Reize entdeckt werden und mithilfe der sehr hohen Auflösung im zentralen Gesichtsfeld (Fovea) detailliert analysiert werden. Augenbewegungen verändern das retinale Bild und bringen ausgewählte Details der visuellen Umgebung in die Fovea. Die Verarbeitung von visueller Information beginnt bereits in der Netzhaut (Retina), die sich während der Ontogenese als eine Ausstülpung des späteren Zwischenhirns entwickelt, und setzt sich über eine Reihe subkortikaler Strukturen bis in die höchsten visuellen Areale des Kortex fort. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Anatomie und Physiologie der Komponenten des visuellen Systems.

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Kapitel 4: Farbwahrnehmung und ihre Störungen

Inhalt
  • 4.1 Retinale Verarbeitung
    1. 4.1.1 Licht und Farbe
    2. 4.1.2 Verarbeitung in den Photorezeptoren
    3. 4.1.3 Netzhaut
    4. 4.1.4 Gegenfarben
  • 4.2 Kortikale Farbmechanismen
    1. 4.2.1 Farbzentrum im Gehirn?
    2. 4.2.2 Farbkonstanz
    3. 4.2.3 Kognition, Emotion und Farbe
  • 4.3 Störungen der Farbwahrnehmung

 

Kurzzusammenfassung

Farbe ist definiert als diejenige Empfindung, die es uns ermöglicht, zwischen zwei strukturlosen Flächen gleicher Helligkeit zu unterscheiden (DIN 5033). Es lohnt sich, auf zwei Feststellungen dieser Definition gleich zu Anfang näher einzugehen. Zunächst ist wichtig, dass Farbe eine Empfindungsgröße ist. Es ist nicht das Licht, das farbig ist (»The rays are not coloured« – Isaac Newton). Erst durch die Verarbeitung der Nervenimpulse, die das ins Auge gelangende Licht in der Netzhaut hervorruft, kommt es in den nachgeschalteten Hirnstrukturen zu der Empfindung, die wir »Farbe« nennen. Die zweite wichtige Feststellung der obigen Definition betrifft die Funktion des menschlichen Farbensehens. Obwohl die Frage nach der evolutionären Funktion des Farbensehens noch heftig umstritten ist (Mollon u. Jordan 1988), lässt sich doch mit Sicherheit sagen, dass diese nicht in der Unterscheidung von Flächen gleicher Helligkeit lag. Solche rein spektralen Unterschiede zwischen Oberflächen gibt es in unserer natürlichen Umwelt äußerst selten.
Einen Hinweis auf die Bedeutung der Farbinformation bei der Wahrnehmung natürlicher Szenen gibt . Abb. 4.1. (S. 46) Fast alle Objekte unserer Umwelt weisen unter natürlichen Beobachtungsbedingungen eine unregelmäßige Helligkeitsverteilung (Textur) auf. Es ist oftmals sehr schwer, Texturen natürlicher Objekte voneinander abzugrenzen, z. B. wenn wie bei Abb. 4.1 (S. 46)eine Blüte von Blättern unterschieden werden soll. Die Farbinformation ermöglicht uns, diese Unterscheidungen schnell und effizient zu treffen (Gegenfurtner u. Rieger 2000). Farbe wird daher besser definiert als diejenige Empfindung, die es uns erlaubt, Objekte mühelos voneinander zu unterscheiden, die aufgrund ihrer Textur nur schwer voneinander zu trennen sind.
Im Folgenden wird zuerst auf die physikalischen Eigenschaften der Reize eingegangen, die im menschlichen visuellen System Farbempfindungen auslösen. Anschließend werden die wichtigsten Schritte der Verarbeitung in der Netzhaut durch die 3 Typen von Photorezeptoren und den sich anschließenden Gegenfarbkanälen besprochen. Schließlich wird auf die Verarbeitung der Farbinformation im visuellen Kortex eingegangen. Während die ersten Stufen der Farbverarbeitung in der Netzhaut und den retinalen Ganglienzellen wohl besser als jeder andere Aspekt der visuellen Wahrnehmung erforscht sind, ist über höhere Verarbeitungsmechanismen, die semantische oder emotionale Aspekte der Farbe betreffen, bisher nur wenig bekannt.

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Kapitel 5: Bewegungssehen, Stereopsis und ihre Störungen

Inhalt
  • 5.1 Systeme des Bewegungssehens
    1. 5.1.1 Kortikales System
    2. 5.1.2 Subkortikales System
  • 5.2 Bewegungsdetektion: Modellvorstellungen
  • 5.3 Funktionen des Bewegungssehens
    1. 5.3.1 Wahrnehmung von Objektbewegung in der Außenwelt
    2. 5.3.2 Wahrnehmung von Eigenbewegung
    3. 5.3.3 Monokuläre Tiefeninformation
    4. 5.3.4 Bildsegmentierung
    5. 5.3.5 Bildverschiebung als Stimulus für langsame Augenfolgebewegungen
  • 5.4 Stereopsis

 

Kurzzusammenfassung

Es war lange Zeit umstritten, ob das Sehen von Bewegung eine von anderen visuellen Systemen unabhängige Sehleistung darstellt oder eine auf der Analyse anderer sensorischer Größen wie Raum und Zeit basierende, also aus primitiveren sensorischen Prozessen abgeleitete Dimension ist. Wir wollen mit zwei klassischen Beobachtungen beginnen, die eindrucksvoll belegen, dass das Sehen von Bewegung ähnlich wie z. B. das Farbensehen tatsächlich als eigenständige visuelle Dimension zu verstehen ist. Die vermutlich älteste Evidenz hierfür ist der Bewegungsnacheffekt: Wenn wir lange Zeit bewegte Objekte betrachten, erscheinen uns nachfolgend beobachtete, physikalisch stationäre Dinge als entgegengesetzt zur vorher gesehenen Bewegungsrichtung bewegt. Dieses Phänomen wird oft anhand der 1934 von Adams beschriebenen »Wasserfallillusion« illustriert. Nachdem Adams einige Sekunden lang den Wasserfall von Foyers (Schottland) betrachtet hatte, überraschte ihn die Wahrnehmung nach oben bewegter Felsen, als er seinen Blick vom Fall abwandte. Der Beobachter erfährt eine irritierende perzeptuelle Dissoziation zwischen wahrgenommener Position und Bewegung – ein Beleg dafür, dass unsere Wahrnehmung von Bewegung keinesfalls eine einfache Repräsentation physikalischer Bewegung ist und nicht notwendigerweise aus einer Analyse der Positionsveränderung im Zeitverlauf abgeleitet wird. Als weiteres Beispiel für eine Bewegungswahrnehmung bei fehlender retinaler Bildverschiebung sei das Phänomen der apparenten Bewegung genannt. Apparente Bewegung ist uns allen schon, z. B. bei Leuchtreklamen, begegnet: In Reihe angeordnete Lichter, die sequenziell aufleuchten, nehmen wir als ein bewegtes Objekt wahr. Auch im Kino erzeugt die rasche Abfolge der Bildsequenzen einen absolut lebendigen Bewegungseindruck, obwohl jedes der einzelnen Bilder ein stationäres Lichtmuster auf unsere Netzhaut wirft.

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Kapitel 6: Neuronale Grundlagen der Merkmalsintegration

Inhalt
  • 6.1 Problem der perzeptiven Integration
  • 6.2 Erklärungsmodell für die Gestaltbildung
  • 6.3 Zeitliche Bindung im Sehsystem
  • 6.4 Intermodale und sensomotorische Integration
  • 6.5 Top-down-Mechanismen und zeitliche Dynamik

 

Kurzzusammenfassung

Eine Leistung, die unser Gehirn ständig erbringen muss, ist die Integration von Sinnesdaten zu kohärenten Wahrnehmungseindrücken. Eine solche Integrationsfähigkeit ist Voraussetzung dafür, dass wir Objekte und Ereignisse in unserer Umwelt voneinander unterscheiden und klassifizieren können. Hierzu müssen die von den Sinnesorganen aufgenommenen Signale einem Strukturierungsprozess unterworfen werden, in dem elementare Sinnesdaten in gestalthafte Kontexte eingebettet und mit Bedeutung versehen werden. Ohne diese von den Sinnessystemen geleistete Integration bliebe unsere Wahrnehmungswelt eine Anhäufung bedeutungsloser Farbflecken, Geräusche und Gerüche. Obwohl die Bedeutung solcher Integrationsprozesse in der Wahrnehmungspsychologie schon sehr lange bekannt ist, wissen wir bis heute nur relativ wenig über deren physiologische Grundlagen. Erst in jüngerer Zeit konzentriert sich die Hirnforschung verstärkt auf die Frage, durch welche Mechanismen integrative Prozesse wie Gestaltbildung und Figur-Grund-Trennung auf der biologischen Ebene realisiert werden.

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Kapitel 7: Perzeptuelles Lernen

Inhalt
  • 7.1 Übung verbessert die visuelle Wahrnehmung
  • 7.2 Abgrenzung verwandter Begriffe
  • 7.3 Veränderungen früher sensorischer Kortizes während des perzeptuellen Lernens
  • 7.4 Neuronale Grundlagen perzeptuellen Lernens
  • 7.5 Unterschiedliche Kortexebenen für perzeptuelles Lernen (Modellvorstellungen)

 

Kurzzusammenfassung

Unsere Leistungen bei einer Vielfalt von Aufgaben verbessern sich durch Übung und Lernen. Dieses Kapitel behandelt Verbesserungen von Wahrnehmungsleistungen durch Lernen. Die erreichten Verbesserungen beruhen in der Regel nicht auf einer verbalisierbaren Einsicht, sondern vollziehen sich im Verlaufe des Trainings unter dem wesentlichen Einfluss von Rückmeldesignalen und gerichteter Aufmerksamkeit quasi automatisch. Perzeptuelles Lernen betrifft eine Vielzahl kortikaler Ebenen, von rein »kognitiven« bis hinunter zu primär sensorischen. Die Erkenntnis, dass auch frühe sensorische Ebenen des Kortex bei Erwachsenen noch veränderbar sind, ist relativ neuen Datums und diese starke Beteiligung sehr früher kortikaler Ebenen führt zu einer Sonderstellung des perzeptuellen Lernens innerhalb des Gebietes der Lernforschung.

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Kapitel 8: Visuelle Täuschungen

Inhalt
  • 8.1 Grenzen der Wahrnehmung
  • 8.2 Ein vorläufiges Ordnungsprinzip der Wahrnehmungstäuschungen
    1. 8.2.1 Täuschungen der wahrgenommenen Helligkeit
    2. 8.2.2 Täuschungen der wahrgenommenen Farbe
    3. 8.2.3 Täuschungen der wahrgenommenen Bewegung
    4. 8.2.4 Täuschungen der wahrgenommenen Größe
    5. 8.2.5 Täuschungen der wahrgenommenen Orientierung und der zweidimensionalen Struktur: geometrische Täuschungen
    6. 8.2.6 Täuschungen des Abstandes und der dreidimensionalen Struktur
    7. 8.2.7 Täuschungen der wahrgenommenen Textur und Ortsfrequenz
    8. 8.2.8 Täuschungen der Eigenbewegungswahrnehmung
  • 8.3 Vorbewusste Wahrnehmung

 

Kurzzusammenfassung

Sinnestäuschungen üben eine anhaltende Faszination auf den Menschen aus, selbst in der heutigen Zeit der visuellen Überreizung durch allgegenwärtige Werbung, »schnelle« Computerspiele und Aktionsfilme voller Spezialeffekte. Wir betrachten die Täuschung und mögen unseren Augen nicht mehr trauen, von denen wir doch stets annahmen, dass sie uns die Wirklichkeit getreulich zeigen. Insofern vermitteln uns die Sinnestäuschungen eine tiefe philosophische Einsicht und einen Merksatz: Wir sind nicht imstande, die Wirklichkeit als solche zu erfassen, sondern lediglich eine mehr oder weniger wirklichkeitstreue Abbildung, wie schon Plato in seinem Höhlengleichnis illustrierte. Sinnestäuschungen vermitteln uns auch einen schwachen Eindruck davon, was Patienten empfinden, die unter bestimmten neuropsychologischen Erkrankungen, beispielsweise Halluzinationen, leiden.
Beginnt man, näher über das Verhältnis von Wahrnehmungsinhalten einerseits und den Objekten der äußeren Welt (so sie denn überhaupt existieren) nachzudenken, dann wird schnell klar, dass eine tiefe Kluft zwischen diesen beiden Bereichen besteht. Die Objekte bestehen aus mehr oder weniger schnell bewegten und unterschiedlich großen physikalischen Körpern unterschiedlicher Form und chemischer Zusammensetzung. Ihre Repräsentationen im Gehirn dagegen bestehen aus Mustern elektrischer Aktivität in Gruppen unterschiedlicher Nervenzellen. Zusätzlich ist das zentrale Nervensystem nur in der Lage, einen Bruchteil der pro Sekunde durch die Sinnesorgane angelieferten Signale auszuwerten; es muss daher diese Signale massiv komprimieren. Die in der Regel so ausgezeichnete Übereinstimmung zwischen Wahrnehmung und äußerer Wirklichkeit, die uns ein geradezu absolutes Zutrauen in unsere Wahrnehmungen entwickeln lässt, muss vor diesem Hintergrund erstaunen. Nur der lange Prozess der Evolution konnte dafür sorgen, dass Sinnestäuschungen im engeren Sinne so selten sind, dass ihr Auftreten uns irritiert.
Bei der Kompression der Signalinformation scheint unser Gehirn eine große Menge an Tricks und Näherungslösungen zu verwenden, die zu einer deutlichen Beschleunigung der Musterverarbeitung führen. Nur so ist zu verstehen, dass Menschen auch heute noch den leistungsfähigsten Computern überlegen sind, wenn es um die Analyse komplexer visueller Szenen geht. Einige Sinnestäuschungen zeigen uns, welcher Preis für diese Näherungslösungen zu zahlen ist. Andere Täuschungen sind das Ergebnis von Rechenoperationen, die beispielsweise durch Kontrastverschärfung die Bildqualität verbessern sollen, was unter ungewöhnlichen Bedingungen zu Fehlern wie der Übertreibung wahrgenommener Kontraste führt. Wieder andere Täuschungen beruhen auf sog. Konstanzleistungen, die zur unveränderten Wahrnehmung eines Objektes trotz sich ändernder äußerer Umstände führen, beispielsweise unter wechselnder Beleuchtung. Und man muss leider eingestehen, dass wir die neurophysiologischen Grundlagen einer ganzen Reihe weiterer Täuschungen noch immer nicht verstehen, diese Täuschungen also noch nicht überzeugend erklärt werden können. Im Rahmen dieses Artikels soll der Begriff der Täuschung sehr weit gefasst werden: Als jede Nichtübereinstimmung zwischen den physikalisch messbaren Eigenschaften eines Objektes und seinen subjektiv wahrgenommenen Merkmalen.

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Kapitel 9: Visuelle Reizerscheinungen

Inhalt
  • 9.1 Formen
  • 9.2 Pathogenese und funktionelle Bedeutung

 

Kurzzusammenfassung

Eine Schädigung des zentralen visuellen Systems führt zu Funktionsausfällen (sog. Negativsymptomen); sie kann aber auch visuelle Wahrnehmungen ohne externe Entsprechung (sog. Positivsymptome) auslösen. Diese als visuelle Reizerscheinungen bezeichneten Symptome sind Seheindrücke ohne externen Reiz; sie können einfach (z. B. Lichtpunkte, Linien) oder komplex (z. B. Muster, Objekte) sein; ihre Dauer reicht von Sekunden bis Minuten. Obwohl visuelle Reizerscheinungen als reale Wahrnehmungen erlebt werden, sind sich die Betroffenen in der Regel bewusst, dass es sich dabei um »Trugwahrnehmungen« handelt. Ihre Auftretenshäufigkeit schwankt je nach Ätiologie und Beobachtungszeitpunkt zwischen 2 und 60%; meist nehmen Häufigkeit und Intensität mit zunehmendem zeitlichem Abstand vom Ereignis ab. In Einzelfällen können visuelle Reizerscheinungen allerdings auch über Monate und sogar Jahre bestehen.
Die Erscheinungsformen erlauben Rückschlüsse auf die funktionelle Organisation des visuellen Systems auf der Basis subjektiven Erlebens und unterstützen das Konzept der funktionellen Spezialisierung des visuellen Kortex.

