Biologische Psychologie
ISBN
978-3-540-95937-3

Inhalt

Körpersysteme und ihre physiologische Regelung

  1. Was ist Biologische Psychologie?

  2. Zellen und Zellverbände, besonders des Nervensystems

  3. Erregungsbildung und Erregungsleitung

  4. Synaptische Erregung und Hemmung

  5. Funktionelle Anatomie des Nervensystems

  6. Autonomes Nervensystem

  7. Endokrine Systeme (Hormone)

  8. Psychoneuroendokrinologie

  9. Psychoneuroimmunologie

Periphere Systeme und ihre Bedeutung für Verhalten

  1. Blut, Herz und Kreislauf

  2. Atmung, Energie- und Wärmehaushalt

  3. Stoffaufnahme und -ausscheidung

  4. Bewegung und Handlung

Wahrnehmung

  1. Allgemeine Sinnesphysiologie und Grundlagen der Wahrnehmungspsychologie

  2. Somatosensorik

  3. Nozizeption und Schmerz

  4. Das visuelle System

  5. Hören und Gleichgewicht

  6. Geschmack und Geruch

Funktionen des Nervensystems und Verhalten

  1. Methoden der Biologischen Psychologie

  2. Bewusstsein und Aufmerksamkeit

  3. Zirkadiane Periodik, Schlaf und Traum

  4. Vererbung

  5. Entwicklung und Altern

  6. Lernen und Gedächtnis

  7. Motivation und Sucht

  8. Emotionen

  9. Kognitive Prozesse

Zusammenfassungen

Körpersysteme und ihre physiologische Regelung

1. Was ist Biologische Psychologie?

  • Die Biologische Psychologie untersucht die Zusammenhänge zwischen Verhalten und den physiologischen Vorgängen des Körpers.
  • Die Physiologische Psychologie als Subdisziplin der Biologischen Psychologie befasst sich wie die Neuropsychologie mit der Beziehung zwischen Gehirn und Verhalten.
  • Die Geschichte der Biologischen Psychologie in den deutschsprachigen Ländern ist durch Pionierleistungen in der Forschung bis 1933 gekennzeichnet. Von 1933 bis 1945 mussten die prominenten Vertreter der Biologischen Psychologie emigrieren; das Fach erholt sich im internationalen Vergleich nur langsam von diesem Schlag.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) war die Entwicklung der Biologischen Psychologie vorerst durch die Konzeption von »unspezifischen« Hirnsystemen, verantwortlich für Bewusstsein und Verstärkungslernen, gekennzeichnet.
  • In den letzten 40 Jahren rückte eine neurochemische und molekulare Sichtweise der Nervenvorgänge und des psychischen Erlebens in den Vordergrund.
  • Durch die Entwicklung neuer nichtinvasiver Messmethoden der Hirntätigkeit (»Neuro-Imaging«) wird aber wieder zunehmend klar, dass eine rein »atomistisch- molekulare« Betrachtungsweise der Hirntätigkeit zur Erklärung von Verhaltensweisen nicht ausreicht.
  • Die Neurowissenschaften haben das Leib-Hirn-Seele- Problem zwar nicht gelöst oder nicht lösen wollen, aber klar aufweisen können, dass psychische Vorgänge und Verhalten vollständig von den elektrochemischen Prozessen des Gehirns abhängig sind.
  • Neuronale Zellensembles aus vielen erregend miteinander verschalteten Nervenzellen, die an bestimmten dynamischen Knotenpunkten des Gehirns lokalisiert sind, liegen Denken und Verhalten zugrunde.

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2. Zellen und Zellverbände, besonders des Nervensystems

Zelle

Hauptbestandteile jeder menschlichen Zelle sind:

  • Zellmembran (Plasmamembran)
  • Zellflüssigkeit (Zytoplasma)
  • Zellkern (Nukleus)

Protoplasma

Das Protoplasma (Zellinhalt = Zytoplasma + Nukleus) enthält im Wesentlichen Wasser, in dem zahlreiche Salze gelöst sind. Ferner 4 Substanzklassen kleiner organischer Moleküle, nämlich

  • Zucker (dienen als Energielieferant und -speicher)
  • Fettsäuren (bilden Körperfett und Phospholipide)
  • Aminosäuren (sind die Bausteine der Eiweiße)
  • Nukleotide (übermitteln Erbinformation und dienen als Energielieferanten)

Plasmamembran und innere Zellmembranen

Die Plasmamembran und die inneren Zellmembranen der Organellen bestehen aus Phospholipiddoppelschichten, in die große Eiweißmoleküle eingelagert sind.

  • Diese bilden Poren (Kanäle) zum Durchtritt von Wasser und Salzen, meist in Ionenform. Dieser Stofftransport erfolgt passiv, d. h. entlang von Konzentrationsgradienten (Diffusion, Osmose).
  • Außerdem befördern diese Eiweißmoleküle als Träger- und Transportmoleküle andere Moleküle durch die Membran. Dies geschieht unter Energieaufwand, wie z. B. durch die Na+-K+-Pumpe oder durch Symporte und Antiporte.
  • Als intrazelluläre Signalketten dienen sekundäre Botenstoffe, von denen die wichtigsten Ca++-Ionen und cAMP sind.

Neurone

Die Neurone (Nervenzellen) unterscheiden sich von den übrigen Zellen des menschlichen Körpers v. a. durch ihre Aussprossungen aus dem Soma, die je nach ihrer Funktion als

  • Axon (mit Kollateralen) und als
  • Dendriten bezeichnet werden;
  • Synapsen sind die Verbindungsstellen von Axonen mit Nerven-, Muskel- oder Drüsenzellen.

Gliazellen

Die Gliazellen bilden das Stütz- und Ernährungsgewebe des Nervensystems. Insbesondere

  • bilden die Oligodendryzyten die Markscheiden der zentralen und in Form der Schwann-Zellen der peripheren Nervenfasern,
  • bilden die Astrozyten die Blut-Hirn-Schranke und dienen als Reservoir für neuronal freigesetzte Kaliumionen,
  • bilden die Gliazellen bei Hirnverletzungen Narbengewebe und
  • beteiligen sich die Gliazellen auch an der Informationsverarbeitung im Gehirn.