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Kapitel 10: Zerebrale Blindheit und Gesichtsfeldausfälle

Inhalt
  • 10.1 Homonyme Gesichtsfeldstörungen
    1. 10.1.1 Formen
    2. 10.1.2 Funktionelle Folgen von Gesichtsfeldeinbußen
  • 10.2 Zerebrale Blindheit

 

Kurzzusammenfassung

Gesichtsfeldausfälle stellen die häufigste Gruppe zerebraler Sehstörungen dar. Die quantitative (Ausmaß des Ausfalls) und qualitative (betroffene visuelle Teilleistungen) Charakterisierung der unterschiedlichen Formen partieller zerebraler Blindheit diente bereits zu Beginn der klinischen Hirnforschung als Grundlage für die anatomische Zuordnung dieser Ausfälle sowohl entlang der Projektion vom Auge ins Gehirn als auch im visuellen Kortex selbst. Der Vergleich der Assoziation und Dissoziation von Teilfunktionen, d. h. von betroffenen und erhaltenen visuellen Teilleistungen im Gesichtsfeld, erlaubte Rückschlüsse auf die funktionelle Organisation des zentralen visuellen Systems des Menschen, lange bevor bildgebende Verfahren zur Verfügung standen. Zwei Organisationsprinzipien des visuellen Gehirns sind dabei von besonderer Bedeutung: die funktionelle Spezialisierung der Verarbeitung und Codierung von visuellen Informationen und die Aufrechterhaltung der räumlichen und zeitlichen Kohärenz der visuellen Wahrnehmung.

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Kapitel 11: Blindsehen

Inhalt
  • 11.1 Untersuchungsverfahren zum Nachweis von Blindsehen
    1. 11.1.1 Direkte oder »Forced-Choice«-Verfahren
    2. 11.1.2 Indirekte Untersuchungsverfahren
  • 11.2 Funktionelle Neuroanatomie des Blindsehens
  • 11.3 Was nutzt das Blindsehen?

 

Kurzzusammenfassung

Eine Läsion, die die primären Sehrinde (V1) zerstört oder denerviert, verursacht einen homonymen Gesichtsfeldausfall, dessen Lage, Größe und Dichte perimetrisch bestimmt wird. Lage und Größe spiegeln die Topografie der Abbildung des Gesichtsfeldes in V1 wider, während die Dichte angibt, ob die Blindheit relativ oder absolut ist. Bei einem relativen Ausfall kann der Patient noch geeignete, d. h. meist hochkontrastige, schnell bewegte Muster wahrnehmen, während weniger auffällige und stationäre Reize nicht gesehen werden. In absoluten Ausfällen kann der Patient dargebotene Reize dagegen nicht sehen, solange ihre Leuchtdichte unterhalb der Streulichtschwelle liegt (Abb. 11.1, S. 121; Unter der Lupe). Obwohl kein bewusstes Sehen möglich ist, lassen sich in Feldern absoluter kortikaler Blindheit die in diesem Kapitel behandelten nichtreflexiven visuellen Restfunktionen nachweisen. Dazu werden Untersuchungsmethoden verwendet, die das vom Patienten erlebte Nichtsehen umgehen. Direkte und indirekte Verfahren sind zu unterscheiden.

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II Erkennen von Objekten, Gesichtern und Geräuschen

 

Kapitel 12: Funktionelle Prinzipien der Objekt- und Gesichtserkennung

Inhalt
  • 12.1 Objekterkennung: Identifikation und Kategorisierung
    1. 12.1.1 Hierarchien in der Objekterkennung
  • 12.2 Theorien der Objekterkennung
    1. 12.2.1 Theorien, die eine 3D-Repräsentation voraussetzen
    2. 12.2.2 Theorien, die eine 2D-Repräsentation voraussetzen
    3. 12.2.3 Aufgabentypen beeinflussen das Ergebnis
    4. 12.2.4 Kanonische Ansichten
    5. 12.2.5 Mentale Rotation
  • 12.3 Gesichtserkennung

 

Kurzzusammenfassung

Es ist oft nicht leicht, einem Laien zu erklären, warum das Erkennen von Objekten ein nicht triviales Problem darstellt, da wir es doch anscheinend so mühelos dadurch lösen, dass wir die Gegenstände einfach anschauen. Aber nehmen wir einmal an, wir wären blind geboren und hätten gelernt, durch unseren Tastsinn zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Könnten wir dann nach einer Operation, bei der wir das Augenlicht wiedergewonnen hätten, durch einfaches Anschauen und ohne Berührung sagen, welches der Würfel und welches die Kugel ist? Dieses Gedankenexperiment, das schon Philosophen wie Locke und Molyneux beschäftigt hat, macht deutlich, dass Sehen und Erkennen keine einfachen Probleme sind.

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Kapitel 13: Multimodale Objektwahrnehmung

Inhalt
  • 13.1 Multimodale Wahrnehmung
  • 13.2 Kombination multimodaler Information
  • 13.3 Integration multimodaler Information
  • 13.4 Anpassung und perzeptuelles Lernen in der multimodalen Wahrnehmung
  • 13.5 Neuronale Grundlagen der multisensorischen Integration

 

Kurzzusammenfassung

Wir nehmen unsere Umwelt und die Ereignisse, die sich darin abspielen, über all unsere Sinne wahr. Dabei liefert jeder Sinn ganz spezielle Informationen, über Eigenschaften wie Form, Farbe oder Gewicht von Objekten. Trotz dieser Vielzahl unterschiedlicher Informationsquellen nehmen wir die Welt und unser Handeln darin als kohärentes Ganzes wahr. Wenn beispielsweise eine Person an eine Türe klopft, erhält sie taktile, visuelle, und auditive Information über den Ort des Klopfens. Wir erleben das Klopfen als einheitliches Ereignis, ohne uns darüber bewusst zu sein, wie wenig selbstverständlich das ist, denn jeder Sinn hat unterschiedliche Verarbeitungsmechanismen und -geschwindigkeiten. So befassen sich unterschiedliche Gehirnregionen zu verschiedenen Zeitpunkten mit den einzelnen Sinneseindrücken. Wie kann unser Gehirn aus diesem Datenwirrwarr einen Sinn machen? Das heißt, woher wissen wir, welche Sinneseindrücke zusammengehören? Wie verbinden wir diese Informationen zu einem einheitlichen Gesamtbild? Und was passiert, wenn zwei Sinne plötzlich widersprüchliche Informationen liefern?

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Kapitel 14: Neuronale Implementierung der Objekt- und Gesichtserkennung

Inhalt
  • 14.1 Struktur und Konnektivität des inferortemporalen Kortex (IT-Kortex)
  • 14.2 Basale Eigenschaften von Neuronen im inferotemporalen Kortex
  • 14.3 Selektive neuronale Antworten auf Objekteigenschaften und Kombinationscodierung
  • 14.4 Gesichtsselektive neuronale Aktivität
  • 14.5 Ist komplexe konfigurationale Selektivität spezifisch für bewegte Objekte?

 

Kurzzusammenfassung

1982 postulierten Leslie Ungerleider und Mortimer Mishkin zwei anatomisch unterschiedliche und funktionell spezialisierte kortikale Projektionssysteme zur Verarbeitung visueller Eindrücke, die im primären visuellen Kortex (Area striata, BA17, auch V1 genannt) des Okzipitallappens ihren Ursprung nehmen: ein dorsales okzipitoparietales Projektionssystem, das sich über die visuellen Assoziationsareale des Parietallappens erstreckt, und ein ventrales okzipitotemporales, das die visuellen Areale des Temporallappens einbezieht. Beide Projektionssysteme unterhalten wechselseitige Verbindungen mit einer Reihe limbischer Strukturen und dem präfrontalen Kortex, wo Information von verschiedenen Sinnesmodalitäten integriert wird.
Auf der Basis von experimentellen Läsionen an Affen schlugen Ungerleider und Mishkin vor, dass das dorsale Projektionssystem für die Verarbeitung von Bewegungsinformation und die räumliche Orientierung zuständig sei, während das ventrale System Information zur Erkennung visueller Objekte verarbeite. Später bestätigten funktionelle bildgebende Untersuchungen die Existenz dieser funktionellen Dissoziation auch im visuellen System des Menschen (Haxby et al. 1 991). Ein anderer Ansatz zur Erklärung dieser Dissoziation beruhte auf neuropsychologischen Untersuchungen an Patienten (Milner u. Goodale 1 995; Goodale 2011 ). Ihm zufolge dient der dorsale Schaltkreis der Kontrolle visuell geführter Handlungen und verarbeitet vermutlich überwiegend Information, derer wir uns nicht bewusst sind, während das ventrale System mehr bewusste visuelle Wahrnehmungen vermittelt, einschließlich solcher, die während einer Handlung erfahren werden. Der inferotemporale (IT) Kortex wird für die Endstrecke des ventralen Verarbeitungssystems gehalten, das der visuellen Objekterkennung dient.

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Kapitel 15: Visuelle Objektagnosie und Prosopagnosie

Inhalt
  • 15.1 Grundzüge der kognitiven Architektur und der Anatomie visuellen Erkennens
  • 15.2 Visuelle Objektagnosie und optische Aphasie
    1. 15.2.1 Apperzeptive Agnosie
    2. 15.2.2 Assoziative Agnosie und optische Aphasie
  • 15.3 Prosopagnosie
    1. 15.3.1 Besonderheiten des Gesichtererkennens
    2. 15.3.2 Selektivität der Prosopagnosie
    3. 15.3.3 Assoziative Prosopagnosie
    4. 15.3.4 Anatomie der Prosopagnosie

 

Kurzzusammenfassung

In diesem Kapitel werden die Störungen des visuellen Erkennens bei erhaltenen »elementaren« Sehleistungen dargestellt. Die Existenz solcher Syndrome ist seit über 100 Jahren bekannt. Ihre Abgrenzung und Klassifikation wurden aber kontrovers diskutiert (7 Unter der Lupe). Sie hängen ganz wesentlich davon ab, welche kognitiven Modelle des visuellen Erkennens ihrer Analyse zugrunde gelegt werden. Wir beginnen dieses Kapitel mit der Darstellung von Grundzügen eines kognitiven Modells visuellen Erkennens und seiner zerebralen Grundlagen. Dann werden anhand der im Titel angeführten klinischen Syndrome einzelne Aspekte des Modells und seiner anatomischen Entsprechungen beschrieben und diskutiert.

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Kapitel 16: Agnosie von Objektorientierungen

Inhalt
  • 16.1 Symptomatik und Lokalisation
  • 16.2 Erklärungshypothesen
    1. 16.2.1 Die klassische Interpretation des Phänomens seit Best
    2. 16.2.2 Interpretation aus Sicht standpunktabhängiger Theorien des Objekterkennens

 

Kurzzusammenfassung

Während sich das vorangegangene Kapitel mit den Störungen des visuellen Erkennens – also der Identifikation – von Objekten und Gesichtern befasst, geht es im Folgenden um das visuelle Erkennen der räumlichen Orientierung von Objekten. Unsere Fähigkeit, Objekte aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu erkennen, ist erstaunlich. Objekte, die sich in immer wieder anderen Orientierungen darbieten, können wir in der Regel ohne Schwierigkeiten wiedererkennen. Wie unser Gehirn diese Aufgabe bewältigt, ist Gegenstand von Forschungsaktivitäten zur Objekterkennung (Kap. 12 und Kap. 14). Es scheint aber, als ob wir für das Identifizieren von Objekten und das Erkennen ihrer Orientierung verschiedene neuronale Mechanismen entwickelt hätten, da entsprechend lokalisierte Hirnschädigungen zu einer selektiven Störung des Erkennens der Orientierung von Objekten führen können. Die Betroffenen sind nicht mehr in der Lage, die Orientierung eines Objektes zu bestimmen, obwohl sie das Objekt nach wie vor einwandfrei identifizieren können.

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Kapitel 17: Auditive Agnosien

Inhalt
  • 17.1 Klinische Merkmale auditiver Agnosien
    1. 17.1.1 Abgrenzung der auditiven Agnosien von anderen kortikalen Hörstörungen
    2. 17.1.2 Klassifikation der verschiedenen auditiven Agnosien
    3. 17.1.3 Aphasische Symptome
    4. 17.1.4 Ätiologie und Anatomie
  • 17.2 Generalisierte auditive Agnosie
  • 17.3 Reine Geräuschagnosie
  • 17.4 Paralinguistische auditive Agnosien: Affektive auditive Agnosie und Phonagnosie
  • 17.5 Beiträge funktionell bildgebender Verfahren
  • 17.6 Ausblick: Weitere Forschungsansätze

 

Kurzzusammenfassung

Das zentrale Symptom auditiver Agnosien ist Laute zu hören, ohne sie zu erkennen oder den Sinn zu verstehen. Auditive Agnosien können materialspezifisch oder generalisiert sein, und der Prozess von Wahrnehmung und semantischer Erkennung kann auf verschiedenen Stufen gestört sein.

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III Wahrnehmung des eigenen Körpers

 

Kapitel 18: Außerkörperliches Erleben

Inhalt
  • 18.1 Erleben von Phantomgliedmaßen
    1. 18.1.1 Amputationsphantome
    2. 18.1.2 Phantome niemals erlebter und Phantome noch vorhandener Gliedmaßen
  • 18.2 Halbseitenphantom in der Hemiplegie
  • 18.3 Phantome von Körper und Selbst: Autoskopische Phänomene
    1. 18.3.1 Phantomgefährten: Der unsichtbare Doppelgänger
    2. 18.3.2 Autoskopische Halluzination und Heautoskopie
    3. 18.3.3 Außerkörperliche Erfahrungen

 

Kurzzusammenfassung

Phantome sind Körperempfindungen, die phänomenal im Körperaußenraum erlebt werden. Sie treten nach Verlust einer Gliedmaße oder nach Deafferenzierung der zentralen Projektionsareale auf. Betrifft der für die Unterbrechung der Afferenzen verantwortliche Prozess das Gehirn (und nicht Peripherie oder Rückenmark), ist die Einsicht in die Zugehörigkeit der Phantome zum eigenen Selbst nicht mehr gewährleistet. So kann das Phantom einer gelähmten Körperseite personifiziert werden und mit dem Erlebenden in Dialog treten. Im Doppelgängererlebnis (Heautoskopie) sieht sich das Selbst einem zweiten Selbst gegenüber, und in der außerkörperlichen Erfahrung (AkE) wird eine illusionäre Trennung von Körper und Selbst erlebt. Heautoskopie wie AkE gehen auf eine fehlerhafte Integration propriozeptiver, visueller und vestibulärer Informationen zurück. Experimentelle Forschung dazu existiert erst in Ansätzen.

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Kapitel 19: Anosognosie

Inhalt
  • 19.1 Anosognosie der kortikalen Blindheit
    1. 19.1.1 Lokalisation
  • 19.2 Anosognosie der Halbseitenblindheit
    1. 19.2.1 Lokalisation
  • 19.3 Anosognosie der Halbseitenlähmung
    1. 19.3.1 Lokalisation
  • 19.4 Selektivität der Anosognosie
  • 19.5 Erklärungshypothesen
    1. 19.5.1 Störungen der Informationsaufnahme und -weiterleitung
    2. 19.5.2 Psychologisch-psychodynamische Theorien
    3. 19.5.3 Entdeckungstheorie
    4. 19.5.4 Störungen neuronaler »Bewusstseinssysteme«
    5. 19.5.5 Störungen motorischer Planungs- und Kontrollprozesse

 

Kurzzusammenfassung

Als »Anosognosie« bezeichnen wir das durch eine Hirnschädigung bedingte Nichterkennen von Krankheit. Patienten mit Anosognosie verhalten sich so, als ob sie von der eingetretenen Beeinträchtigung nichts wüssten. Es scheint, als ob ihnen das Bewusstsein für die Störung fehlen würde. Das Phänomen wurde erstmals durch von Monakow (1885) beschrieben; der Begriff »Anosognosie« 30 Jahre später durch Babinski (1914) eingeführt.
Wenn wir von Anosognosie sprechen, meinen wir keine Störungen, wie z. B. Muskel- oder Darmerkrankungen, die wir selbstverständlich nicht erkennen können, solange sie keine Schmerzen oder andere Symptome verursachen. Gemeint sind solche Defizite, die durch Hirnschädigungen (zumeist akute Schlaganfälle) hervorgerufen werden und potenziell auch wahrgenommen werden können. Hierzu zählen im engeren Sinne die Halbseitenlähmung, die kortikale Blindheit, die Hemianopsie oder die kortikale Taubheit. Typischerweise versichern Patienten mit Anosognosie, dass ihre Arme, Beine, das Sehen oder das Hören normal funktionieren, obwohl dies ganz offensichtlich und für alle sichtbar nicht der Fall ist.