Nervenfasern

  • werden marklos (unmyelinisiert) genannt, wenn ihr Axon lediglich von einer Schwann-Zelle umhüllt ist,
  • werden markhaltig (myelinisiert) genannt, wenn ihre Schwann-Zelle eine Myelinscheide ausbildet,
  • gelten als afferent, wenn sie Signale in das Zentralnervensystem übermitteln,
  • gelten als efferent, wenn sie Signale aus dem ZNS in die Peripherie übermitteln, und
  • besitzen einen anterograden und retrograden axonalen Transport zur schnellen Beförderung von Nähr-, Bau- und Abfallstoffen.

Nerven

Nerven sind Bündel von afferenten und efferenten Nervenfasern, die je nach Ursprung und Zielort

  • als somatische Nerven der Innervation von Haut, Muskeln und Gelenken dienen sowie
  • als vegetative Nerven der Innervation der Eingeweide dienen.
  • 12 paarige Hirnnerven besorgen die Kopfinnervation und nehmen an der Innervation von Brust- und Bauchraum teil.

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3. Erregungsbildung und Erregungsleitung

Ruhepotenzial

Im Ruhezustand ist das Zellinnere der Neurone etwa -80 mV negativer als die umgebende extrazelluläre Flüssigkeit. Dieses Ruhepotenzial

  • kann wie alle anderen Membranpotenziale am besten mit einer intrazellulären Mikroelektrode gemessen werden,
  • ist im Wesentlichen ein K+-Gleichgewichtspotenzial,
  • wird durch gekoppelte Na+-K+-Pumpen in einem dynamischen Gleichgewicht gehalten.

Aktionspotenzial

Wird das Ruhepotenzial auf etwa -60 mV depolarisiert (innen weniger negativ!) so entsteht ab dieser Schwelle ein Aktionspotenzial. Dieses Aktionspotenzial

  • hat ein »Alles-oder-Nichts«-Verhalten mit einer Amplitude von etwa 110 mV und einer Dauer von 1-2 ms,
  • beruht beim Aufstrich auf einer plötzlichen Zunahme der Na+-Leitfähigkeit, die rasch wieder abnimmt,
  • wird v. a. durch eine vorübergehende Zunahme der K+-Leitfähigkeit beendet,
  • ist von einer Refraktärzeit von 1-2 ms gefolgt, während der das Neuron vorübergehend unerregbar ist.

Kationenkanäle

Die spannungsgesteuerten Kationenkanäle erregbarer Membranen

  • sind komplexe Proteine, deren 4 oder mehr Domänen aus 2 oder mehr Segmente bestehen, die wiederum sich aus 2 oder mehr membranspannenden α-Helices zusammensetzen, die durch Aminosäureketten verbunden sind,
  • bilden in ihrer Mitte einen mit einem Selektivitätsfilter bestückten Ionenkanal, dessen Öffnungswahrscheinlichkeit vom Membranpotenzial gesteuert wird,
  • lassen sich zahlreichen Klassen, Familien und Unterfamilien zuordnen,
  • zeigen manchmal genetische Mutationen, die zu Erkrankungen (Kanalopathien) führen können.

Natrium-Ionenkanal

Der schnelle Natrium-Ionenkanal

  • erreicht bei Depolarisation (Zellinneres weniger negativ) eine zunehmende Öffnungswahrscheinlichkeit (ist also spannungsgesteuert),
  • führt beim Erreichen der Schwelle zum Aufstrich des Aktionspotenzials,
  • geht anschließend in ein kurzzeitiges Stadium der Inaktivierbarkeit über, wodurch das Neuron refraktär wird,
  • wird durch Zunahme der extrazellulären Ca2+-Ionenkonzentration in seiner Aktivierbarkeit herabgesetzt.

Kalium-Ionenkanäle

Die spannungsgesteuerten Kalium-Ionenkanäle erregbarer Membranen

  • sind für das Ruhepotenzial verantwortlich, da sie bereits dort eine hohe Öffnungswahrscheinlichkeit haben,
  • erhöhen diese mit kurzer Verzögerung weiter, sobald das Membranpotenzial während des Aufstrichs zunehmend positiver wird und bewirken dadurch die Repolarisation,
  • kommen in großer Vielfalt vor, was sich in den unterschiedlichen Formen der Repolarisation widerspiegelt.

Kalzium-Ionenkanäle

Die spannungsgesteuerten Kalzium-Ionenkanäle erregbarer Membranen

  • ähneln in ihren Eigenschaften den schnellen Natrium-Ionenkanälen,
  • sind in manchen Gewebsstrukturen (z. B. Dendriten, Herzmuskel) eher häufiger als der schnelle Na+-Kanal anzutreffen,
  • haben den Zusatznutzen, bei Öffnung die intrazelluläre Ca++-Konzentration zu erhöhen (Möglichkeit der Ca++-Ionenwirkung als Second messenger).

Die Fortleitung des Aktionspotenzials

  • erfolgt in marklosen Nervenfasern (C-Fasern) jeweils in die unmittelbare Nachbarschaft der erregten Membranstelle und ist deswegen sehr langsam (< 1-2,5 m/s),
  • erfolgt in markhaltigen (myelinisierten) Nervenfasern (A- und B-Fasern) von Schnürring zu Schnürring (saltatorische Erregungsleitung) und erreicht dadurch bei den dicksten Nervenfasern Geschwindigkeiten bis über 100 m/s,
  • kann beim Menschen als extrazelluläres Massenaktionspotenzial gemessen werden (Elektroneurographie, ENG).

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4. Synaptische Erregung und Hemmung

Synapsen

Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen axonalen Nervenfaserendigungen und nachgeschalteten Nerven-, Muskel- oder Drüsenzellen. Die Informationsübertragung in diesen Synapsen erfolgt entweder

  • chemisch oder
  • elektrisch.

Übertragung an chemischen Synapsen

Die Übertragung an chemischen Synapsen ist ein vielstufiger Prozess, der auf der präsynaptischen Seite beinhaltet:

  • In der präsynaptischen Endigung ist der Transmitter (die Überträgersubstanz) in Vesikeln gespeichert.
  • In Ruhe wird nur gelegentlich der Inhalt einzelner Vesikel, als ein Quant Transmitter bezeichnet, exozytotisch in den synaptischen Spalt freigesetzt.
  • Läuft ein Aktionspotenzial in eine präsynaptische Endigung ein, wird die Wahrscheinlichkeit der Transmitterfreisetzung kurzfristig erheblich vergrößert, so dass einige Hundert Quanten in den synaptischen Spalt freigesetzt werden.
  • An dieser Freisetzung sind Kalziumionen beteiligt, die während des Aktionspotenzials in die präsynaptische Endigung einströmen und dort über einen Aktivator die Transmitterexozytose steuern.