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IV Wahrnehmung und Orientierung im Raum

 

Kapitel 20: Raumkognition

Inhalt
  • 20.1 Raumkognition und Ortsgedächtnis
  • 20.2 Wegintegration
  • 20.3 Navigation nach Landmarken
    1. 20.3.1 Funktionen von Landmarken
    2. 20.3.2 Erkennung von Landmarken
    3. 20.3.3 Auswahl von Landmarken
  • 20.4 Zusammengesetzte Umgebungen
    1. 20.4.1 Routen und kognitive Karten
    2. 20.4.2 Die Struktur der kognitiven Karte

 

Kurzzusammenfassung

Komplexes Verhalten im Raum setzt neben den grundlegenden Wahrnehmungsleistungen den Aufbau von Arbeitsund Langzeitgedächtnissen räumlicher Gegebenheiten sowie die Fähigkeit zur Nutzung dieser Gedächtnisse für Ortserkennung, räumliches Schließen, Vorhersagen und Planen voraus. Dies gilt in erster Linie für den Verhaltenskontext der Navigation oder des Wegfindens, also für die Fähigkeit, aktuell nicht sichtbare Ziele anhand von erinnertem Wissen zu finden. Dieses Kapitel behandelt daher die Raumkognition im Navigationsraum, also in Größenordnungen ab mehreren Metern; Manipulationen im Greifraum, Szenenwahrnehmung und räumliche Aufmerksamkeit werden in anderen Kapiteln behandelt.
Die für Wegfindeaufgaben erforderliche Informationsverarbeitung bildet keinen einheitlichen Mechanismus, sondern ist die Synthese einer größeren Anzahl relativ unabhängiger Einzelleistungen, die in mehr oder weniger standardisierten Verhaltensparadigmen operationalisiert sind und die unterschiedliche Gehirngebiete rekrutieren. Im Rahmen dieses Kapitels wird eine Systematik dieser Mechanismen und der von ihnen geleisteten Informationsverarbeitung gegeben.

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Kapitel 21: Anatomie und Physiologie des parietalen Kortex

Inhalt
  • 21.1 Der »homogene« posteriore parietale Kortex als Sitz visuomotorischer Kommandos
  • 21.2 Parietale Grundlagen intermediärer räumlicher Koordinatensysteme
  • 21.3 Parietale Substrate motorischer Intentionen
  • 21.4 Gain-Modulation als parietales Rechenprinzip
  • 21.5 Ergreifen von Objekten und ihre Manipulation
  • 21.6 Repräsentation des Nahraumes und Generierung eines Körperschemas
  • 21.7 Parietotemporaler Übergang und sein Beitrag zur Wahrnehmung der Orientierung des Subjektes

 

Kurzzusammenfassung

Die Erforschung der funktionellen Rolle des Parietallappens von Primaten begann mit den Pionierarbeiten des britischen Physiologen David Ferrier, der die Konsequenzen chirurgischer Läsionen und die Folgen der elektrischen Stimulation des Affenkortex, einschließlich des Parietallappens, untersuchte (Ferrier 1876). Ferrier beobachtete, dass Läsionen des Gyrus angularis, der die Grenze zwischen Okzipitallappen und Parietallappen bildet (Abb. 21.1, S. 226), offensichtlich visuell geführtes Verhalten beeinträchtigten. Er interpretierte diese Störung fälschlicherweise als Ausdruck von Blindheit und schloss aus dieser Beobachtung, dass der Gyrus angularis der für das Sehen verantwortliche Teil des Gehirns sei. Diese Fehleinschätzung war die Ursache eines erbitterten Streites mit Munk (Glickstein 1985), der auf der Grundlage seiner eigenen Läsionsuntersuchungen richtigerweise den visuellen Kortex im Bereich des Okzipitallappens geortet hatte.
Ferriers Fehleinschätzung des Parietallappens als eine primär für das Sehen verantwortliche Struktur drückte sich auch in seiner Interpretation der Folgen der elektrischen Stimulation dieses Teils des Gehirns aus: Abb. 21.1 (S. 226) zeigt die Reproduktion von Abbildungen, die seiner Originalveröffentlichung entnommen sind, in der er seine Beobachtungen der Konsequenzen der Stimulation der Großhirnrinde zusammenfasste: Die elektrische Stimulation der mit 13 und 13‘ bezeichneten Orte im vorderen (13) bzw. hinteren (13‘) Schenkel des Gyrus angularis rief Augenbewegungen zur Gegenseite hervor, die gelegentlich von Kopfbewegungen in dieselbe Richtung begleitet wurden. Ferrier interpretierte diese Bewegungen als reflektorische Reaktionen auf eine durch die Stimulation induzierte visuelle Sensation, die er auch für die gleichfalls nach Stimulation dieses Teils des Gehirns zu beobachtende Pupillenkontraktion verantwortlich machte. Dass die Stimulation zur Wahrnehmung eines visuellen Reizes führte, schien auch durch die Tatsache belegt zu werden, dass der Affe bei Stimulation häufig die Augen schloss, so als wolle er den Einfluss eines intensiven Lichteinfalles meiden.
Der Gyrus angularis und seine Nachbarschaft im posterioren parietalen Kortex ist nicht der Sitz des Sehens, aber er ist, wie wir heute wissen, der Sitz einer Vielfalt visuomotorischer Funktionen, u. a. zielgerichteter Augenbewegungen, die Ferrier als erster durch elektrische Stimulation auslöste.

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Kapitel 22: Störungen der visuellen Raumorientierung

Inhalt
  • 22.1 Räumlich-perzeptive Störungen
    1. 22.1.1 Subjektive Hauptraumachsen (visuelle Vertikale bzw. Horizontale)
    2. 22.1.2 Visuelle Orientierungsschätzung
    3. 22.1.3 Längenschätzung
    4. 22.1.4 Distanzschätzung
    5. 22.1.5 Formschätzung (»Efron shapes«)
    6. 22.1.6 Linienhalbierung und subjektive Geradeausrichtung
    7. 22.1.7 Positionsschätzung
    8. 22.1.8 Dorsales und ventrales visuelles System
  • 22.2 Räumlich-kognitive Störungen
  • 22.3 Räumlich-konstruktive Störungen
  • 22.4 Räumlich-topografische Störungen

 

Kurzzusammenfassung

Störungen der visuellen Raumorientierung treten häufig nach Läsionen extrastriärer kortikaler und subkortikaler Hirnstrukturen auf, insbesondere nach Schädigung der rechten Großhirnhemisphäre. Angaben zur Inzidenz reichen von etwa 30–50% bei linkshemisphärisch bis zu 50–70% bei rechtshemisphärisch geschädigten Patienten. Räumliche Störungen sind häufig mit Problemen in wichtigen Alltagsleistungen assoziiert, etwa dem selbstständigen Anziehen oder der Fähigkeit sich von einem Bett auf einen Stuhl umzusetzen (sog. Transfers), und sind ein wichtiger Prädiktor für den Verlauf nach einer (rechts-)hemisphärischen Hirnschädigung. Neben der klinischen Relevanz räumlicher Störungen bietet die Untersuchung von Patienten mit solchen Störungen auch die Möglichkeit, die zerebrale Organisation der verschiedenen »räumlichen« Leistungen näher zu analysieren.

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Kapitel 23: Auditives Orientieren im Raum und seine Störungen

Inhalt
  • 23.1 Physikalische Grundlagen
    1. 23.1.1 Schallwellen
    2. 23.1.2 Binaurale Richtungsparameter
    3. 23.1.3 Monaurale Richtungsparameter
  • 23.2 Leistungsfähigkeit der auditiven Lokalisation
    1. 23.2.1 Lokalisation in der Horizontalebene
    2. 23.2.2 Wahrnehmung interauraler Pegel- und Zeitdifferenzen: die Duplex-Theorie des Richtungshörens
    3. 23.2.3 Vorn-hinten-Unterscheidung und Lokalisation in der Vertikalebene
    4. 23.2.4 Bewegungshören
  • 23.3 Beeinflussung der auditiven Lokalisation durch andere Sinnesmodalitäten
    1. 23.3.1 Einflüsse der Augen- und Kopfposition
    2. 23.3.2 Vestibulärer Einfluss
    3. 23.3.3 Auditiv-visuelle Interaktion
  • 23.4 Zentralnervöse Verarbeitung auditiver Richtungsinformation
    1. 23.4.1 Reizantworten einzelner Zellen
    2. 23.4.2 Funktionelle Bildgebung und transkranielle Magnetstimulation
  • 23.5 Neuropsychologische Störungen
    1. 23.5.1 Läsion des auditorischen Kortex
    2. 23.5.2 Läsion des Gyrus temporalis superior und des posterioren Parietalkortex

 

Kurzzusammenfassung

Neben dem visuellen System repräsentiert das auditive System die einzige Sinnesmodalität, die uns räumliche Informationen über entfernte Ereignisse in unserer Umwelt liefert. Im Gegensatz zur visuellen Lokalisation ist Richtungshören jedoch auch im rückwärtigen Raumbereich möglich. Lässt man den sehr engen Winkelbereich des fovealen Sehens außer Acht, so ist die auditive räumliche Auflösung zudem in der Regel besser als die visuelle. Meist nehmen wir daher ein Ereignis zunächst mit dem Gehör wahr, richten dann erst Kopf und Augen darauf aus, um es schließlich visuell zu lokalisieren und zu identifizieren. In dieser Orientierungsreaktion liegt eine der wesentlichen Funktionen des Richtungshörens. Auditive und visuelle Raumwahrnehmung ergänzen sich dabei wechselseitig und stehen auch auf der Ebene der zentralnervösen Verarbeitung in einem engen Zusammenhang. Neurophysiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die räumliche Information beider Modalitäten im Gehirn integriert wird. Daher betreffen auch verschiedene neuropsychologische Störungen der räumlichen Orientierung in analoger Weise beide Sinnesmodalitäten.

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Kapitel 24: Vestibuläres System und Störungen der vestibulären Raumorientierung

Inhalt
  • 24.1 Gibt es einen »vestibulären Kortex« beim Menschen?
    1. 24.1.1 Multisensorische vestibuläre Kortexareale: der parietoinsuläre vestibuläre Kortex
  • 24.2 Kortikale Repräsentation des Raumes (Raumkarten)
  • 24.3 Lage im Raum
    1. 24.3.1 Kortikale vestibuläre Funktionsstörungen
    2. 24.3.2 »Room tilt illusions« (Verkehrtsehen)
  • 24.4 Bewegung im Raum
    1. 24.4.1 Eigenbewegungswahrnehmung – visuell-vestibuläre Interaktion im Kortex
  • 24.5 Reziproke hemmende Interaktion: ein grundlegender sensomotorischer Mechanismus?

 

Kurzzusammenfassung

Das vestibuläre System ist für zwei Wahrnehmungsleistungen besonders wichtig: das Erkennen der Lage im Raum und die Bestimmung der Bewegung im Raum. Dazu arbeitet das vestibuläre System eng mit den anderen Sinnessystemen zusammen, besonders eng mit dem visuellen, aber auch mit dem somatosensorischen, propriozeptiven und akustischen System. Diese sensorischen Systeme liefern Informationen über den uns umgebenden Raum. »Raumwahrnehmung« bedeutet also eine ständige Integration von verschiedenen sensorisch-perzeptiven und motorischen Prozessen, was nach heutiger Kenntnis vorwiegend in Arealen des temporalen und parietalen Kortex geleistet wird. Daneben gibt es kurzfristige Arbeitsspeicher für räumliche Informationen im präfrontalen Kortex und längerfristige Speicher im Hippocampus des medialen Temporallappens. Daran sieht man, dass die Raumorientierung nicht an einem einzelnen Ort im Großhirn repräsentiert ist, sondern durch ein neuronales Netz von Arealen im frontalen, temporalen und parietalen Kortex. Die einzelnen miteinander verbundenen Regionen sind dabei auf jeweils unterschiedliche Funktionen spezialisiert.

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Kapitel 25: Pusher-Syndrom

Inhalt
  • 25.1 Verhalten
  • 25.2 Ursache
  • 25.3 Lokalisation

 

Kurzzusammenfassung

Die meisten Patienten, die nach einem Schlaganfall eine Halbseitenlähmung erlitten haben, sind trotz einer gewissen Unsicherheit ihrer Körperbalance wenige Tage nach dem Insult in der Lage, ihre Haltung so zu kontrollieren, dass sie stabil sitzen und (ggf. mit Hilfe) stehen können. Einige Patienten zeigen dagegen bereits beim Aufrichten vom Liegen in den Sitz am Bettrand, Angst zur nichtgelähmten Seite zu fallen. Mit den nichtgelähmten Extremitäten drücken sie sich mit aller Kraft zur gelähmten Seite (Abb. 25.1, S. 274). Dieses aktive Drücken der Patienten führte zur Bezeichnung des Störungsbildes als sog. »Pusher-Syndrom« (Davies 1985; Karnath 2007). Ohne Unterstützung durch den Untersucher drücken sich diese Kranken in eine solche laterale Neigung, dass sie zur hemiparetischen Seite fallen. Dem Versuch des Untersuchers, die schräge Körperhaltung passiv durch Aufrichten des Körpers zu korrigieren, wird massiver Widerstand entgegengesetzt, weil die Patienten das Gefühl haben, zur nichtgelähmten Seite zu fallen. Demgegenüber zeigen sie keine Furcht, wenn ihr eigenes Drücken zu einer instabilen, zur Seite der Parese geneigten Körperposition führt.

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Kapitel 26: Neglect

Inhalt
  • 26.1 Klinische Symptomatik
  • 26.2 Experimentelle Beobachtungen
    1. 26.2.1 Verschobenes Zentrum der Raumexploration
    2. 26.2.2 Objekt- und raumzentrierter Neglect beruhen auf derselben Störung
    3. 26.2.3 Neglect ist kurzzeitig kompensierbar
  • 26.3 Lokalisation
  • 26.4 Erklärungsmodelle
    1. 26.4.1 Aufmerksamkeitshypothesen
    2. 26.4.2 Repräsentationshypothesen
    3. 26.4.3 Transformationshypothese

 

Kurzzusammenfassung

Patienten, die nach einem Schlaganfall einen »Neglect« aufweisen, verhalten sich so, als ob für sie eine Seite des Außenraumes aufgehört hätte zu existieren. Die Störung tritt fast immer nach Schädigung der rechten, nicht sprachdominanten Hemisphäre auf und betrifft die linke Seite. Die Augen und der Kopf der Kranken weichen deutlich zur rechten Seite ab. Gegenstände, die sich auf der linken Seite befinden, werden daher nicht beachtet. Selbst das Lieblingsgetränk bleibt unberührt, wenn es sich links vor dem Patienten auf dem Tisch befindet. Das Geheimnisvolle dieser Erkrankung ist, dass die kontralaterale Vernachlässigung nicht durch Lähmungen, Gefühls- oder Gesichtsfeldstörungen bedingt ist. Der Patient lässt das Getränk also nicht deshalb unberührt, weil er es aufgrund eines z. B. halbseitigen Gesichtsfeldausfalles (Hemianopsie) nicht mehr sehen kann, sondern weil er sich stets nur zur rechten Seite wendet und Gegenstände auf der linken Seite dementsprechend nicht beachtet. Den Patienten ist nicht bewusst, dass sie diese Schwierigkeiten haben; sie verhalten sich so, als ob alles in Ordnung sei.

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Kapitel 27: Bálint-Holmes-Syndrom

Inhalt
  • 27.1 Räumliche Orientierungsstörung
  • 27.2 Blickbewegungsstörungen
  • 27.3 Optische Ataxie
  • 27.4 Simultanagnosie
    1. 27.4.1 Verhalten
    2. 27.4.2 Anatomie
    3. 27.4.3 Erklärungsmodelle

 

Kurzzusammenfassung

1909 beschrieb Bálint einen Patienten, der nach großen Läsionen im parietookzipitalen Kortex beider Hemisphären eine Störung zeigte, die er »Seelenlähmung des Schauens« nannte. Obwohl dieser Patient keine Ausfälle der primären Sehfunktion aufwies, bemerkte Bálint, dass in seiner visuellen Wahrnehmung »nur ein einziges Bild Platz hat. Dies Bild kann beliebig groß sein, er sieht es vollkommen, nimmt hingegen während der Fixation eines noch so kleinen Bildes von einem anderen keine Kenntnis.« Der Patient war also unfähig mehr als ein Objekt gleichzeitig wahrzunehmen. Präsentierte Bálint dem Patienten nebeneinander ein Dreieck und einen Buchstaben, dann »sah er entweder das Dreieck oder den Buchstaben, aber nie das Dreieck und den Buchstaben zugleich«. Der Kranke selbst berichtete über seine Schwierigkeiten: »Wenn ich den einen Gegenstand sehe, sehe ich den anderen nicht, und es kostet Zeit, bis ich – nach Aufforderung – den anderen finde. Ich bin nicht imstande, mehreren Teilen eines Bildes gleichzeitig meine Aufmerksamkeit zu schenken.« Diese Unfähigkeit, mehr als nur ein Objekt gleichzeitig wahrnehmen zu können, bezeichnen wir heute als »Simultanagnosie«.