Nach der Freisetzung des Transmitters

  • diffundiert dieser durch den synaptischen Spalt,
  • verbindet sich auf der postsynaptischen Seite mit Rezeptoren und
  • führt dadurch zur Öffnung von Ionenkanälen und damit zu Ionenflüssen, die je nach Beschaffenheit
  • zu erregenden oder hemmenden synaptischen Potenzialen (EPSP bzw. IPSP) führen.

Beendigung der Transmitterwirkung

Die Beendigung der Transmitterwirkung erfolgt

  • entweder durch Wiederaufnahme des Transmitters in die präsynaptische Endigung (eventuell zuzüglich Aufnahme in das postsynaptische Neuron oder umgebende Gliazellen)
  • oder durch enzymatische Spaltung des Transmitters in unwirksame Bestandteile.

Postsynaptische Potenziale

Bei den vom Ruhemembranpotenzial ausgehenden postsynaptischen Potenzialen handelt es sich um

  • EPSP (erregende postsynaptische Potenziale), die durch den Einstrom von Na+- und Ca2+-Ionen verursacht werden und um
  • IPSP (inhibitorische/hemmende postsynaptische Potenziale), die durch den Einstrom von Cl--Ionen verursacht werden.

Präsynaptische Hemmung

Bei der präsynaptischen Hemmung wird über eine axoaxonische Synapse die Transmitterfreisetzung in der gehemmten päsynaptischen Endigung reduziert. Als Transmitter bezeichnet man diejenigen kleinmolekularen Moleküle, die an der schnellen synaptischen Übertragung beteiligt sind. Dazu zählen insbesondere

  • Azetylcholin (ACh);
  • die biogenen Amine, d. h. die Katecholamine Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin, ferner das Serotonin (5-HT) und Histamin;
  • mehrere Aminosäuren, v. a. Glutamat, Glyzin und GABA.

Neuromodulatoren

Als Neuromodulatoren bezeichnet man Substanzen, die transmitter-ähnliche Vorkommen und Wirkungen haben, also v. a. als Kotransmitterfreigesetzt werden, aber nicht alle Kriterien für Transmitter erfüllen. Ihre Hauptwirkung liegt in der Langzeitverstellung der Erregbarkeit der postsynaptischen Neurone. Es handelt sich

  • einmal um Neuropeptide, z. B. Enkephaline, Tachykinine, von denen derzeit mehr als 50 bekannt sind,
  • zum anderen um nicht-peptiderge Moleküle, von denen das ATP, Abkömmlinge der Arachidonsäure (z. B. Prostaglandine) und das gasförmige NO die bekanntesten sind.

Postsynaptische Rezeptoren

Bei den postsynaptischen Rezeptoren für die Transmitter und Neuromodulatoren finden sich 2 unterschiedliche Typen, nämlich:

  • Ionotrope Rezeptoren, die bei der Aktivierung durch ihren Liganden (also den betreffenden Transmitter) kurz vorübergehend einen Ionenkanal öffnen und deswegen auch als ligandengesteuerte Ionenkanäle bezeichnet werden.
  • Metabotrope Rezeptoren, die bei Aktivierung durch ihre Liganden über G-Proteine entweder Ionenkanäle öffnen oder intrazelluläre Botenketten (second messengers) aktivieren. Ein und derselbe Transmitter kann Ligand für ionotrope wie metabotrope Rezeptoren sein.

Agonisten und Antagonisten

Moleküle, die sich mit ionotropen oder metabotropen Rezeptoren so wie die eigentlichen Liganden verbinden, nennt man

  • Agonisten, wenn sie die gleiche Wirkung wie der normale Ligand ausüben und
  • Antagonisten, wenn sie sich wie der Ligand verbinden, aber nicht seine Wirkung haben, also den Rezeptor blockieren. Viele Pharmaka, besonders viele Psychopharmaka wirken als Agonisten bzw. Antagonisten an Synapsen.

Interaktion synaptischer Potenziale

Synaptische Potenziale interagieren miteinander auf vielfältige Weise. Wichtig ist v. a.:

  • IPSP schwächen die Wirkung von zeitgleichen EPSP so ab, dass das Neuron gehemmt wird. Diese Hemmung ist teils durch die Hyperpolarisation während des IPSP, teils durch den verminderten Membranwiderstand während der Öffnung der hemmenden Cl-Ionenkanäle bedingt.
  • EPSP summieren sich, wenn sie gleichzeitig oder kurz hintereinander am Neuron entstehen. Man spricht von räumlicher bzw. zeitlicher Bahnung.

Synaptische Plastizität

Repetitive synaptische Aktivität kann die Effizienz einer Synapse kurz- und langfristig steigern oder vermindern. Diese Prozesse werden als synaptische Plastizität zusammengefasst. Man unterscheidet

  • Tetanische und kurzzeitige posttetanische Potenzierung, beide überwiegend durch präsynaptisches Restkalzium verursacht;
  • Langzeitpotenzierung, LTP, die Stunden bis Tage anhält und für Lernen und Gedächtnis bedeutungsvoll ist;
  • Tetanische und kurzzeitige posttetanische Depression, die als das neuronale Korrelat von Gewöhnungen (Habituation) angesehen wird, sowie
  • Langzeitdepression, LDP, deren Ursache wahrscheinlich ein Rezeptordesensitisierung ist.

Übertragung an elektrischen Synapsen

Die Übertragung an elektrischen Synapsen erfolgt über Ionenflüsse durch die Doppelkonnexone von Nexus (gap junctions).

Ephapsen

Ephapsen sind pathophysiologische Kontaktstellen im peripheren Nervensystem, an denen es zum elektrischen Übersprechen zwischen Nervenfasern kommt.

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5. Funktionelle Anatomie des Nervensystems

3 Hauptabschnitte des Gehirns

Die 3 Hauptabschnitte des Gehirns, Hinterhirn, Mittelhirn und Vorderhirn,

  • lassen sich von entwicklungsgeschichtlich alt bis neu gliedern,
  • arbeiten aber bei der Produktion von Verhalten unauflöslich zusammen.

Vorderhirn

Das Vorderhirn besteht aus

  • Zwischenhirn,
  • limbischem System,
  • Basalganglien,
  • Neokortex.

Zwischenhirn

Das Zwischenhirn besteht aus dem

  • Hypothalamus, dem obersten Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems und der Hormone,
  • Thalamus, der letzten sensorischen Umschaltstation der Verbindungen zum Neokortex und der ersten aus dem Neokortex.

Limbisches System

Das limbische System besteht aus den Hauptabschnitten

  • Amygdala (vegetativ-emotionaler Anteil) sowie
  • Hippokampus (kognitiv-kontextuelles Gedächtnis).

Basalganglien

Die Basalganglien sind ein Zwischenglied von Kortex und limbischem System, sie dienen

  • der Feinsteuerung der Motorik,
  • der Feinabstimmung der Kortexaktivierung bei selektiven Aufmerksamkeitsprozessen (mit basalem Vorderhirn) sowie
  • der Auswahl von Gedächtnisinhalten.

Neokortex

Der Neokortex kann als plastischer, assoziativer Speicher aufgefasst werden. Er ist charakterisiert durch

  • reiche intrakortikale Verbindungen,
  • plastische Synapsen an den Dendriteneingängen,
  • modulartigem Aufbau von spezialisierten (visuell, auditorisch, taktil usw.) Einheiten in den primären Projektionsarealen bis zu
  • polymodalen Assoziationskortizes, in denen Information aus den sensomotorischen Regionen zu übergeordneten Einheiten flexibel zusammengefasst werden.

Kleinhirn

Das Kleinhirn (Zerebellum) im »Nebenschluss« aller auf- und absteigenden Bahnen fungiert als Takt- und Zeitgeber für sensorische, motorische und kognitive Leistungen.

Neurochemische Systeme

Neurochemische Systeme beachten anatomische Grenzen nicht. Wir unterscheiden

  • lange, von subkortikal nach kortikal reichende, aminerge und cholinerge Systeme sowie
  • kurze, lokal wirksame Aminosäuren- und Neuropeptidsysteme (z. B. GABA).

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6. Autonomes Nervensystem

Das periphere ANS

Das periphere autonome Nervensystem (ANS) ist aus 3 Anteilen aufgebaut, nämlich

  • dem Sympathikus, dessen präganglionäre Neurone im Brustmark und oberen Lendenmark liegen,
  • dem Parasympathikus, dessen präganglionäre Neurone m Kreuzmark und im Hirnstamm liegen und
  • dem Darmnervensystem, dessen motorische und sensorische Neurone in den Wänden der Eingeweide liegen.

Beim Sympathikus

  • ziehen die Axone der präganglionären Neurone über die Vorderwurzeln teils zu paarigen (Grenzstrang), teils zu unpaarigen Ganglien (im Bauch- und Beckenraum),
  • ziehen die Axone der postganglionären Neurone aus den Ganglien mit den somatischen Nerven zu ihren Erfolgsorganen,
  • sind als Effektoren alle glatten Muskelfasern, das Herz, viele Drüsen, Teile des Immunsystems sowie Leber- und Nierenzellen postganglionär innerviert,
  • ist das Nebennierenmark eine sympathisch gesteuerte endokrine Drüse.

Beim Parasympathikus

  • ziehen die Axone der präganglionären Neurone über spezielle Nerven (z. B. Nervus vagus) zu ihren postganglionären Neuronen,
  • liegen die postganglionären Neurone organnah, d. h. ihre Axone sind kurz,
  • sind seine Effektoren u. a. die glatten Muskeln und Drüsen der Eingeweide, einschließlich der Lunge, der Sexualorgane und der Ausscheidungsorgane.

Die synaptische Übertragung im peripheren ANS

  • ist cholinerg an allen (sympathischen wie parasympathischen) präganglionären Synapsen und an den parasympathischen postganglionären Synapsen (z. B. Vagus am Herzen), sowie postganglionär sympathisch an den Schweißdrüsen,
  • ist adrenerg (überwiegend Noradrenalin) an allen anderen postganglionär sympathischen Synapsen (z. B. auf der glatten Muskulatur der Gefäße),
  • weist peptiderge (z. B. VIP) und nicht-peptiderge Kotransmitter (z. B. ATP) auf.

Postsynaptische Rezeptoren

Die postsynaptischen Rezeptoren der Transmitter im peripheren ANS

  • sind in allen sympathischen und parasympathischen Ganglien vom cholinergen nikotinergen Typ (ligandengesteuerte Ionenkanäle),
  • sind bei den parasympathischen postganglionären Synapsen vom cholinergen muskarinergen Typ (metabotrope Rezeptoren, z. B. Vagus am Herzen),
  • sind bei den sympathischen postganglionären Synapsen alle adrenerg metabotrop aus den Familien der α1-, α2-, β1-, β2- und β3-Rezeptoren.

Wirkweise und Kontrolle des ANS

Bezüglich seiner peripheren und spinalen Wirkweise und der supraspinalen Kontrolle des ANS bleibt festzuhalten

  • dass alle autonomen prä- wie postganglionären Neurone jeweils nur einen Typ von Effektor innervieren (z. B. die Vasokonstriktorneurone nur glatte Muskelfasern in den Blutgefäßwänden), d. h. sie sind hochspezifisch organisiert,
  • dass ihre Spontanaktivität für einen mittleren Grundtonus der Effektoren sorgt, der durch Reduzierung oder Erhöhung der Entladungsrate modifiziert werden kann,
  • dass über die in den Effektororganen liegenden Sinnesfühler Rückmeldungen über die Wirksamkeit der efferenten autonomen Innervation ins Rückenmark fließen, die dort über autonome Reflexbögen zur Organsteuerung und -regelung verwertet werden,
  • dass diese spinalen Reflexbögen unter deszendierender Kontrolle aus Hirnstamm und Hypothalamus stehen, deren autonome Zentren (Kerne, z. B. Raphekerne) für eine optimale Anpassung an die jeweiligen Anforderungen sorgen.

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7. Endokrine Systeme (Hormone)

Hormone

Hormone sind von Drüsenzellen produzierte (primäre) Botenstoffe, die ihre Signale teils

  • an weit entfernte Stellen im Körper, teils
  • in unmittelbare Umgebung (parakrin), teils
  • auf sich selbst zurück (autokrin) senden.