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V Aufmerksamkeit

 

Kapitel 28: Funktionen und Modelle der selektiven Aufmerksamkeit

Inhalt
  • 28.1 »Klassische« Ansätze zur selektiven Aufmerksamkeit
    1. 28.1.1 Grundlegende Paradigmen und Befunde
    2. 28.1.2 Filtertheorie der Aufmerksamkeit (Broadbent)
    3. 28.1.3 Attenuationstheorie der Aufmerksamkeit (Treisman)
    4. 28.1.4 Theorie der »späten« Selektion (Deutsch und Deutsch)
    5. 28.1.5 »Frühe« versus »späte« Selektion
  • 28.2 Selektive visuelle Aufmerksamkeit
    1. 28.2.1 Ortsbasierte Aufmerksamkeit
    2. 28.2.2 Objektbezogene visuelle Aufmerksamkeit
  • 28.3 Visuelle Suche
    1. 28.3.1 Parallele und serielle Suche
    2. 28.3.2 Merkmalsintegrationstheorie der visuellen Aufmerksamkeit (»feature integration theory of visual attention«)
  • 28.4 Zeitliche Faktoren der Selektion: Visuelle Markierung
    1. 28.4.1 Passive vs. aktive Priorisierung
  • 28.5 Limitationen der selektiven visuellen Aufmerksamkeit
    1. 28.5.1 Unaufmerksamkeitsblindheit
    2. 28.5.2 Veränderungsblindheit
    3. 28.5.3 Aufmerksamkeitsblinzeln
  • 28.6 Hypothese der integrierten Kompetition (»integrated competition hypothesis«)
  • 28.7 Theorie der visuellen Aufmerksamkeit (»theory of visual attention«)
  • 28.8 Handlungsbezogene Selektion

 

Kurzzusammenfassung

William James (1890) stellte fest: »Everyone knows what attention is. It is the taking possession of the mind, in clear and vivid form, of one out of several possible objects or trains of thought. Focalisation, concentration of consciousness are of its essence. It implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others« (S. 403f.). In diesem Definitionsversuch wird eine wesentliche Funktion von Aufmerksamkeit angesprochen: die der Auswahl oder »Selektion« bestimmter Inhalte oder Informationen (die notwendig mit einer Deselektion von anderen Informationen einhergeht) mit dem Ziel, bestimmte Informationen (möglichst ohne Interferenz von anderen Informationen) dem Bewusstsein bzw. der Steuerung von Denken und Handeln zugänglich zu machen (selektive Aufmerksamkeit). Im Folgenden wird diese perzeptive Selektionsfunktion der Aufmerksamkeit und ihre Thematisierung im Rahmen der »modernen« Informationsverarbeitungs- bzw. Kognitionspsychologie eingehender betrachtet.
Die Selektionsfunktion der Aufmerksamkeit wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt eine große Menge auditiver, visueller und taktiler Reize auf unsere verschiedenen Sinnesorgane einwirken und sensorische Rezeptionsprozesse in Gang setzen, dass wir uns aber nur eines kleinen Ausschnitts aus dieser Informationsmenge bewusst werden bzw. nur ein kleiner Ausschnitt aus dieser Menge unsere fortlaufende Interaktion mit der Umwelt determiniert. Das heißt, aus der Gesamtmenge der eingehenden Information (sowie der im Gedächtnis gespeicherten Information) muss ständig die relevante Teilmenge ausgewählt werden, um effizientes und störungsfreies Handeln zu ermöglichen. Auf welche Weise die Aufmerksamkeit diese Funktion erfüllt, ist Gegenstand der Forschung zur selektiven Aufmerksamkeit.

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Kapitel 29: Neuronale Grundlagen von Aufmerksamkeit

Inhalt
  • 29.1 Prinzipien sensorischer Informationsverarbeitung im visuellen Kortex von Primaten
  • 29.2 Aufmerksamkeit versus Vigilanz
  • 29.3 Selektivität von Aufmerksamkeit
  • 29.4 Modulation neuronaler Aktivität durch Aufmerksamkeit
  • 29.5 Steuerung von räumlicher Aufmerksamkeit: Frontales Augenfeld und Salienzkarten
  • 29.6 Aufmerksamkeitsmodelle

 

Kurzzusammenfassung

Psychophysische Untersuchungen zur Rolle und Funktion von Aufmerksamkeit haben eine lange Tradition. Kap. 28 hat zu diesem Ansatz die wichtigsten Ergebnisse und die darauf fußenden Modelle vorgestellt. Dabei ist klar geworden, dass Aufmerksamkeit die Verarbeitung sensorischer Informationen beeinflusst, also wahrscheinlich die Aktivität sensorischer Neurone in der Großhirnrinde moduliert. Um zu verstehen, wie Aufmerksamkeit in die Aktivität von Neuronen eingreift, braucht es direktere Methoden als die Psychophysik. Es sind vor allem zwei Techniken, nämlich die Messung der Aktivität einzelner Neurone im Kortex wacher Tiere und von funktionellen Arealen im menschlichen Kortex, die sich in den letzten Jahren zu den bevorzugten Ansätzen bei der Suche nach den neuronalen Grundlagen von Aufmerksamkeit entwickelt haben.
Der erste Ansatz bedient sich dabei Methoden aus der Elektrophysiologie, also der Messung der Signale einzelner Neurone mittels Mikroelektroden. Der zweite Ansatz verwendet z. B. die Positronenemmissionstomografie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die es erlauben, das räumliche Muster der Aktivität von Hirnarealen großflächig, allerdings auch nur mit beschränkter räumlicher Auflösung, zu kartieren. Ebenso werden die Elektroenzephalografie (EEG) und Magnetenzephalografie (MEG) eingesetzt, also die Messung kortikaler elektrischer und magnetischer Felder.
Bei Primaten, und damit auch beim Menschen, nimmt das visuelle System eine herausragende Stellung ein. Der Verarbeitung von visueller Information ist der weitaus größte Anteil des sensorischen Kortex gewidmet. Diese Bedeutung spiegelt sich auch in der Konzentration der Forschung auf das visuelle System wider. Dabei haben vor allem Untersuchungen am visuellen Kortex von Rhesusaffen ganz wesentlich zu unserem Verständnis der funktionellen Organisation der visuellen Informationsverarbeitung beigetragen. Hier sollen nur die wichtigsten Organisationsprinzipien dargestellt werden, die nötig sind, um den Einfluss von Aufmerksamkeit auf die Verarbeitung sensorischer Informationen im visuellen System zu verstehen.

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Kapitel 30: Neuronale Repräsentation selektiver Aufmerksamkeit beim Menschen

Inhalt
  • 30.1 Räumlich bezogene Aufmerksamkeit
  • 30.2 Eigenschaftsbezogene Selektion
  • 30.3 Objektbezogene Aufmerksamkeit
  • 30.4 Aufmerksamkeitsprozesse mit mehreren konkurrierenden Objekten
    1. 30.4.1 Neuronale Grundlagen der Verarbeitung konkurrierender Reize
    2. 30.4.2 Top-down-Einflüsse
    3. 30.4.3 Bottom-up-Einflüsse

 

Kurzzusammenfassung

Unsere natürliche visuelle Umgebung beinhaltet viele verschiedene Objekte, die nicht alle zeitgleich im Gehirn repräsentiert werden können. Das visuelle System hat eine begrenzte Kapazität in der neuronalen Verarbeitung zahlreicher Objekte. Infolgedessen benötigen wir Aufmerksamkeitsmechanismen, die helfen aus unserer komplexen visuellen Umgebung zum einen relevante Informationen zu selektieren und zum anderen irrelevante Informationen auszufiltern. In Kap. 28 wurde dargelegt, auf welche Weise Aufmerksamkeit diese Funktion erfüllt, welche unterschiedlichen Verhaltensphänomene damit verbunden sind und welche Modelle zum Verständnis selektiver Aufmerksamkeit entwickelt wurden. In diesem Kapitel werden nun die neuronalen Grundlagen selektiver Aufmerksamkeit erörtert, wie sie im menschlichen visuellen System anhand funktionell bildgebender Untersuchungen des Gehirns erforscht wurden. Verwandte Ergebnisse aus neurophysiologischen Untersuchungen von Affen finden sich in Kap. 29.

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Kapitel 31: Störungen der Aufmerksamkeit

Inhalt
  • 31.1 Unilaterale Extinktion
  • 31.2 Präattentive Gruppierung
  • 31.3 Unbewusste Informationsverarbeitung
  • 31.4 Integration visueller Merkmale
    1. 31.4.1 Untersuchungen an Extinktionspatienten
    2. 31.4.2 Untersuchungen an Neglectpatienten
    3. 31.4.3 Untersuchungen an Bálint-Holmes-Patienten

 

Kurzzusammenfassung

Zu jedem Zeitpunkt sind wir uns nur eines Bruchteils der Informationen, die unsere Sinne anregen, bewusst. Welche Informationen wir bewusst wahrnehmen, hängt nicht nur von der Anregung des Auges, des Ohres oder des Tastsinns ab, sondern auch davon, auf welche Aspekte wir unsere Aufmerksamkeit richten. Verschiedene Hirnschädigungen können unsere Aufmerksamkeitsleistungen beeinträchtigen. In diesem Kapitel werden Störungen der Aufmerksamkeit betrachtet, die zu drei verwandten neurologischen Defiziten beitragen: der Extinktion, dem Neglect (Kap. 26) und dem Bálint-Holmes-Syndrom (Kap. 27). Obwohl sich diese Störungen in vielerlei Hinsicht unterscheiden, ist ihnen ein Merkmal gemeinsam: Die Patienten sind sich einiger Dinge der visuellen Welt nicht bewusst, während sie andere vollkommen klar wahrnehmen können. Diese Störung der bewussten Wahrnehmung von Information beruht nicht auf einer Störung der peripheren Informationsaufnahme. Dennoch können diese Kranken bestimmte Dinge nicht »sehen«, obwohl sie nicht blind sind. Diese Paradoxie kann aufgelöst werden, wenn man sich klarmacht, dass das »Sehen« auch im gesunden Gehirn von Aufmerksamkeit abhängt und dass die hier betrachteten Patienten unter Aufmerksamkeitsdefiziten leiden. Das Phänomen der Extinktion zeigt dies vielleicht am deutlichsten.

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VI Sensomotorik und Handeln

 

Kapitel 32: Grundlagen zielgerichteter Motorik

Inhalt
  • 32.1 Effektorenkopplung versus Kostenminimierung
  • 32.2 Listing’sches Gesetz
  • 32.3 Koordinatensysteme für Handbewegungen
  • 32.4 Das Problem der inversen Dynamik
  • 32.5 Die Theorie der Gleichgewichtspunkte
  • 32.6 Motorisches Lernen und interne Modelle

 

Kurzzusammenfassung

Die Fortentwicklung der feinmotorischen Leistungen unserer Hände, die unserer Fähigkeit zugrunde liegt, Werkzeuge zu verwenden, dürfte eine der wesentlichen treibenden Kräfte in der menschlichen Evolution gewesen sein. Die Hand ist für den Menschen so wichtig, dass viele Metaphern, die unterschiedliche Arten des Handgebrauchs beschreiben, ihren Einzug in die Umgangssprache genommen haben. Wir »begreifen«, was jemand sagt, wir »bekommen etwas in den Griff« etc. Angesichts der profunden Bedeutung unserer Hände scheint es gerechtfertigt zu sein, handmotorische Leistungen in das Zentrum einer Einführung der Grundlagen zielmotorischer Leistungen zu stellen. Diese Betonung handmotorischer Leistungen ist aber auch deswegen gerechtfertigt, weil viele der Randbedingungen, die Handbewegungen bestimmen, auch für andere motorische Leistungen, wie beispielsweise die Kontrolle von Stand und Gang, gelten.

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Kapitel 33: Psychologische Modelle der Handlungssteuerung

Inhalt
  • 33.1 Von der Absicht zum Plan: Intentionen, Umweltmerkmale und Handlungsplanung
    1. 33.1.1 Einfluss der Wahrnehmung auf die Handlungssteuerung
    2. 33.1.2 Modelle zur Erklärung des Einflusses der Wahrnehmung auf die Handlungssteuerung
  • 33.2 Vom Plan zum Tun: Programmierung und Auslösen von Bewegungen
    1. 33.2.1 Reaktionsprogrammierung
    2. 33.2.2 Initiierung der Bewegung
  • 33.3 Erleben, was man tut: Sensorisches Feedback und Handlungssteuerung
  • 33.4 Tun, was man will: Handlungskontrolle und exekutive Funktionen
  • 33.5 Der bewusste Wille: Eine Illusion?

 

Kurzzusammenfassung

Menschen sind aktive Wesen. Wir gehen, spielen Klavier, treiben Sport etc. Als »Handlungen« bezeichnet man in der Psychologie aber nur solche Bewegungen, die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sind. Grundlage von Handlungen sind Intentionen oder Handlungsabsichten, und es können (u. a. auch abhängig von der jeweiligen Handlungssituation) verschiedene Bewegungen eingesetzt werden, um dasselbe Handlungsziel zu erreichen. Während und nach der Bewegungsausführung erfolgt eine Kontrolle und Bewertung hinsichtlich der Realisierung des Handlungsziels. Dieses Kapitel beschreibt, wie Menschen Handlungen planen, ausführen und steuern. Dabei geht es um kognitive Prozesse, die einer zielgerichteten Bewegung unmittelbar vorausgehen und die ihren Ablauf begleiten.

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Kapitel 34: Zielgerichtete Augenbewegungen

Inhalt
  • 34.1 Eigenbewegungskompensierende Augenbewegungen
  • 34.2 Warum zielgerichtete Augenbewegungen?
    1. 34.2.1 Sakkaden
    2. 34.2.2 Langsame Augenfolgebewegungen
  • 34.3 Augenbewegungen und Wahrnehmung

 

Kurzzusammenfassung

Augenbewegungen dienen dem Sehen, indem sie entweder das Bild der visuellen Umwelt auf der Retina stabilisieren (eigenbewegungskompensierende Augenbewegungen) oder aber das Bild eines interessierenden Objektes in der Fovea platzieren (zielgerichtete Augenbewegungen). Wir platzieren im Falle einer einem Objekt geltenden Augenbewegung sein Bild deswegen in der Fovea, um die Vorzüge der fovealen Bildanalyse, wie etwa die weit höhere Sehschärfe, nutzen zu können. Die Augen verfügen über 3 Freiheitsgrade der Bewegung, entsprechend den Rotationen um die Gier-, die Hoch- und die Rollachse. Wie in Kap. 32 zu Grundlagen zielgerichteter Motorik erörtert, sind zielgerichtete Augenbewegungen auch dadurch von eigenbewegungskompensierenden Augenbewegungen unterschieden, dass sie vollständig durch die Angabe der horizontalen und vertikalen Augenbewegungskomponenten beschreibbar sind und ihnen wesentliche torsionale Komponenten infolge von Rotationen um die Rollachse fehlen (Listing’sches Gesetz). Der Gewinn für das Sehen ist natürlich, dass die zu analysierenden visuellen Objekte mit retinalen Bildern einhergehen, deren Orientierung verlässlich durch die Orientierung der Objekte in der Außenwelt bestimmt und nicht durch u. U. variable Verrollungen des Auges verfälscht wird.

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Kapitel 35: Optische Ataxie

Inhalt
  • 35.1 Läsionslokalisationen
  • 35.2 Neuropsychologische Aspekte der optischen Ataxie
    1. 35.2.1 Visuelle Wahrnehmung und Propriozeption
    2. 35.2.2 Augenbewegungen
    3. 35.2.3 Proximale und distale Komponenten der optischen Ataxie
    4. 35.2.4 Lateralisierung von Hand- und Gesichtsfeldeffekt
    5. 35.2.5 Sichtbare und erinnerte Ziele
  • 35.3 Erklärungsmodelle der optischen Ataxie
    1. 35.3.1 Spezifische Störungen visuomotorischer Transformationen
    2. 35.3.2 Störung der Echtzeitkontrolle von Bewegungen

 

Kurzzusammenfassung

1909 führte Bálint den Begriff »optische Ataxie« ein, um die visuomotorische Teilsymptomatik einer komplexen neurologischen Störung eines Patienten (Bálint-Holmes-Syndrom) zu beschreiben (s. hierzu Kap. 27). Wann immer dieser Patient gebeten wurde, mit seiner rechten Hand nach einzelnen Gegenständen zu greifen, verfehlte er sein Ziel deutlich. Dabei war seine Muskelkraft normal erhalten und auch die Ausführung ganzer Bewegungen war unter anderen Umständen unauffällig. Dieselben Objekte an denselben Positionen konnte er mit seiner linken Hand völlig ohne Probleme ergreifen. Dieser deutliche Unterschied in der Ausführung der Greifbewegungen mit der rechten und linken Hand zeigte, dass rein visuelle Defizite oder Beeinträchtigungen der räumlichen Aufmerksamkeitslenkung nicht die Ursache für das visuell-motorische Defizit sein konnten. Darüber hinaus konnte der Patient nach verbalen Anweisungen mit beiden Händen recht genau auf seine eigenen Körperteile zeigen. Der Patient konnte also sein visuomotorisches Defizit durch Rückgriff auf somatosensorische und propriozeptive Informationen kompensieren. Später wurde die optische Ataxie als ein eigenständiges Störungsbild erkannt, das auch unabhängig von den weiteren Symptomen eines Bálint-Holmes-Syndroms auftreten kann: Garcin et al. (1967) berichteten als Erste von einem Patienten mit einer isolierten optischen Ataxie ohne weitere klinisch relevante perzeptive, okulomotorische oder attentionale Defizite.