Hormonrezeptoren

Um von einem Hormon angesprochen zu werden, muss die Körperzelle einen entsprechenden Rezeptor besitzen, mit dem sich das Hormon verbindet, um seine Nachricht zu überbringen. Diese Hormonrezeptoren liegen entweder

  • in der Zellmembran oder
  • im Zytoplasma der Zelle oder
  • im Zellkern.

Chemische Struktur

Nach ihrer chemischen Struktur gehören die Hormone 2 großen Substanzklassen an, nämlich

  • fettunlösliche Hormone aus Aminosäuren (die Mehrzahl aller Hormone) und
  • fettlösliche (lipophile) Hormone (Steroide), die vom Cholesterin oder der Arachidonsäure abstammen.

Hormone sind meist Teile von Regelkreisen, die über negative Rückkopplungen Störgrößen kompensieren.

Langerhans-Inselzellen

Die Langerhans-Inselzellen des Pankreas sind Drüsenzellen, von denen

  • die A-Zellen das Hormon Glukagon,
  • die B-Zellen das Hormon Insulin und
  • die D-Zellen das Hormon Somatostatin produzieren und freisetzen.

Insulin und Glukagon

Insulin und Glukagon sind in einen Regelkreis eingebunden, der den Blutzuckerspiegel konstant hält, wobei Insulin den Zuckerspiegel senkt und Glukagon ihn erhöht. Mangel oder mangelnde Wirksamkeit von Insulin führt zu überhöhten Zuckerspiegeln mit vielfältigen Symptomen und Folgen. Die beiden Haupt-Diabetes- Formen sind:

  • Typ-1-Diabetes mellitus mit völligem Ausfall der B-Zellen und absolutem, nur durch Insulingaben therapierbarem Insulinmangel und
  • Typ-2-Diabetes mellitus (»Altersdiabetes«), bei dem je nach Schweregrad die Insulinwirkung mehr oder weniger versagt und die Therapie sich daher auf Diät und orale Antidiabetika beschränken kann.

Hypothalamisch-hypophysäres Hormonsystem

Das hypothalamisch-hypophysäre Hormonsystem umfasst

  • 8 (Neuro)hormone des Hypothalamus,
  • 2 Hormone des Hypophysenhinterlappens, HHL (der Neurohypophyse) und
  • 6 Hormone des Hypophysenvorderlappens, HVL (der Adenohypophyse),

die in mehr oder weniger komplexen Regelkreisen eine Vielzahl von Körperfunktionen regeln. Tabelle 7.1 und Abschnitt 7.2 im Lehrbuch geben einen Überblick über die glandotropen und nichtglandotropen Hormone dieses Systems und ihre Zielorgane.

Direkt auf Erfolgsorgane wirkende HHL- und HVL-Hormone

Als Hauptwirkungen der direkt auf Erfolgsorgane wirkenden HHL- und HVL-Hormone sind festzuhalten:

  • HHL-Hormon ADH (Antidiuretisches Hormon, Adiuretin): Hemmt die Wasserausscheidung in der Niere,
  • HHL-Hormon Oxytozin: Löst den Milchejektionsreflex aus,
  • HVL-Hormon Prolaktin: Regelt die Milchsynthese,
  • HVL-Hormon Somatotropin (Wachstumshormon): unabdingbar für normale kindliche Entwicklung.

Andere HVL-Hormone

Die anderen HVL-Hormone sind in Regelkreise eingebunden, die weitere Drüsen einschließen. Es handelt sich um:

  • Regelkreis für die Schilddrüse: An der Regelung der Freisetzung der Schilddrüsenhormone T3 und T4 sind das hypothalamische TRH und das hypophysäre TSH beteiligt;
  • Regelkreise für die Nebennierenrinde, NNR: Hypothalamisches CRH und hypophysäres ACTH regeln die Freisetzung der NNR-Hormone, nämlich der Gluko- und Mineralokortikoide mit ihren manigfaltigen Wirkungen;
  • Regelkreise für die Sexualdrüsen: Hypothalamisches GnRH und hypophysäres LH und FSH regeln die Tätigkeit der Sexualdrüsen mit deren Hormonen, den Androgenen (besonders Testosteron), Östrogenen (besonders Östradiol) und den Gestagenen (besonders Progesteron), in der für Männer und Frauen jeweils charakteristischen Weise.

Tätigkeit der Sexualdrüsen

Die Tätigkeit der Sexualdrüsen bestimmt bei der Frau alle Lebensabschnitte von der Geburt über die Pubertät, die Zeit der Geschlechtsreife mit ihren Ovulationszyklen und die Menopause mit der postmenopausalen Zeit danach. Für den Mann gilt vergleichbares, doch ist der Ablauf nach Abschluss der Pubertät wesentlich gleichförmiger.

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8. Psychoneuroendokrinologie

Psychoneuroendokrinologie, Umwelt, Körperrhythmen und Hormone:

  • Hormone aktivieren und organisieren Verhalten.
  • Sie verändern Wahrnehmungs- und Erregungsschwellen von der Nervenzelle bis zu komplexen Verhaltensweisen.
  • Glukokortikoide und Kortisol heben die Schwellen aller Sinnessysteme.

Ausschüttung von Hormonen

Die Ausschüttung von Hormonen erfolgt meist in zirkadianen oder ultradianen Rhythmen:

  • Wachstumshormon wird v. a. in den ersten 3 Schlafstunden produziert.
  • Die Erholung des Immunsystems geht mit Melatoninausschüttung in den Tiefschlafstadien einher.
  • Kortisol wird gegen Morgen im Schlafstadium 1 und 2 produziert.

Emotionen und Hormone:

  • Soziale Bindung hängt von der Gegenwart von Oxytozin ab.
  • Aggressives Verhalten und männliche Sexualhormone (Androgene) sind schwach positiv korreliert.

Stress und Hilflosigkeit:

  • Gelernte Hilflosigkeit führt zu Depression, Immunschwäche und somatischen Störungen.
  • Extremer Stress und psychologische Traumen führen zu Verlust explizit bewusster Erinnerung und Hippokampusdegeneration.

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9. Psychoneuroimmunologie

Das Immunsystem schützt vor

  • eindringenden Fremdstoffen,
  • Bakterien und Viren,
  • Entgleisungen des genetischen Apparates.

Leukozyten entstehen im

  • Knochenmark und
  • lymphatischen Gewebe.

Unspezifische zelluläre Immunität

  • ist angeboren;
  • vernichtet unterschiedliche Fremdkörper.