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Kapitel 36: Apraxie

Inhalt
  • 36.1 Imitieren von Gesten
    1. 36.1.1 Imitieren als Prüfung der motorischen Ausführung
    2. 36.1.2 Direkte Route von Perzeption zur motorischen Ausführung
    3. 36.1.3 Körperteilcodierung als kognitive Zwischenstufe des Imitierens
    4. 36.1.4 Anatomie – Rolle des linken unteren Parietallappens
  • 36.2 Kommunikative Gesten
    1. 36.2.1 Pantomime, Objektgebrauch und Kommunikation
    2. 36.2.2 Anatomie der Pantomime des Objektgebrauchs
  • 36.3 Werkzeug- und Objektgebrauch
    1. 36.3.1 Arten von Wissen über richtigen Objektgebrauch
    2. 36.3.2 Anatomie des Gebrauchs einzelner Werkzeuge und Objekte
    3. 36.3.3 Komplexe Handlungsfolgen mit mehreren Objekten

 

Kurzzusammenfassung

Das Leitsymptom der Apraxie sind motorische Fehlhandlungen, die weder auf »elementare« motorische Behinderungen noch auf mangelhaftes Verständnis der Aufgabe zurückgeführt werden können. Diese Definition ist allerdings vage. Je nachdem, welche Arten von Fehlhandlungen man berücksichtigt und wo man die Grenze zur »elementaren« Behinderung zieht, kann sie eine breite Kollektion von ganz unterschiedlichen Symptomen umfassen.
Traditionell wird jedoch unter dem Begriff Apraxie eine Gruppe von Symptomen zusammengefasst, denen gemeinsam ist, dass sie Folge linkshirniger Läsionen sind und dass sie sich in Fehlhandlungen nicht nur der rechten, sondern auch der zur Läsion ipsilateralen linken Körperseite äußern. Bewegungsstörungen, die dieser Definition entsprechen, können Gesicht und Mund oder die Gliedmaßen betreffen. Dieses Kapitel beschränkt sich auf die Gliedmaßenapraxie.
Die Gliedmaßenapraxie manifestiert sich in drei Arten von Handlungen: Imitieren von Gesten, Ausführung bedeutungsvoller Gesten auf Aufforderung und Gebrauch von Werkzeugen und Objekten. Traditionell werden diese drei Manifestationen oft einer Dichotomie zwischen »ideatorischer« und »ideomotorischer« Apraxie zugeordnet (Unter der Lupe, S. 404). In diesem Kapitel werden sie aber als drei Domänen motorischer Aktionen behandelt, die unterschiedliche Probleme für die kognitive Modellierung der Handlungskontrolle stellen. Dabei werden wir sehen, dass auch bei rechtshirnigen Läsionen einzelne Aspekte dieser Handlungen beeinträchtigt sein können. Um die Nomenklatur nicht zu verwirren, werden wir jedoch den Ausdruck »Apraxie« für die Folgen linkshirniger Läsionen reservieren.

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VII Sprechen und Sprache

 

Kapitel 37: Neurobiologische Grundlagen des Sprechens

Inhalt
  • 37.1 Aufbau und Funktion des peripheren Sprechapparates
  • 37.2 Zerebrale Organisation lautsprachlicher Äußerungen
    1. 37.2.1 Tierexperimentelle Befunde zur Kontrolle stimmlich-affektiver Lautäußerungen
    2. 37.2.2 Elektrische Stimulation der Hirnoberfläche beim Menschen
    3. 37.2.3 Klinische Studien
    4. 37.2.4 Funktionell-bildgebende Befunde

 

Kurzzusammenfassung

Lebewesen haben eine Vielzahl an zum Teil hochspezifischen Kommunikationssystemen ausgebildet, um motivationale Zustände wie Paarungs- und Angriffsbereitschaft oder Umweltgegebenheiten, z. B. Entfernung einer Nahrungsquelle, signalisieren zu können. Neben visuellen, chemischen und elektrischen Signalen werden auch Schallereignisse (akustische Kommunikation) als Medium der Informationsübertragung eingesetzt. Eine Variante akustischer Kommunikation stützt sich auf mechanische Schallquellen, z. B. das hochfrequente Flügelschwirren der Honigbiene oder die Stridulationen der Feldheuschrecke. Insbesondere Tierarten, die unter Bedingungen geringer Populationsdichte leben, dazu zählen Amphibien, Reptilien, Vögel und Säuger, haben eine weitere Form akustischer Kommunikation entwickelt: ein »Stimmorgan«, z. B. die Syrinx der Vögel oder die Stimmlippen (Stimmbänder) des humanen Kehlkopfes (Larynx), versetzt den exspiratorischen Luftstrom in Schwingung und erzeugt dadurch Schallwellen, die dann in die Umgebung abgestrahlt werden (Hauser 1996; Hauser u. Konishi 1999).

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Kapitel 38: Aufbau und Funktionen der Sprache

Inhalt
  • 38.1 Linguistische Beschreibungsebenen
    1. 38.1.1 Syntaktische Beschreibungsebene
    2. 38.1.2 Morphologische Beschreibungsebene
    3. 38.1.3 Phonologisch-phonetische Beschreibungsebene
    4. 38.1.4 Semantische Beschreibungsebene
  • 38.2 Psycholinguistische Funktionen der Sprache

 

Kurzzusammenfassung

Die Sprache dient vor allem der zwischenmenschlichen Kommunikation. Neben einer kommunikativen Funktion hat die Sprache eine kognitive Funktion, d. h., dass sie ein symbolisches Verfahren ist, mit dem wir bestimmte gedankliche Operationen vornehmen. Gegenstand der Linguistik ist diese kognitive Sprachfunktion, insbesondere die Spezifizierung der abstrakten sprachlichen Regularitäten, die wir unbewusst erwerben und beherrschen. Gegenstand der Psycholinguistik ist das mentale System, das den tatsächlichen Sprachgebrauch ermöglicht.
Keiner kennt genau das Inventar an Wörtern, das in einer Sprache zur Verfügung steht. Für die Alltagsproduktion sind es einige Tausend Wörter, für die Schriftsprache routinierter Schreiber mindestens 10.000. Der Passivwortschatz eines Durchschnittssprechers beträgt mindestens 50.000 Wörter. Es gibt auch keinen, der genau weiß, was ein Wort alles bedeuten kann. Im Gegensatz dazu können die Regularitäten der Wortbildung sehr wohl erfasst werden. Diese Wortbildungsregularitäten ermöglichen es, mit einem begrenzten Inventar von Morphem-Bedeutungszuordnungen eine prinzipiell unbegrenzte Zahl neuer Wörter zu schaffen.
Noch schwieriger ist es, die Zahl der Sätze einer Sprache zu erfassen, da diese im Prinzip unendlich ist. Die Satzregularitäten ermöglichen es, mit einem begrenzten Inventar von Morphemen und Satzbildungsregeln eine prinzipiell unbegrenzte Zahl von Sätzen zu generieren.
Linguistische Analysen machen einerseits Aussagen zur Form sprachlicher Einheiten, d. h. zu ihrer grammatischen Struktur, andererseits zu ihrer Bedeutung, d. h. zu ihrer semantischen Struktur.

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Kapitel 39: Neurobiologische Grundlagen der Sprache

Inhalt
  • 39.1 Psycholinguistisches Modell der Sprachverarbeitung
  • 39.2 Zeitliche Struktur der Sprachverarbeitung: Ereigniskorrelierte Hirnaktivitätsmessung
    1. 39.2.1 Phonologische Aspekte der Verarbeitung
    2. 39.2.2 Semantische Prozesse
    3. 39.2.3 Syntaktische Prozesse
    4. 39.2.4 Neurokognitives Modell des Sprachverstehens
  • 39.3 Topografie der Sprachverarbeitung: Bildgebende Verfahren
    1. 39.3.1 Phonologische Aspekte der Verarbeitung
    2. 39.3.2 Semantische Prozesse
    3. 39.3.3 Syntaktische Prozesse

 

Kurzzusammenfassung

Die Frage nach den neurobiologischen Grundlagen der Sprache war lange Zeit auf die Korrelation von bestimmten Hirnläsionen und spezifischen Ausfällen in der Sprachproduktion sowie im Sprachverstehen beschränkt (Kap. 41). Erst mit der Einführung von Verfahren zur Erfassung von Hirnaktivität während der Sprachverarbeitung konnte das Wissen um die neuronale Basis von Sprachverstehensund Sprachproduktionsprozessen um wesentliche Aspekte erweitert werden.
Frühe Läsionsstudien hatten die linke Hemisphäre als die für Sprachverarbeitung relevante identifiziert. Gemäß der zu beobachtenden Ausfälle bei spezifischen Hirnläsionen wurden die dritte Stirnhirnwindung (Gyrus frontalis inferior), das sog. Broca-Areal, für die Sprachproduktion verantwortlich gemacht und der linke Temporallappen, das sog. Wernicke-Areal, für das Sprachverstehen.
Mitte der 70er Jahre wurde diese Sichtweise revidiert. Die psycholinguistische Modellbildung hatte die einfache Teilung in Produktion und Verstehen ergänzt durch den Aspekt der zentralen Kompetenz der Sprache. Die Annahme eines zentralen lexikalischen wie syntaktischen Wissens erlaubte die Voraussage, dass Defizite, sofern sie in der zentralen Wissenskomponente auftreten, zu Störungen in der Sprachproduktion sowie im Sprachverstehen führen sollten. Systematische Untersuchungen mit agrammatisch sprechenden Broca-Aphasikern (auch Kap. 41) zeigten, dass diese Patienten auch syntaktische Defizite beim Sprachverstehen aufwiesen (Caramazza u. Zurif 1976). Dies führte zu der Schlussfolgerung, dass das Broca-Areal Sitz der Syntax sei. Das Lexikon wurde auf der Basis von Verhaltensstudien bei sprachgestörten Patienten mit Läsion im Temporallappen (Wernicke-Aphasiker) im Wernicke-Areal lokalisiert. Es hatte sich gezeigt, dass diese Patienten nicht nur Wortfindungsschwierigkeiten während der Sprachproduktion aufwiesen, sondern auch Schwierigkeiten bei der semantischen Kategorisierung von Wörtern hatten (Zurif et al. 1974). Ähnliche Überlegungen galten auch für die Aspekte der Phonologie. Sofern Produktion und Perzeption auf zentrales phonologisches Wissen zurückgreifen, sollten bei einem zentralen Defizit ähnliche Störungen bei Produktion und Perzeption auftreten (Blumstein et al. 1977).

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Kapitel 40: Sprachentwicklung

Inhalt
  • 40.1 Entwicklung der Sprachwahrnehmung
  • 40.2 Sprachproduktion: Entwicklung von Phonologie, Lexikon und Syntax
  • 40.3 Läsions-Verhaltens-Studien bei Kindern

 

Kurzzusammenfassung

Die Muttersprache zu erwerben bedeutet für das Kind jene Regeln zu erlernen, die das sprachliche Wissen der Erwachsenen ausmachen. Es gilt zwei Ebenen diese Wissens zu unterscheiden: 1. das sprachliche Wissen im engeren Sinne, nämlich Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikon und Semantik, und 2. das kommunikative Wissen. Im Folgenden fokussieren wir auf eine Darstellung des Erwerbs des sprachlichen Wissens im engeren Sinne. Beschrieben werden die Entwicklung des Sprachverstehens und der Sprachproduktion in den ersten 3 Lebensjahren sowie deren mögliche neuronale Grundlage.

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Kapitel 41: Aphasien

Inhalt
  • 41.1 Sprachliche Störungsmerkmale
    1. 41.1.1 Störungen in der Wortfindung und der Wortwahl
    2. 41.1.2 Kategorienspezifische Störungen in der Wortfindung
    3. 41.1.3 Störungen im Satzbau und in der morphologisch-syntaktischen Verknüpfung von Satzkonstituenten
  • 41.2 Klinische Störungsbilder: Aphasische Syndrome
  • 41.3 Verlauf und funktionelle Rückbildung

 

Kurzzusammenfassung

Aphasien sind erworbene Sprachstörungen, die als Folge einer akuten (meist) linkshemisphärischen Hirnschädigung auftreten. Die Störungen zeigen sich in allen sprachlichen Verarbeitungsmodalitäten, also beim Sprechen und Hören (Lautsprache), beim Lesen und Schreiben (Schriftsprache). Aphasien sind demnach als multimodale Sprachstörungen zu definieren. Die verschiedenen Komponenten des Sprachsystems (Phonologie, Lexikon, Syntax und Semantik; Kap. 38) sind je nach Art, Ort und Ausmaß der erlittenen Hirnschädigung in unterschiedlicher Weise betroffen. Bei Aphasien, die durch eine Durchblutungsstörung entstehen, lässt der Läsionsort auf das jeweilige sprachliche Ausfallsmuster schließen: Läsionen im Bereich der vorderen Sprachregion, dem sog. Broca-Areal (Abb. 41.1, S. 448), werden mit einer reduzierten (nichtflüssigen) Sprachproduktion assoziiert, bei der die syntaktische Struktur der Äußerungen vereinfacht ist und Funktionswörter sowie Flexionsformen immer wieder fehlen. Liegt die Läsion im Bereich der hinteren Sprachregion, dem sog. Wernicke-Areal (Abb. 41.1, S. 448), findet sich eine eher flüssige Sprachproduktion mit deutlichen Störungen in der Wortfindung, die sich in lautlichen Entstellungen und semantischen Unstimmigkeiten in der Wortwahl äußern. Im Gegensatz zu Patienten mit einer Läsion im Broca-Areal weisen Patienten mit einer Läsion im Wernicke-Areal ein auffallend eingeschränktes Sprachverständnis auf. Die sprachlichen Störungsmerkmale, die bei einem Aphasietyp vorliegen, zeigen sich expressiv wie rezeptiv, lautsprachlich wie schriftsprachlich, d. h. das Verarbeiten von sprachlicher Informationen beim Sprechen und Verstehen, Schreiben und Lesen greift auf dieselben zentralen Wissenssysteme zurück. Aphasien treten deshalb als supramodale Sprachstörungen auf.

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Kapitel 42: Dyslexien und Dysgrafien

Inhalt
  • 42.1 Klassische Vorstellungen zur Schriftsprachverarbeitung
  • 42.2 Neuere Vorstellungen zur Schriftsprachverarbeitung
    1. 42.2.1 Segmental-phonologische und ganzheitlich-semantische Verarbeitungsprozeduren beim Lesen
    2. 42.2.2 Zwei-Bahnen-Modell der Wortverarbeitung
  • 42.3 Lokalisation der Dyslexien und Dysgrafien

 

Kurzzusammenfassung

Den Vorgang des Lesens und Schreibens als eigenständige kognitive Leistung anzusehen, hat noch keine allzu lange Tradition. Die ersten Sprachverarbeitungsmodelle der klassischen deutschen Aphasiologie, in denen die schriftsprachlichen Prozesse (Lesen und Schreiben) den lautsprachlichen (Hören und Sprechen) als sekundär zugeordnet gedacht wurden, haben seit ihrem Entstehen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auch den Großteil des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst. Die Beziehung der schriftsprachlichen Modalitäten zueinander betreffend gab es Vorstellungen, dass das Schreiben dem Lesen sekundär zugeordnet sei.
Die zugrunde gelegten Modellvorstellungen führten auf der einen Seite zu entsprechenden theoretischen Erwartungen über mögliche Symptome und auf der anderen zu modellkonformen Einordnungen und Interpretationsversuchen der angetroffenen Störungsbilder.

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Kapitel 43: Zentrale Sprechstörungen

Inhalt
  • 43.1 Modelle
    1. 43.1.1 Pathoätiologische und pathophysiologische Modelle
    2. 43.1.2 Psycholinguistische und phonetische Modelle
  • 43.2 Klinische Störungsbilder
    1. 43.2.1 Paretische Dysarthrie
    2. 43.2.2 Ataktische Dysarthrie
    3. 43.2.3 Rigid-hypokinetische Dysarthrie
    4. 43.2.4 Choreatisch-hyperkinetische Dysarthrie
    5. 43.2.5 Fokale Dystonien der Sprechmuskulatur
    6. 43.2.6 Tremor
    7. 43.2.7 Sprechapraxie

 

Kurzzusammenfassung

Der Begriff der zentralen Sprechstörungen umfasst Störungen der am Sprechvorgang beteiligten motorischen Prozesse nach einer erworbenen Schädigung des zentralen Nervensystems. Dabei wird klinisch unterschieden zwischen den Dysarthrien, die als Störungen der elementaren motorischen Prozesse der Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen gelten, und der Sprechapraxie, die als Störung der Planung von Sprechbewegungen angesehen wird.