Spezifische Immunität

  • wird erworben;
  • benötigt Konfrontation mit körperfremden Antigenen.

Antikörper

  • sind Eiweißmoleküle (Immunglobulin);
  • werden im Blut oder an Leukozyten als Reaktion auf Antigene gebildet;
  • machen durch Antigen-Antikörper-Bindung das Antigen unschädlich;
  • benötigen in der Regel Tage zur Bildung und Wirkung;
  • können durch Impfung zur Bildung angeregt werden.

Kommunikation von Nervensystem und Immunsystem erfolgt

  • direkt über das autonome NS,
  • direkt über das Hormonsystem,
  • indirekt über Verhaltensvariablen (z. B. Laufen, Überessen).

Als synaptische Überträger und Modulatoren fungieren

  • Tachykinine,
  • Katecholamine,
  • Zytokine.

Die Kommunikation zwischen Immunsystem und ZNS erfolgt im/in

  • Hypothalamus,
  • limbischen System,
  • Kortex,
  • Regionen, die die zirkadiane Periodik steuern,
  • Steuerregionen des autonomen NS und der Emotionen.

Verhalten und Immunsystem beeinflussen sich in beide Richtungen wechselseitig über

  • klassische Konditionierung mit Lernen von Unterdrückung oder Verstärkung einzelner Elemente
  • des Immunsystems (z. B. Konditionierung der Abstoßungsreaktion), instrumentelles Lernen von Verhaltensweisen, die die Immunbalance fördern,
  • kompensatorische klassische Konditionierung von Gegensatzreaktionen,
  • Stress,
  • Depression und Angst,
  • soziale Einflüsse.

Pathologische Prozesse, die psychoimmunologisch (mit)verursacht oder beeinflusst werden, sind

  • Verlauf von AIDS,
  • Krebsausbreitung,
  • Tumorwachstum.

Autoimmunerkrankungen, die oft als psychosomatisch bezeichnet werden, sind

  • Lupus erythematodes,
  • Asthma bronchiale,
  • Alzheimer-Erkrankung (Ausbruch).

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Periphere Systeme und ihre Bedeutung für Verhalten

10. Blut, Herz und Kreislauf

Blut

Blut ist in erster Linie Transportmedium für die Atemgase, für die Nähr- und Abfallstoffe und für körpereigene Wirkstoffe wie die Hormone. Die 4-6 l Blut des Erwachsenen bestehen aus

  • Blutzellen, nämlich den roten Blutkörperchen (Erythrozyten), den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und den Thrombozyten, und
  • Blutplasma mit den Bluteiweißen, die viele Transportaufgaben haben und Schutz- und Abwehrfunktionen wahrnehmen.

Herz

Mit Hilfe des als Doppelpumpe gebauten Herzens kreist das Blut durch den großen (Körper-) und kleinen (Lungen-) Kreislauf.

  • Die linke Kammer pumpt das Blut in den großen Kreislauf, von dem es über die Venen in den rechten Vorhof fließt.
  • Die rechte Kammer erhält ihr Blut vom rechten Vorhof und pumpt es in den Lungenkreislauf, von dem es in den linken Vorhof und von dort (erneut) in die linke Kammer fließt.
  • Klappen zwischen den Vorhöfen und den Kammern und Klappen zwischen den Kammern und der Aorta bzw. den Lungenarterien bedingen, dass das Blut nur in der eben beschriebenen Weise zirkuliert.
  • Das Herz arbeitet rhythmisch und synchron, d. h. die Vorhöfe werfen ihr Blut gleichzeitig in die Kammern aus (Vorhofkontraktionen), worauf sich diese kontrahieren und das Blut in die Arterien auswerfen (Systole). Danach erschlafft das Herz wieder (Diastole).
  • Der Blutdruck auf dem Höhepunkt der Kammerkontraktion wird systolischer Druck genannt, der vor dem Einsetzen der Kammerkontraktion diastolischer.

Erregungsbildung

Die rhythmischen Kontraktionen verdankt das Herz seiner Spontanerregbarkeit und seinem Aufbau als funktionelles Synzytium, das eine schnelle Erregungsausbreitung über das gesamte Herz ermöglicht.

  • Die Erregungsbildung startet im rechten Vorhof (Schrittmacher des Herzens) und breitet sich von dort zunächst über die beiden Vorhöfe, anschließend durch den Atrioventrikularknoten auf die Herzkammern aus.
  • Ruhe- und Aktionspotenzial des Herzens beruhen auf Ionenmechanismen, die denen der Nervenzellen vergleichbar sind, mit der Ausnahme, dass die Dauer des Herzaktionspotenzials wesentlich länger als die des Aktionspotenzials von Nervenzellen ist.
  • Das Plateau des Herzaktionspotenzials ist durch eine vorübergehende Zunahme der Ca2+-Ionen-Permeabilität bedingt. Es sorgt dafür, dass das Herz in dieser Zeit refraktär ist, sodass es erst nach der nächsten Füllung wieder zur Kontraktion gebracht werden kann.
  • Die elektromechanische Kopplung , d. h. die Auslösung der Herzkontraktion durch das Aktionspotenzial, erfolgt ebenfalls über Ca2+-Ionen, die durch das Aktionspotenzial aus intrazellulären Speichern vorübergehend freigesetzt werden.

Elektrokardiogramm

Als Elektrokardiogramm, EKG, werden die elektrischen Spannungen bezeichnet, die von der Körperoberfläche als Folge der Herzerregung abgegriffen werden können.

  • Die Form des EKG hängt wesentlich von den Ableiteorten ab. Standardisiert sind das Extremitäten-EKG und die Brustwandableitung, die eine international verbindliche Nomenklatur besitzen.
  • Die Ausschläge des EKG lassen sich als Projektionen des resultierenden elektrischen Dipols (Integralvektor genannt) auf die Verbindungslinie zwischen den Ableitestellen auffassen.
  • Das EKG ist ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel bei der Beurteilung von Bildung, Ausbreitung und Rückgang der Erregung am Herzen.