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Kapitel 44: Nichtverbale Kommunikation

Inhalt
  • 44.1 Erkennen von Gesichtsausdrücken und Gesichtsbewegungen
    1. 44.1.1 Dynamische Gesichter
    2. 44.1.2 Klinische Phänomene
  • 44.2 Erkennen von Körperausdrücken
    1. 44.2.1 Wahrnehmung von Emotionen anhand von Körperausdrücken im Vergleich mit Gesichtern
    2. 44.2.2 Klinische Phänomene
  • 44.3 Erkennen von Körperbewegungen und biologischer Bewegung
    1. 44.3.1 Bezug zum motorischen System
    2. 44.3.2 Klinische Phänomene

 

Kurzzusammenfassung

Kommunikation wird im Alltagssprachgebrauch oft mit verbaler Interaktion gleichgesetzt. Jedoch verwenden wir, großenteils unbewusst, auch eine ganze Reihe nichtverbaler Kommunikationssignale. Dazu gehören Gesichtsausdrücke, Gesten und Körperhaltungen sowie spezifische Körperbewegungen. Viele dieser Signale finden sich in ähnlicher Form auch bei nichthumanen Primaten und anderen Tieren. Verschiedene neurologische Defizite führen zu charakteristischen Fehlleistungen bei der Interpretation und Ausführung solcher nichtsprachlicher Kommunikationssignale. Wir fokussieren uns in diesem Kapitel auf nichtverbale Signale in Form von Körper- und Gesichtsbewegungen. Generelle Aspekte bezogen auf die Wahrnehmung von Gesichtern wurden in Kap. 15 dargestellt. Ein weiteres nichtverbales Signal ist die Sprachmelodie (Prosodie); dieser Aspekt wurde zusammen mit der Verarbeitung von Sprache in den vorangegangenen Kapiteln behandelt.

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VIII Zahlenverarbeitung

 

Kapitel 45: Neurobiologische Grundlagen der Zahlenverarbeitung

Inhalt
  • 45.1 Numerische Konzepte
  • 45.2 Numerische Quantität (Kardinalität)
    1. 45.2.1 Nichtsprachliche Repräsentation von Anzahlen
    2. 45.2.2 Einzelzellkorrelate nichtsprachlicher Anzahldiskriminierung
    3. 45.2.3 Bildgebung nichtsprachlicher und symbolischer Kardinalitäten
  • 45.3 Numerischer Rang (Position innerhalb einer Abfolge)
    1. 45.3.1 Nichtsprachliche Repräsentation ordinaler Positionen
    2. 45.3.2 Neurale Repräsentationen ordinaler Positionen
  • 45.4 Quantitative Regeln

 

Kurzzusammenfassung

Echtes Zählen und Mathematik stellen kulturelle Leistungen dar, die notwendigerweise Sprache voraussetzen (Kap. 46). Grundlegende numerische Fähigkeiten jedoch lassen sich bereits bei Organismen finden, die kein Sprachvermögen besitzen. So konnte die vergleichende Verhaltensforschung zeigen, dass Tiere Reize aufgrund von numerischer Information zu unterscheiden wissen, und die Entwicklungspsychologie verzeichnete einen Durchbruch, als es gelang, numerische Fähigkeiten bei wenige Monate alten Säuglingen zu belegen. Diese Erkenntnisse zeigen klar, dass numerische Fähigkeiten nicht de novo bei sprachbegabten Menschen entstehen, sondern auf biologischen Vorläufersystemen aufbauten.
Erste Einblicke in die neuralen Grundlagen des Zahlenverständnisses lieferten, historisch gesehen, Fallstudien an Patienten. Erworbene Rechenstörungen (sog. Akalkulien; Kap. 46) nach Schädigungen nahe des Übergangs zwischen parietalem, okzipitalem und temporalem Kortex oder des Frontallappens wurden schon früh beschrieben. Im Zuge der Entwicklung bildgebender Verfahren konnte die Verarbeitung numerischer Information auch zunehmend am intakten Gehirn untersucht werden. Jüngst vervollständigten an Primaten ermittelte Einzelzellkorrelate und -mechanismen die Erkenntnisse über die neurobiologischen Grundlagen der Zahlenverarbeitung. Dieses Kapitel befasst sich deshalb schwerpunktmäßig mit den nichtsprachlichen phylogenetischen und ontogenetischen Vorbedingungen echten sprachlichen Zählvermögens.

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Kapitel 46: Mathematische Leistungen und Akalkulien

Inhalt
  • 46.1 Modelle der mentalen Zahlenverarbeitung
    1. 46.1.1 Das asemantische Ein-Routen-Modell von Deloche u. Seron
    2. 46.1.2 Ein-Routen-Modell von McCloskey
    3. 46.1.3 Das »Triple-Code-Modell« von Dehaene und seine Erweiterungen
  • 46.2 Modelle der mentalen Arithmetik
  • 46.3 Neurofunktionale Modelle und Ergebnisse der funktionellen Bildgebung
  • 46.4 Akalkulie – Störungen der Rechenfähigkeit

 

Kurzzusammenfassung

Zahlen haben sehr unterschiedliche Eigenschaften. Zahlen werden verwendet, um die Anzahl einer Menge von Objekten oder bestimmte quantitative Größen, wie die Temperatur, die Körpergröße, das Alter oder den Preis einer Ware zu bezeichnen. Sie werden eingesetzt, um die Eignung von Bewerbern in eine Rangordnung zu bringen, oder sie dienen zur Kennzeichnung oder Identifizierung, wie bei Telefon-, Pass- oder Kontonummern, oder zur Bezeichnung, z. B. von Automarken. Zahlen dienen auch dazu, geschätzte Angaben etwa über Entfernungen, Gewichte oder Preise einer Ware zu machen; Zahlen sind zum Messen in den Naturwissenschaften und zur Formulierung von physikalischen Gesetzmäßigkeiten unerlässlich. Zahlen haben als mathematische Objekte bestimmte Eigenschaften: Sie können etwa gerade oder ungerade, Primzahlen oder ein ganzzahliges Vielfaches einer anderen Zahl sein. Bestimmte Zahlen können auch im deklarativen oder episodischen Gedächtnis (Kap. 49) gespeichert sein wie Jahreszahlen bedeutsamer Ereignisse oder das eigene Geburtsjahr.

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IX Musikwahrnehmung

 

Kapitel 47: Musikwahrnehmung und Amusien

Inhalt
  • 47.1 Musik als komplexe auditive Gestalt
  • 47.2 Anatomische und neurophysiologische Grundlagen der Musikwahrnehmung
    1. 47.2.1 Einhören und Gehörbildung: Die Plastizität des auditiven Systems beim Musikhören
    2. 47.2.2 Funktionelle Neuroanatomie der Musikwahrnehmung
  • 47.3 Amusien
    1. 47.3.1 Neuroanatomische Befunde bei amusischen Störungen

 

Kurzzusammenfassung

»Und ich fragte mich, ob nicht … die Musik das einzige Beispiel dessen sei, was – hätte es keine Erfindung der Sprache, Bildung von Wörtern, Analyse der Ideen gegeben – die mystische Gemeinschaft der Seelen hätte werden können. Sie ist wie eine Möglichkeit, der nicht weiter stattgegeben wurde; die Menschheit hat andere Wege eingeschlagen, die der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Aber diese Rückkehr zum Nichtanalysierbaren war so berauschend, dass mir beim Verlassen des Paradieses die Berührung mit mehr oder weniger klugen Menschen außerordentlich banal erschien.« (Marcel Proust, »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«, S. 3096–3097)
In diesem Zitat wird das Wesen der Musik meisterhaft beschrieben. Als einzige Spezies besitzt Homo sapiens zwei lautliche Kommunikationssysteme, nämlich Sprache und Musik. Während sprachliche Kommunikation durch die Möglichkeit der Informationsübermittlung zweifellos einen evolutionären Vorteil mit sich brachte, ist bis heute umstritten, warum sich Musik als weiteres Kommunikationssystem erhielt oder entwickelte. Anthropologische Theorien betonen den Gemeinschaft stiftenden Aspekt der Musik. Früher dienten Wiegenlieder, Arbeitslieder (»Spinnerlieder«, »Erntelieder«) oder Kriegslieder (Marschmusik) diesem Zweck, heute wird der soziale Aspekt des Musizierens und Musikhörens eher in der Identifikation und der gegenseitigen Abgrenzung unterschiedlicher Jugendkulturen deutlich. Musikausübung und Musikwahrnehmung dienen danach als Mittel zur Organisation des Gemeinschaftsleben und stärken die Bindung einer Gruppe bei Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen. Ein zweiter Aspekt, den Proust anspricht, ist Musik als Mittel, um intensive Emotionen zu erzeugen. Die »Gänsehaut« beim Hören bestimmter Musikstücke als vegetative Begleitreaktion der Aktivierung des limbischen Systems kennen die meisten Menschen. Derartige starke emotionale Reaktionen sind nicht nur von einer Aktivierung der neuronalen Korrelate des Belohnungssystems mit Ausschüttung von Endorphinen begleitet, sondern wirken sich auch positiv auf den Immunhaushalt des Körpers aus. Die dominante Rolle von Musik in unserem Alltag zeigt sich darin, dass in Umfragen Musizieren oder Musikhören am häufigsten als Hobby genannt wird. Musik wird nach Familie, Freundschaft und Gesundheit als wichtiger Grundwert angesehen und rangiert vor Sport, Religion und Reisen.

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X Gedächtnis

 

Kapitel 48: Funktionen und Modelle des Gedächtnisses

Inhalt
  • 48.1 Langzeitgedächtnis
    1. 48.1.1 Systemorientierte Perspektive auf das Langzeitgedächtnis
    2. 48.1.2 Prozessorientierte Perspektive auf das Langzeitgedächtnis
  • 48.2 Arbeitsgedächtnis
  • 48.3 Sensorisches Gedächtnis

 

Kurzzusammenfassung

»Life lost in limbo, dissolving« – so charakterisiert Oliver Sacks (1985, S. 28) in belletristischem Pathos die Situation eines Marinesoldaten, dessen Autobiografie etwa 30 Jahre vor seiner amnestischen Erkrankung stehen geblieben zu sein schien. Aus diesen 3 Jahrzehnten erinnert er weder persönliche Ereignisse (z. B. sein Ausscheiden aus der Armee) noch allgemeine Sachverhalte (z. B. die technische Möglichkeit des Mondflugs). Auch an aktuelle Ereignisse und Fakten kann er sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr erinnern. Der Blick in den Spiegel irritiert ihn, weil das Aussehen seines Gesichts in krassem Gegensatz zu seinem subjektiven Alter steht. Andererseits kann er einer Konversation folgen. Er versteht sein Gegenüber und kann sinnvoll antworten. Dazu muss er Informationen mindestens kurzzeitig gut behalten können. In der Tat sind seine kurzfristigen Behaltensleistungen unauffällig.

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Kapitel 49: Neuroanatomie und Störungen des Gedächtnisses

Inhalt
  • 49.1 Einspeicherung von Information
    1. 49.1.1 Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis
    2. 49.1.2 Limbisches System
    3. 49.1.3 Frontalhirn
    4. 49.1.4 Neurale Grundlagen der Einspeicherung
  • 49.2 Informationskonsolidierung
  • 49.3 Ablagerung von Information
  • 49.4 Abruf gespeicherter Information
  • 49.5 Psychische Korrelate von Gedächtnisstörungen
  • 49.6 Schlussfolgerungen

 

Kurzzusammenfassung

Der Königsweg zur Erforschung der Arbeitsweise des Gehirns und damit auch der Repräsentation des Gedächtnisses lag bis vor einer Dekade in der Untersuchung des Verhaltens nach Hirnschäden – entweder bei Patienten oder im »Tiermodell «. Insbesondere in der alten Literatur finden sich Einzelfallbeschreibungen, in denen mit Akribie Gespräche und Testsitzungen aufgezeichnet sind (Markowitsch 1992). Und auch frühe Tierversuche waren häufig durch eine penible Registrierung kleinster und kürzest währender Reaktionsmuster und Verhaltensabweichungen gekennzeichnet. Die zunehmende Verfügbarkeit raffinierter Operationstechniken und ausgeklügelter Testapparaturen (»Skinner-Box«) und Verhaltensdesigns (»delayed-non-match-to-sample tasks«) erlaubte eine präzise Zuordnung zwischen der Hirn- und der Verhaltensebene. Auf Humanebene kommt hinzu, dass eine Vielfalt von Hirnschadensätiologien Gedächtnisstörungen im Gefolge hat (Übersicht). Dennoch gilt es, Ergebnisse an hirngeschädigten Tieren und Menschen kritisch zu bewerten (Diskussion Kap. 2). Heutzutage werden viele Erkenntnisse aus Arbeiten mit diesen Methoden zwar nicht in Frage gestellt, aber angesichts des enormen Aufschwungs an mit funktioneller Hirnbildgebung gewonnenen Erkenntnissen doch in ein neues, ganzheitlicheres Licht gesetzt. Da Stoffwechselaktivitäten und -veränderungen im Gesamthirn gemessen werden können, lassen sich sowohl die Beziehungen zwischen Hirnregionen untereinander als auch die in Bezug auf einen Schädigungsort außerordentlich differenziert erfassen und vergleichen.

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Kapitel 50: Konfabulationen und Realitätsfilter

Inhalt
  • 50.1 Intrusionen (einfache provozierte Konfabulationen)
  • 50.2 Augenblickskonfabulationen
    1. 50.2.1 Hypothesen zum Mechanismus
  • 50.3 Fantastische Konfabulationen
  • 50.4 Spontane Verhaltenskonfabulationen und Realität
    1. 50.4.1 Anatomie
    2. 50.4.2 Mechanismus
    3. 50.4.3 Realitätsfilter-Hypothese

 

Kurzzusammenfassung

Konfabulationen wurden definiert als das »Auftauchen von Erinnerungen an Vorkommnisse und Erlebnisse, die gar nicht dagewesen sind« (Wernicke 1900). Der Begriff wird im Allgemeinen auf Krankheitszustände begrenzt und damit von falschen Erinnerungen, wie sie bei Gesunden auftauchen, unterschieden. Über die Mechanismen ist viel spekuliert worden. Die meisten psychologischen Modelle verkennen die Tatsache, dass es verschiedene, voneinander unabhängige Formen von Konfabulationen gibt (Schnider 2008). Im Folgenden werden vier Formen gesondert diskutiert. Die spontanen Verhaltenskonfabulationen haben dabei eine besondere Bedeutung: Sie beruhen auf einer Verwechslung der Realität im Denken. Ihre Untersuchung hat Hinweise darauf gegeben, wie das Gehirn zwischen Realität und Fantasie unterscheidet.

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XI Frontalhirnfunktionen

 

Kapitel 51: Die funktionelle Architektur des präfrontalen Kortex

Inhalt
  • 51.1 Flexibilität des Verhaltens und kognitive Kontrolle
  • 51.2 Kognitive Kontrolle und »Bias-Signale«

 

Kurzzusammenfassung

Mit dem Begriff des präfrontalen Kortex wird der vordere Teil des Frontallappens bezeichnet, ein etwas unglücklicher Begriff, nachdem der Kortex, um den es geht, ja nicht vor dem Frontallappen liegt, sondern Teil des Frontallappens ist.

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Kapitel 52: Funktionen frontaler Strukturen

Inhalt
  • 52.1 Frontalhirnfunktionen: Einheit oder Vielfalt?
  • 52.2 Laterale und polare Anteile des Frontalhirns
    1. 52.2.1 Lateraler präfrontaler Kortex
    2. 52.2.2 Frontopolarer Kortex
  • 52.3 Medianwand und orbitofrontaler Kortex
    1. 52.3.1 Werterepräsentationen, Entscheidungen und kognitive Kontrolle
    2. 52.3.2 Emotion und Schmerz
    3. 52.3.3 Weitere Funktionen der frontalen Medianwand

 

Kurzzusammenfassung

Das Frontalhirn ist sowohl funktionell als auch anatomisch in verschiedene, miteinander interagierende, Teilgebiete gegliedert (Abb. 52.1, S. 589). Traditionell werden motorische, prämotorische, präfrontale und frontal-limbische Sektoren unterschieden. Die Grenzen dieser Areale sind konzeptuell unscharf und anhand makroskopisch-anatomischer Merkmale schwer zu ziehen. Die genannten Gebiete unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Zytoarchitektonik und ihrer Faserverbindungen zu anderen Hirnstrukturen. Es liegt nahe – und viele Untersuchungen bestätigen dies – dass die unterschiedlichen Strukturen und Verschaltungen mit verschiedenen Funktionen assoziiert sind. Wie bereits im vorangegangenen Kap. 51 dargestellt, ist der frontale Kortex besonders intensiv und reziprok mit anderen Hirnregionen verschaltet. Schon aus dieser anatomisch besonderen Situation heraus erscheint es naheliegend, dass das Frontalhirn die Informationsflüsse aus dem sensorischen und motorischen System sowie somatische Einflüsse vom »milieu interne« integriert. Es scheint, als befinde sich der frontale Kortex auf der obersten Hierarchieebene sowohl des sensorischen als auch des motorischen Systems (Fuster 2000, 2008). Dennoch muss man mit einer zu strikten hierarchischen Sichtweise Vorsicht walten lassen, denn die dem Frontalhirn zugeschriebenen Funktionen sind nicht allein sein Produkt, sondern resultieren aus dem Zusammenwirken vieler Teile eines frontoposterioren Netzwerkes. Zweifellos nimmt das Frontalhirn Einfluss (»top down«), wird aber im Gegenstrom (»bottom up«) in gleicher Weise von all den anderen Hirnregionen, mit denen es verknüpft ist und die wiederum indirekt Verbindungen zum Körper und zur Umgebung des Organismus herstellen, beeinflusst.

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Kapitel 53: Manifestationen von Frontalhirnschädigungen

Inhalt
  • 53.1 Wesensänderung nach präfrontaler Schädigung
  • 53.2 Störungen der Exekutivfunktionen
    1. 53.2.1 Verhalten im Alltag
    2. 53.2.2 Regelverstöße (»rule breaking«)
    3. 53.2.3 Perseveration, Inflexibilität, Rigidität
    4. 53.2.4 Arbeitsgedächtnis
  • 53.3 Störungen der »Theory of Mind«
  • 53.4 Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen
    1. 53.4.1 Theorie von Shallice und Norman
    2. 53.4.2 Somatische Markerhypothese
    3. 53.4.3 Weitere Modelle des präfrontalen Kortex
    4. 53.4.4 Abschließende Bemerkung zu den kognitiven Modellen

 

Kurzzusammenfassung

Der erste aufgezeichnete Bericht über einen Fall mit ausgeprägter Verhaltensänderung aufgrund einer Frontalhirnschädigung erzählt die Geschichte von Phineas Gage. Der 25-jährige Vorarbeiter erlitt 1848 beim Eisenbahnbau in Vermont (New England, USA) einen tragischen Unfall. Bei der Vorbereitung einer Sprengung durchbohrte eine Eisenstange den vorderen Teil seines Schädels. Sie hatte eine so große Wucht, dass sie nicht im Schädel stecken blieb, sondern weiterflog und einen etwa 3 cm breiten Penetrationskanal hinterließ. Der Patient überlebte diesen Unfall. Bei der neurologischen Untersuchung fand sich zunächst lediglich ein kompletter Sehverlust des linken Auges. Motorik, Sensorik, Koordination und Sprache waren nicht beeinträchtigt. Allerdings entwickelte der Patient ausgeprägte Veränderungen in seinen Persönlichkeitszügen. Der zuvor für seine Besonnenheit und ausgeglichenen Charakter bekannte Gage fiel nunmehr durch Respektlosigkeit und launisches Verhalten auf. Er wurde rasch ungeduldig, fluchte unvermittelt, wirkte manchmal halsstarrig und zeigte sich gegenüber Zukunftsplänen dann auch wieder sehr wankelmütig. Seine Entscheidungen waren impulsiv und nicht vorausschauend. Dies stand in starkem Kontrast zu den wenig veränderten sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten. Er konnte seinen alten Beruf als Vorarbeiter nicht mehr ausüben, sondern war nur noch zu Hilfsarbeiten fähig. Zeitweilig wurde er im Zirkus als Sensation vorgeführt. Im Alter von 38 Jahren verstarb er.

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XII Beiträge des Kleinhirns zu kognitiven Leistungen?

 

Kapitel 54: Kleinhirn und exekutive Funktionen, Sprache sowie visuell-räumliche Funktionen

Inhalt
  • 54.1 Neuroanatomische Grundlagen
  • 54.2 Funktionelle Kompartimentierung
  • 54.3 Exekutive Funktionen
  • 54.4 Sprache
  • 54.5 Visuell-räumliche Funktionen
  • 54.6 Allgemeine Intelligenz
  • 54.7 Rolle des Kleinhirns bei psychischen Erkrankungen?

 

Kurzzusammenfassung

Traditionell werden dem Kleinhirn motorische Aufgaben zugeordnet. Erkrankungen des Kleinhirns führen zu Störungen der Bewegungskoordination (zerebelläre Ataxie) und von motorischen Lernvorgängen. Das Kleinhirn unterstützt aber wahrscheinlich nicht nur motorische Funktionen, sondern spielt auch für bestimmte kognitive Aufgaben eine Rolle. 1986 ist von Leiner und Mitarbeitern ein theoretischer Artikel mit dem Titel »Does the cerebellum contribute to mental skill?« erschienen. Dem Artikel liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Größe der Kleinhirnhemisphären und des größten Kleinhirnkerns (des Nucleus dentatus) im Laufe der Evolution zum Menschen parallel zur Größe des Frontallappens zugenommen hat. Weil der Frontallappen gleichzeitig neben seinen motorischen immer mehr kognitive Aufgaben übernimmt, postulieren die Autoren, dass sich das Aufgabengebiet des Kleinhirns entsprechend ausgeweitet hat. In der Zwischenzeit veröffentlichte Ergebnisse aus der Neuroanatomie, der funktionellen Bildgebung und aus neuropsychologischen Untersuchungen bei Patienten mit Kleinhirnerkrankungen stützen die Hypothese, dass das Kleinhirn an bestimmten kognitiven Aufgaben beteiligt ist (Übersicht in Strick et al. 2009). Eine primäre Lokalisation von kognitiven Funktionen im Kleinhirn wird jedoch nicht angenommen. Analog zu seiner Rolle für die Kontrolle von Bewegungen wird vielmehr postuliert, dass das Kleinhirn kortikale Funktionen moduliert. In Anlehnung an die motorischen Symptome ist von Jeremy Schmahmann (2010) der Begriff »dysmetria of thought« eingeführt worden; Nancy Andreasen (1998) spricht von »cognitive dysmetria«.

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Kapitel 55: Kleinhirn und visuelle Wahrnehmung

Kurzzusammenfassung

Das Kleinhirn spielt eine entscheidende Rolle für die visuelle Wahrnehmung, weil es die Optimierung zielgerichteter Augenbewegungen sicherstellt. Für beide Typen zielgerichteter Augenbewegungen – Sakkaden und langsame Augenfolgebewegungen – gilt, dass ihre Qualität von der Integrität des Kleinhirns abhängt. Beobachtungen an Patienten mit Kleinhirnerkrankungen sprechen darüber hinaus dafür, dass das Kleinhirn auch unabhängig von seinem Beitrag zur Optimierung visuell geführter Augenbewegungen zur visuellen Wahrnehmung beiträgt.

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XIII Affektivität

 

Kapitel 56: Psychologie der Emotionen

Inhalt
  • 56.1 Was sind Emotionen?
  • 56.2 Motivationale Organisation von Emotionen
  • 56.3 Emotionale Bahnung: Modulation der Schreckreaktion

 

Kurzzusammenfassung

Was William James einmal über Aufmerksamkeit sagte, trifft auch für die Definition von Emotionen zu: »Everyone knows what an emotion is … until one is asked to give a definition« (Fehr u. Russell 1984, S. 464). Obwohl es schwierig ist, Emotionen so zu definieren, dass jeder zustimmen würde, gibt es doch eine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Arbeitsdefinition.

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Kapitel 57: Physiologie und Anatomie der Emotionen

Inhalt
  • 57.1 Tierexperimentelle Untersuchungen
    1. 57.1.1 Amygdala
    2. 57.1.2 Orbitofrontaler Kortex
    3. 57.1.3 Ventrales Striatum
    4. 57.1.4 Weitere »Trigger-Strukturen«
    5. 57.1.5 Effektorsysteme
  • 57.2 Untersuchungen am Menschen
    1. 57.2.1 Amygdala
    2. 57.2.2 Orbitaler und ventromedialer präfrontaler Kortex
    3. 57.2.3 Rolle der rechten Hemisphäre
    4. 57.2.4 Weitere Strukturen: Insel und cingulärer Kortex

 

Kurzzusammenfassung

Wie im vorangegangenen Kap. 56 dargestellt umfasst emotionales Verhalten eine Reihe zentralnervöser Funktionen, die Wahrnehmungsinhalte in Beziehung setzen zur Wertigkeit und Bedeutung dieser Stimuli für das Überleben und die Homöostase eines Organismus. In diesem Zusammenhang lassen sich drei grundlegende Verarbeitungsstufen unterscheiden: Evaluation von Stimuluskonfigurationen, endokrine, vegetativ-autonome und somatomotorische Reaktionen sowie das Erleben der damit verknüpften Gefühlszustände.

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Kapitel 58: Störungen des emotionalen Erlebens und Verhaltens

Inhalt
  • 58.1 Veränderungen der Befindlichkeit bei neurologischen Erkrankungen (depressive Verstimmungen, Manie, Angststörungen)
    1. 58.1.1 Zerebrovaskuläre Syndrome (Durchblutungsstörungen)
    2. 58.1.2 Degenerative Erkrankungen der Basalganglien
    3. 58.1.3 Funktionsstörungen des Kleinhirns
  • 58.2 Dissoziation von emotionalem Erleben und stimmlich-mimischem Verhalten
    1. 58.2.1 Zwangslachen und -weinen
    2. 58.2.2 Motorische Aprosodie (Hypophonie) und Amimie (Hypomimie)
  • 58.3 Beeinträchtigungen der Perzeption emotionaler Stimuli
    1. 58.3.1 Unilaterale kortikale bzw. subkortikale Läsionen
    2. 58.3.2 Erkrankungen der Basalganglien
  • 58.4 Einschränkungen von Affektkontrolle und Verhaltensantrieb
    1. 58.4.1 Funktionsstörungen des limbischen Systems
    2. 58.4.2 Das sog. Orbitalhirnsyndrom

 

Kurzzusammenfassung

Im Rahmen affektiven Verhaltens lassen sich drei grundlegende Verarbeitungsebenen unterscheiden: Erleben, Wahrnehmung und Äußerung emotionaler Zustände (Kap. 57). An diesen Dimensionen orientiert sich die folgende Darstellung von Affektstörungen nach erworbenen umschriebenen Hirnschädigungen oder morphologisch bzw. biochemisch definierten zerebralen Systemerkrankungen. Veränderungen des emotionalen Erlebens und Verhaltens im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen sollen nicht thematisiert werden, da diese Störungsbilder in der Regel nicht der Neuropsychologie zugerechnet werden. Die meisten Untersuchungen stützen sich auf die Terminologie der klinischen Psychopathologie (Depression, Manie, Angststörung, Reizbarkeit etc.), aus diesen Gründen orientieren sich auch die folgenden Ausführungen am klinisch-psychiatrischen Sprachgebrauch.

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XIV Bewusstsein

 

Kapitel 59: Neuronale Grundlagen des Bewusstseins

Inhalt
  • 59.1 Was ist Bewusstsein?
  • 59.2 Wie lässt sich Bewusstsein empirisch erforschen?
  • 59.3 Wachheit: Zur Neurobiologie von Schlaf, Traum und Koma
    1. 59.3.1 Schlaf und Traumbewusstsein
    2. 59.3.2 Bewusstlosigkeit durch Narkose
    3. 59.3.3 Koma, vegetativer Zustand und minimaler Bewusstseinszustand
  • 59.4 Bewusstsein repräsentationaler Zustände
  • 59.5 Neuronale Dynamik bewusster Zustände
  • 59.6 Allgemeine theoretische Ansätze: Globale Verfügbarkeit und Informationsintegration

 

Kurzzusammenfassung

Der Zustand nach dem Aufwachen, die intensive Verkostung eines Weins, die detaillierte Planung einer Reise, die Erinnerung an ein persönlich bedeutsames Ereignis – dies alles können Menschen bewusst erleben. Auch wenn sie es nicht immer so genannt haben – wurde das Wort »Bewusstsein« im Deutschen doch erst 1719 eingeführt. Auch das klassische Griechisch der Philosophie kennt kein Wort für Bewusstsein. Nachdem es – als Folge der behavioristischen Orientierung der Psychologie – bis fast in die 1980er Jahre verpönt war, Bewusstsein zu erforschen, hat sich in den letzten Jahren eine reichhaltige kognitive und neurowissenschaftliche Bewusstseinsforschung etabliert (vgl. Bayne et al. 2009; Tononi u. Koch 2008; Kiefer 2008). In diesem Kapitel soll eine Übersicht über den gegenwärtigen Stand der Forschung zu den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins (NCC; »neural correlates of consciousness«) gegeben werden.

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Kapitel 60: Bewusstsein und funktionelle Bildgebung

Inhalt
  • 60.1 Bewusstseinsinhalte
  • 60.2 Bewusstseinsstruktur
  • 60.3 Unbewusste Verarbeitung
  • 60.4 Bewusstseinsschwelle

 

Kurzzusammenfassung

Bis vor kurzem beruhten Modelle über den Zusammenhang zwischen menschlicher Hirnaktivität und Bewusstsein weitgehend auf sehr indirekten Daten. Mit dem Aufkommen moderner neurowissenschaftlicher Messmethoden, insbesondere der Positronenemissionstomografie (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) wurde es zum ersten Mal möglich, die menschliche Hirnaktivität nichtinvasiv und mit hoher räumlicher Auflösung während der Verarbeitung kognitiver Aufgaben zu messen (Posner u. Raichle 1996). Damit erhielt auch die Erforschung der neuronale Korrelate des Bewusstseins (»neural correlates of consciousness«, NCC) einen neuen Schub (Koch 2005). Es wurde möglich, die Rolle bestimmter, klar eingrenzbarer Hirnregionen bei Bewusstseinsprozessen zu bestimmen. Dabei ist stets zu beachten, dass die räumliche Auflösung von PET und fMRT im Vergleich zu invasiven Ableitungen einzelner Zellen sehr begrenzt ist, weshalb sich in der Regel erst aus der Integration von tierexperimentellen Daten mit nichtinvasiven Messungen am Menschen ein genaues Bild ergibt. Bei der Integration dieser sehr divergenten Datenquellen spielen mathematische Modelle eine immer größere Rolle.

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Kapitel 61: Bewusstseinsstörungen

Inhalt
  • 61.1 Somnolenz und Koma
  • 61.2 Apallisches Syndrom und minimales Bewusstsein
  • 61.3 Locked-in-Syndrom und akinetischer Mutismus
  • 61.4 Verwirrtheit und Delir

 

Kurzzusammenfassung

Bewusstsein ist ein Konstrukt, das der philosophischen, psychologischen und neurobiologischen Analyse erhebliche Probleme bereitet (hierzu Kap. 59; Diskussionen auch bei Searle 1990; Velmans 1991; Gray 1995; Pauen 2006). Für die Klinik ist diese Debatte von geringer Bedeutung; sie bildet Bewusstseinsregungen und -störungen auf beobachtbare und messbare Phänomene ab und definiert so Koma, Somnolenz, apallisches Syndrom, minimales Bewusstsein und Verwirrtheit bzw. Delir als organisch bedingte Bewusstseinsstörungen. Dennoch ergeben sich aus der Klinik, insbesondere aus der Abgrenzung von apallischem Syndrom und dem Zustand minimalen Bewusstseins, Hinweise, die auch für die neurobiologische Diskussion relevant sind. So lassen sich auch im Koma und im apallischen Syndrom Prozesse der kognitiven Informationsverarbeitung feststellen, die darauf hinweisen, dass Bewusstsein kein einheitliches Konstrukt ist, sondern sich aus Modulen zusammensetzt (»microconsiousnesses«; Zeki 2008).

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XV Lateralität

 

Kapitel 62: Hirnanatomische Asymmetrien

Inhalt
  • 62.1 Sylvische Fissur
  • 62.2 Globale Rechts-links-Unterschiede
    1. 62.2.1 Planum-temporale-Asymmetrie
  • 62.3 Asymmetrien im handmotorischen Areal
  • 62.4 Interhemisphärischer Informationsaustausch
  • 62.5 Weitere anatomische Asymmetrien

 

Kurzzusammenfassung

Unter anatomischen Hemisphärenasymmetrien fasst man makroskopische und mikroskopische anatomische (zyto-, myelo, glio- oder angioarchitektonische) Unterschiede zwischen beiden Hirnhemisphären zusammen. Solche Rechtslinks-Unterschiede werden auch oft kurz als Asymmetrien oder, wenn das Phänomen der Asymmetrie im Vordergrund steht, als Lateralisierung bezeichnet. Makroanatomische Rechts-links-Unterschiede können im Volumen der Hemisphären bestimmter Hirnareale, in der Gyrierung sowie in der Form und Länge bestimmter Sulci ausgemacht werden. Hinsichtlich der mikroskopischen Asymmetrien kann die Anzahl und das Volumen von Neuronen und Gliazellen sowie das Ausmaß der intrahemisphärischen Verkabelung Rechts-links-Unterschiede ausmachen.