Druckarbeit des Herzens

Das Herz leistet Druck-Volumen-Arbeit. Für die Druckarbeit gilt:

  • Da die Wege länger und damit die Widerstände höher sind, muss das linke Herz eine wesentlich größere Druckarbeit leisten als das rechte.
  • Der normale systolische Druck liegt beim Erwachsenen in Ruhe bei 120 mmHg, der diastolische bei 80 mmHg.
  • Bei Arbeit kann der systolische Druck deutlich ansteigen, der diastolische nimmt nur wenig zu.
  • Dauernde Erhöhungen v. a. des diastolischen Drucks sind pathologisch und müssen wegen der damit verbundenen Risiken (»Arterienverkalkung« mit der Gefahr von Herz- oder Hirninfarkt) unbedingt behandelt werden.

Volumenarbeit des Herzens

Die Volumenarbeit des Herzens ist für das linke und das rechte Herz absolut identisch.

  • In Ruhe schlägt das Herz etwa 70-mal und fördert dabei jeweils etwa 70 ml Blut, sodass pro Minute etwa 5 l Blut vom Herzen umgepumpt werden.
  • Bei Arbeit steigt dieses Herzzeitvolumen um das 5- bis 7-fache an, d. h. auf etwa 25 - 35 l. Dabei verdoppelt sich das Schlagvolumen (auf 140 ml) und die Herzfrequenz nimmt bis auf 180 Schläge pro min und mehr zu.
  • Die Anpassung der Herzleistung an den Bedarf wird z. T. vom Herzen selbst über den Frank-Starling- Mechanismus geleistet, der Druck- und Volumenarbeit an die Erfordernisse anpasst.
  • Die Herznerven beteiligen sich an diesen Vorgängen, indem sie die Herzfrequenz erniedrigen (N. vagus, negativ-chronotrope Wirkung) oder erhöhen (Sympathikus, positiv-chronotrope Wirkung) und indem der Sympathikus die Kraft der Kontraktion der Kammermuskulatur erhöht (positiv inotrope Wirkung).
  • Ausdauertraining optimiert die Leistungsfähigkeit des Herzens durch Vergrößerung des Schlagvolumens und Absenken der Herzfrequenz, was beides den Wirkungsgrad der Herzarbeit verbessert.

Anpassung der Herzarbeit an Bedarf

Bei der Anpassung der Herzarbeit an den Bedarf

  • führen kleine Änderungen des Durchmessers der Arteriolen zu beträchtlichen Änderungen der lokalen Durchflussmengen, da der Flusswiderstand der Gefäße von der 4. Potenz ihrer Radien abhängt (Gesetz von Hagen-Poiseuille);
  • überwachen Barorezeptoren (Pressorezeptoren) den Blutdruck und bewirken über Barorezeptorreflexe akute reflektorische Anpassungen, wenn dieser den Normbereich verlässt;
  • sind als mittelfristige Anpassungsmechanismen das Renin-Angiotensin-System, die Stressrelaxation der Gefäße und transkapilläre Volumenverschiebungen tätig;
  • wird langfristig das extrazelluläre Volumen über das renale Volumenregulationssystem, das Adiuretinsystem und das Aldosteronsystem dazu eingesetzt.

Risikofaktoren

Zu den Risikofaktoren für Fehlregulation im Herz- Kreislauf-System zählen insbesondere:

  • starke chronische psychische oder soziale Belastungen bei »Hilflosigkeit«, d. h. ohne Bewältigungsmöglichkeit,
  • Bluthochdruck (»essenzielle Hypertonie«), der Herz- und Gefäßsystem überlastet, sowie
  • abdominale Fettleibigkeit, die nicht nur das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch von Typ-II-Diabetes begünstigt.

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11. Atmung, Energie- und Wärmehaushalt

Lungenatmung

Für die Lungenatmung in Ruhe und bei Arbeit gilt:

  • Das maximale Atemzugvolumen, genannt Vitalkapazität, wird auch bei extremer körperlicher Beanspruchung nicht ausgeschöpft.
  • Atmung geschieht immer in Atemmittellage, in Ruhe sind beim gesunden Erwachsenen ca. 14 Atemzüge zu je 500 ml normal (7 l/min), bei Arbeit kann dies auf 40 Atemzüge zu je 2 l ansteigen (80 l/min).
  • Die Einatmung geschieht gegen den Widerstand des elastischen Lungengewebes und den Atemwegswiderstand über Hebung des Brustkorbs und Senkung des Zwerchfells. Die dazu nötige Arbeit wird von den Inspirationsmuskeln geleistet. Die Ausatmung ist in der Regel passiv.
  • Psychische Prozesse verändern markant das Atemverhalten.

Der Gasaustausch in der Lunge und der Transport der Atemgase im Blut

  • ist in der Lunge passiv entlang den Partialdrucken des Sauerstoffs und des Kohlendioxids. Das funktionelle Residualvolumen der Lunge stellt dabei sicher, dass die Partialdruckdifferenzen ausreichend konstant sind;
  • erfolgt im Blut für den Sauerstoff mit Hilfe des Blutfarbstoffs Hämoglobin, der dafür in der Lunge vollständig in Oxyhämoglobin umgewandelt wird, wodurch 100 ml Blut rund 20 ml Sauerstoff transportieren können;
  • erfolgt im Blut für das Kohlendioxid hauptsächlich nach Umwandlung in Kohlensäure durch die Karboanhydrase, kleinere Anteile werden ans Hämoglobin gebunden und sind physikalisch im Plasma gelöst.

Atemantrieb

Der nervöse Antrieb der Atmung wird durch Neuronenpopulationen im Hirnstamm (»Atemzentren«) unterhalten. Sie produzieren den primären Atemrhythmus, der an die jeweiligen Erfordernisse angepasst wird.

  • Dehnungsrezeptoren im Lungengewebe und den Inspirationsmuskeln hemmen bei Einatmung die »Inspirationsneurone« in den Atemzentren und leiten dadurch die Ausatmung ein.
  • Zentrale und periphere Chemosensoren messen die Partialdrücke des Kohlendioxids und die Protonenkonzentration (pH-Wert) in Blut und Extrazellulärflüssigkeit und regeln die Atemtiefe und -frequenz so ein, dass diese Werte im Normbereich bleiben.
  • Der Sauerstoffpartialdruck wird zwar auch gemessen, spielt aber nur unter pathophysiologischen Umständen eine Rolle.
  • Als unspezifische Atemantriebe gelten physische und psychische Einflüsse auf die Atmung.