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Kapitel 63: Funktionale Links-rechts-Asymmetrien

Inhalt
  • 63.1 Sprache: Eine Funktion der linken Hemisphäre
    1. 63.1.1 Experimentalpsychologische Befunde
  • 63.2 Befunde mittels bildgebender Verfahren
  • 63.3 Asymmetrische Aktivitätsbeeinflussung der Hemisphären
  • 63.4 Dynamik der funktionellen Asymmetrie
  • 63.5 Entwicklung funktionaler Hemisphärenasymmetrien
    1. 63.5.1 Genetische oder nichtgenetische Modelle zur Erklärung der Hemisphärenasymmetrie
    2. 63.5.2 Geschlechtsunterschiede hinsichtlich funktionaler Asymmetrien
  • 63.6 Warum verfügt das Gehirn über lateralisierte Funktionen?

 

Kurzzusammenfassung

Unter funktionalen Asymmetrien fasst man Leistungsunterschiede zwischen den Hirnhemisphären in der Wahrnehmung, Kognition sowie der motorischen Kontrolle zusammen. Solche Leistungsunterschiede wurden erstmalig durch Läsionsstudien in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgedeckt. Im Rahmen dieses Kapitels werden die wesentlichsten funktionalen Asymmetrien dargestellt, soweit sie an gesunden Personen erhoben werden können. Funktionale Asymmetrien im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen werden in den entsprechenden Kapiteln dieses Lehrbuches gewürdigt (z. B. Aufmerksamkeitsstörungen, Aphasien, Apraxien und Agnosien). Die am häufigsten untersuchte funktionale Asymmetrie, die Händigkeit, wird in einem gesonderten Kapitel dargestellt (Kap. 64).

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Kapitel 64: Händigkeit

Inhalt
  • 64.1 Handpräferenz und Handgeschicklichkeit
  • 64.2 Hypothesen zur Händigkeit
    1. 64.2.1 Abkehr von Spiegelbildhypothesen
    2. 64.2.2 Unterschiedlich verteilte Informationsverarbeitung bei Rechts- und Linkshändern

 

Kurzzusammenfassung

Die Hände haben – wie das Gehirn auch – im Laufe der Evolution einen großen Funktionswandel erfahren. Aus den Vorderpfoten eines Säugers, der auf allen Vieren geht, entwickelten sich über Millionen von Jahren unsere Hände, die – mit einem Drehgelenk ausgestattet – zu räumlichzeitlich hochdifferenzierten Greif-, Dreh-, Stoß- und Ziehbewegungen in der Lage sind. In der daraus resultierenden (Hand-)Geschicklichkeit werden wir Menschen, sowohl was die Komplexität als auch die Präzision möglicher Bewegungsabfolgen angeht, von keinem anderen auf zwei Beinen gehenden Primaten übertroffen (Wilson 2000).

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Kapitel 65: Verhaltensstörungen und hirnanatomische Asymmetrien

Inhalt
  • 65.1 Anatomische Asymmetrien und Legasthenie bzw. Dyslexie
  • 65.2 Atypische Asymmetrien bei Schizophrenien
  • 65.3 Weitere atypische anatomische Asymmetrien

 

Kurzzusammenfassung

Für eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten wurden atypische Hemisphärenasymmetrien als Ursache diskutiert. So wurde schon sehr früh die Hypothese geäußert, dass verzögerte Sprachentwicklung, Legasthenie und Stottern mit unklaren bzw. atypischen kortikalen Dominanzverhältnissen zusammenhängen würden. Unter atypischen Dominanzverhältnissen versteht man dabei eine von der Norm abweichende Asymmetrie. Wie in Kap. 62 dargelegt wurde, ist z. B. die volumetrische Links>rechts-Asymmetrie des Planum temporale als typische bzw. normgerechte Asymmetrie zu bezeichnen. Alle davon abweichenden Asymmetrien (reduzierte Links>rechts-Asymmetrie, Rechts>links-Asymmetrie) oder Symmetrie (links = rechts) werden demzufolge als atypisch bezeichnet. Die Vermutung, dass für die oben genannten Sprach- und Sprechstörungen atypische kortikale Dominanzverhältnisse vorliegen würden, wird dadurch genährt, dass bei diesen Störungen gehäuft Linkshändigkeit oder andere atypische funktionale Asymmetrien festgestellt werden. In neuerer Zeit werden auch unklare kortikale Dominanzverhältnisse mit psychiatrischen Störungen wie Schizophrenie, endogene Depression, Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störungen, Gilles-de-la-Tourette-Syndrom und Zwangsstörungen in Verbindung gebracht. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass bislang noch nicht eindeutig geklärt ist, ob diese Lateralisierungsauffälligkeiten die Folge oder die Ursache der Verhaltensstörungen sind. Der größte Teil der bislang zu diesem Thema publizierten Arbeiten bezieht sich auf atypische Asymmetrien in perisylvischen und temporalen Hirnbereichen. Es werden allerdings auch atypische Asymmetrien für den Frontalkortex, den Hippocampus, die Amygdala, den Ncl. caudatus, das Putamen und den Globus pallidus berichtet.

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XVI Funktionsanpassung und Plastizität

 

Kapitel 66: Kortikale Reorganisation

Inhalt
  • 66.1 Morphologische neuronale Plastizität und kortikale Reorganisation
  • 66.2 Gebrauchsabhängige kortikale Reorganisation beim Menschen
    1. 66.2.1 Kreuzmodale (intermodale) Plastizität
    2. 66.2.2 Kortikale Reorganisation – »top-down« oder »bottom-up«?
  • 66.3 Neuropsychologische Konsequenzen und therapeutische Nutzung kortikaler Reorganisation
    1. 66.3.1 Umkehrung kortikaler Reorganisation zur Linderung des Phantomschmerzes
    2. 66.3.2 Modell der fokalen Dystonie der Hand

 

Kurzzusammenfassung

Die kortikalen rezeptiven Felder repräsentieren in der geordneten Form einer Karte die räumliche Anordnung der Rezeptoren in der Peripherie. So bilden die Kerne entlang der sensorischen Bahnen und schließlich die Kortexareale den visuellen Raum (Ort auf der Retina), die Körperoberfläche oder die Tonhöhe (Ort in der Cochlea) ab. Zwar entwickelt sich die Organisation dieser Karten aufgrund der geordneten Bahnen von der Peripherie zu den ersten Schaltstationen und von dort zu weiteren Zielorten; sie hängt aber auch in hohem Maße von intrinsischen Mechanismen der Aufrechterhaltung oder Verstärkung synaptischer Wirksamkeit in diesen Nervenzellverbänden und damit von der Koinzidenz eingehender neuronaler Impulse ab. Veränderung des relativen Gewichts von Afferenzen in einem Hirnsystem, etwa durch Inaktivation (Deafferenzierung) oder Übererregung in einigen Verbindungen, kann zur Reorganisation der Karte führen. Berücksichtigung dieser Erkenntnisse und Prinzipien eröffnet Perspektiven in der neurologischen und sogar psychiatrischen Rehabilitation.

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Kapitel 67: Funktionsanpassung im motorischen System

Inhalt
  • 67.1 Plastische Änderungen durch Lernen
  • 67.2 Plastische Änderungen während des Alterns
  • 67.3 Plastische Änderungen nach einer umschriebenen Schädigung
    1. 67.3.1 Ausblick: Förderung der funktionellen Regeneration nach Schlaganfall mit transkraniellen Stimulationstechniken

 

Kurzzusammenfassung

Lange Zeit wurde angenommen, dass das alternde und/oder geschädigte Gehirn sich nur sehr begrenzt funktionellen neuroplastischen Reorganisationsprozessen unterziehen kann. Studienergebnisse der letzten Jahre konnten diese Annahme jedoch klar widerlegen. Neuroplastizität und konsekutive Funktionsanpassung ist nicht ein exklusives Merkmal des jungen, sich entwickelnden Gehirnes, sondern lässt sich im motorischen System auch im höheren Alter und auch nach einer umschriebenen Hirnschädigung und einem dadurch bedingten Funktionsverlust nachweisen.

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Kapitel 68: Funktionsanpassung im sprachlichen System

Inhalt
  • 68.1 Sprachnetzwerke im gesunden Gehirn
  • 68.2 Reorganisation im Sprachsystem nach Schlaganfall
  • 68.3 Vorhersage der Erholung im Sprachsystem
  • 68.4 Therapieinduzierte Plastizität im Sprachsystem
    1. 68.4.1 Ausblick: Förderung der Reorganisation nach Schlaganfall mit transkraniellen Stimulationstechniken

 

Kurzzusammenfassung

Bei etwa einem Drittel aller Schlaganfallpatienten beobachtet man eine Aphasie. Dabei zeigen selbst schwer betroffene Patienten oftmals eine erstaunlich gute Erholung ihrer Sprachfunktionen. Bereits in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall kann man häufig eine rasche Verbesserung beobachten, die dann in einen eher protrahierten Verlauf übergeht. Diese Beobachtung legt nahe, dass unterschiedliche Mechanismen in den verschiedenen Phasen zur sprachlichen Verbesserung beitragen. Die Grundlage dieser Erholung stellt die plastische Organisation von Sprache in einem bilateralen temporofrontalen Netzwerk dar, die es dem Gehirn ermöglicht, variabel auf eine fokale Schädigung zu reagieren und den Funktionsverlust durch Reorganisation zu kompensieren.

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Kapitel 69: Funktionsanpassung im visuellen System nach peripherer Schädigung

Inhalt
  • 69.1 Elementare Wahrnehmungsfunktionen blinder Menschen
  • 69.2 Sprachwahrnehmung blinder Menschen
  • 69.3 Räumliche Kognitionen blinder Menschen
  • 69.4 Interpersonale Wahrnehmung blinder Menschen
  • 69.5 Funktionelle Erholung nach sensorischer (visueller) Restitution

 

Kurzzusammenfassung

Die Prinzipien der neuronalen Plastizität und ihre funktionelle Bedeutung wurden am Tiermodell häufig durch systematische Manipulation der sensorischen Eingänge erforscht. An diese Forschung anknüpfend wurden in den letzten Jahren mithilfe neurophysiologischer und bildgebender Verfahren zahlreiche Studien am Menschen durchgeführt, denen aufgrund peripherer Defekte die Eingänge aus einem Sinnessystem fehlen. Im Mittelpunkt stand und steht die Frage, bis zu welchem Umfang sensorische Deprivation durch die verbleibenden Systeme (also hier, die intakten Sinnessysteme) kompensiert werden kann (Verhaltensplastizität) und welche neuronalen Mechanismen (Neuroplastizität) solchen kompensatorischen Leistungen zugrunde liegen. Im folgenden Kapitel werden diese Aspekte exemplarisch für die visuelle Deprivation, d. h. vor allem anhand blinder Menschen, dargestellt.

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Kapitel 70: Neuroplastizität des sich entwickelnden Gehirns

Inhalt
  • 70.1 (Re-)Organisation im motorischen System
  • 70.2 (Re-)Organisation im somatosensorischen System
  • 70.3 (Re-)Organisation von Sprache

 

Kurzzusammenfassung

1936 publizierte Margaret Kennard ihre Beobachtung, dass im Langzeitverlauf die motorischen Leistungen von Affen, die experimentelle Hirnläsionen erhalten hatten, umso besser waren, je jünger die Tiere zum Zeitpunkt der Hirnschädigung waren (Kennard 1936). Diese überlegene Kompensationsfähigkeit des sich entwickelnden Gehirns gegenüber dem Gehirn eines Erwachsenen nach fokalen Läsionen wird seither als das »Kennard-Prinzip« bezeichnet.

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Kapitel 71: Gehirn-Computer-Schnittstellen

Inhalt
  • 71.1 Brain-Computer-Interfaces (BCI)
    1. 71.1.1 BCI-Steuerung mittels Bewegungsvorstellung
    2. 71.1.2 Zugrunde liegende Lernmechanismen
    3. 71.1.3 Einflussfaktoren auf die BCI-Steuerung
  • 71.2 Klinische Anwendungen
    1. 71.2.1 Ersetzen verlorener Funktion mittels BCI
    2. 71.2.2 BCI bei neurologischen Störungen – Beispiel Schlaganfall
    3. 71.2.3 BCI bei psychischen Störungen – Beispiel ADHS

 

Kurzzusammenfassung

»Gehirn-Computer-Schnittstellen« (»brain computer interfaces«, BCI) verbinden das Gehirn mit einem Computer: Die elektrische Aktivität des Gehirns wird gemessen, verarbeitet, in Steuersignale übersetzt und kann dann – im weitesten Sinne – zur Steuerung einer Anwendung benutzt werden. BCI werden entwickelt und eingesetzt, um verlorene motorische Funktionen zu ersetzen. Der Einsatz in der Breite, d. h. im Alltagsleben, ist derzeit noch nicht gelungen, jedoch lässt intensiver Forschungseinsatz dies in absehbarer Zeit wahrscheinlich erscheinen. Im Zentrum dieser Bemühungen steht, BCI-gesteuerte Neuroprothesen für Personen mit Lähmungen der Arme und Hände zu entwickeln und zuverlässige Kommunikation mit Patienten, die an einem Lockedin-Syndrom (Kap. 61) und anderen schweren Formen von Lähmungen leiden, zu ermöglichen. Im Gegensatz zur Steuerung einer Anwendung kann BCI-Technologie auch eingesetzt werden, um neurologische und psychiatrische Störungen zu behandeln, von denen bekannt ist, mit welchen kortikalen Veränderungen sie einhergehen. Neurodegenerative Erkrankungen, Schlaganfall, und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung wollen wir als mögliche Zielerkrankungen, bei denen BCI angewandt werden können, in diesem Kapitel vorstellen.

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XVII Altern und Demenz

 

Kapitel 72: Normales kognitives Altern

Inhalt
  • 72.1 Was ist kognitives Altern?
  • 72.2 Gibt es einen »Generalfaktor« des kognitiven Alterns?
  • 72.3 Jenseits des »Generalfaktormodells«
    1. 72.3.1 Was ist die neurobiologische Grundlage der allgemeinen Verlangsamung?
    2. 72.3.2 Arbeitsgedächtnis und exekutive Kontrolle
    3. 72.3.3 Gedächtnisprobleme im Alter
    4. 72.3.4 Relativ »alterungsresistente« Funktionsbereiche
    5. 72.3.5 Warum »altern« manche Gehirnregionen mehr als andere?

 

Kurzzusammenfassung

Die einfache Frage nach Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit mit dem chronologischen Alter ist aus methodischer Sicht äußerst komplex und hat über die letzten Jahrzehnte eine Reihe hitziger Debatten, aber auch die Entwicklung wichtiger Forschungsstrategien ausgelöst (z. B. Baltes et al. 1977). Alter ist kein frei variierbarer Faktor des Untersuchungsdesigns, sondern eine quasiexperimentelle Variable, mit der wichtige Faktoren in schwer zu kontrollierender Weise kovariieren (Tab. 72.1, S. 778).
Trotz der methodischen Problematik, lässt sich jedoch inzwischen mit großer Sicherheit feststellen, dass wichtige Aspekte unserer intellektuellen Leistungsfähigkeit einen kontinuierlichen Abbau über unser ganzes Erwachsenenalter hinweg erleben. Zumindest in querschnittlichen Analysen zeigt sich, dass kognitiver Abbau im 3. Lebensjahrzehnt beginnt und sich, möglicherweise leicht beschleunigt, bis ins hohe Alter kontinuierlich fortsetzt. Leistungsunterschiede zwischen jungen Erwachsenen und 60- bis 70-Jährigen können dabei in bestimmten Bereichen die Größenordnung von 1–1,5 Standardabweichungen erreichen. Wie im nächsten Abschnitt besprochen, ist dieses negative Alternsszenario allerdings nur eine Hälfte der Geschichte.

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Kapitel 73: Demenzen

Inhalt
  • 73.1 Alzheimer-Demenz
    1. 73.1.1 Milde kognitive Beeinträchtigung
  • 73.2 Demenz mit Lewy-Körpern
  • 73.3 Frontotemporale Lobärdegeneration
  • 73.4 Vaskuläre Demenzen
  • 73.5 Weitere (nicht primär degenerative) Ursachen eines Demenzsyndroms

 

Kurzzusammenfassung

Demenzerkrankungen zeichnen sich durch eine schleichende Abnahme kognitiver Fähigkeiten aus. Der Beginn ist meist nicht exakt mit einem Datum zu benennen. Als Schwellenwert zur Diagnose einer Demenz wird die Beeinträchtigung der Alltagskompetenz beschrieben (leichte Beeinträchtigung). Im weiteren Verlauf der Erkrankung wird ein Ausmaß erreicht, das ein unabhängiges Leben gefährdet (mittlere Beeinträchtigung). Die Betroffenen sind dann nicht mehr in der Lage, sich an grundlegende Informationen zu erinnern, sind zu Zeit und Ort nicht orientiert, können Namen nicht memorieren und sich an Tätigkeiten oder Ereignisse aus jüngster Vergangenheit nicht erinnern. Im weiteren Verlauf tritt eine schwere Beeinträchtigung weiterer kognitiver Funktionen ein. Das Speichern neuer Gedächtnisinhalte ist nicht mehr möglich, die Gedankengänge sind kaum mehr nachvollziehbar, es bestehen nur noch Fragmente von früher Gelerntem.

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