Der Energieumsatz des Menschen

  • folgt den physikalischen Gesetzen der Erhaltung der Energie der unbelebten Natur,
  • lässt sich unter standardisierten Bedingungen (z. B. Grundumsatzbedingungen) messen,
  • steigt bei körperlicher und geistiger Arbeit deutlich an, ebenso bei Nahrungsaufnahme, in zu kalter und zu warmer Umgebung und bei Fieber,
  • muss durch Nahrungsaufnahme gedeckt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass Fette einen etwa doppelt so hohen Brennwert wie Kohlenhydrate und Eiweiße haben,
  • ist dann optimal, wenn dabei das Körpergewicht konstant bleibt.

Prozesse der Wärmebildung und Wärmeabgabe

Der Mensch ist homoiotherm, d. h. er muss eine in etwa konstante Körpertemperatur sicherstellen. Dies geschieht über die Prozesse der Wärmebildung und Wärmeabgabe.

  • Reicht die Wärmebildung durch die Stoffwechselprozesse der Organe nicht aus, wird Wärme durch Bekleidung und Absenken der Körperschalentemperatur (verringerte Hautdurchblutung) zurückgehalten und zusätzliche Wärme durch Zittern und zitterfreie Wärmebildung gebildet.
  • Ist die Wärmebildung größer als für die Homoiothermie erforderlich, wird die Wärme v. a. durch Schwitzen verbunden mit verstärkter Hautdurchblutung und erhöhter Wärmestrahlung abgeführt.
  • Schwitzen verändert durch die Durchfeuchtung der Haut auch deren elektrischen Widerstand. Emotionales Schwitzen kann daher über dessen Messung erfasst werden. Hautleitfähigkeitsmessungen sind daher eine wichtige Methode der Psychophysiologie.

Regelung der Körpertemperatur

Die Regelung der Körpertemperatur erfolgt über vermaschte Regelkreise.

  • Als Messfühler dienen äußere (in der Haut gelegene) und innere Thermosensoren (an verschiedenen Stellen im ZNS), die teils auf steigende (Warmsensoren), teils auf sinkende Temperaturen (Kaltsensoren) ansprechen.
  • Die neuronalen Zentren für die Thermoregulation liegen im hinteren Hypothalamus in der Nähe und in Zusammenarbeit mit anderen lebenswichtigen Kontrollzentren (z. B. für zirkadiane Periodik, Hunger und Durst).
  • Vegetative und somatosensorische Anteile des Nervensystems beteiligen sich gemeinsam an der Ansteuerung der verschiedenen Stellglieder der Thermoregulation (wie Regelung der Hautdurchblutung, Muskelzittern etc.).
  • Fehlregulationen und Überforderungen der Thermoregulation, z. B. bei extremem Fieber, können zu Hitzekollaps und Hitzschlag führen, extreme Kältebelastungen (z. B. eiskaltes Seewasser) zum Absinken der Körpertemperatur in lebensgefährliche Bereiche (Herzflimmern bei Körpertemperaturen um 26-28°C).

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12. Stoffaufnahme und -ausscheidung

Brenn- und Baustoffwechsel

Für seinen Brenn- und Baustoffwechsel nimmt der Mensch folgende 3 Nährstoffe zu sich (Tabelle 12.1 im Buch):

  • Kohlenhydrate (größtenteils in Form von pflanzlicher Stärke) v. a. für den Brennstoffwechsel;
  • Fette (hauptsächlich tierische Triglyzeride) v. a. für den Brennstoffwechsel;
  • Eiweiße (sowohl in tierischer wie pflanzlicher Form) v. a. für den Baustoffwechsel, wobei acht der Aminosäuren, aus denen die Eiweiße aufgebaut sind, unbedingt mit der Nahrung aufgenommen werden müssen (essenzielle Aminosäuren).

Unentbehrlich für die menschliche Ernährung

Zusätzlich zu den obigen Nährstoffen sind noch folgende Stoffe für die menschliche Ernährung unentbehrlich:

  • Fettlösliche Vitamine (v. a. A, D, E, K), weswegen auch eine gewisse Menge Fett gegessen werden muss (Tabelle 12.2 im Buch).
  • Wasserlösliche Vitamine (v. a. B-Gruppe, C), deren chronischer Mangel zahlreiche Störungen im ZNS auslösen kann (Tabelle 12.3 im Buch).
  • Spurenelemente, von denen insbesondere Eisen, Jod, Kupfer und Fluor in kleinen Mengen unentbehrlich sind.
  • Wasser und Salze, die bei normaler Ernährung in ausreichender Menge aufgenommen werden.

Bestimmung des Idealgewichts

Zur Bestimmung des Idealgewichts, also des Körpergewichts mit der höchsten Lebenserwartung wird der Body-Mass-Index herangezogen.

  • Er ist definiert als Körpergewicht (kg)/Körpergröße (m)2.
  • Als optimaler Wert wird ein BMI von 23 angesehen, mit einem Normalbereich von 18,5-24,9.
  • Übergewichtig ist man bei einem BMI von 25-29,9.
  • Bei einem BMI >30 spricht man von Fettsucht (Adipositas), >40 von krankhafter Fettsucht, beide sind mit vielen Krankheitsrisiken behaftet.
  • Neben dem BMI ist bei Adipositas auch die Fettverteilung wichtig, Bauchfett ist mehr risikobehaftet als Fett an Hüfte und Oberschenkeln.

Magen-Darm-Trakt

Der Magen-Darm-Trakt (Gastrointestinaltrakt) beginnt mit dem Mund und bildet ein durchlaufendes Rohr bis zum Anus. Seine Anteile und deren Hauptaufgaben sind:

  • Mundhöhle, Rachen und Speiseröhre dienen der Nahrungsaufnahme (samt Geschmacksbildung), deren Zerkleinerung, Einspeichelung und Transport in den Magen.
  • Im Magen wird die Speise zwischengelagert, weiter durchmischt, zerkleinert, zur Vorbereitung der Verdauung mit Magensaft durchmischt und portionsweise an den Dünndarm abgegeben.
  • Im Dünndarm werden dem Speisebrei aus exokrinem Pankreas, Leber und seinen eigenen Drüsenzellen zahlreiche Enzyme zum Verdauen (Zerlegen in resorbierbare Moleküle) der Nahrung beigemischt, die anschließend über die Darmwand in das Blut aufgenommen und abtransportiert werden.
  • Im Dickdarm wird aus den Überresten des Speisebreis unter Resorption von Wasser der Kot zubereitet.
  • Im Enddarm wird dieser bis zur Defäkation aufbewahrt.

Die Nieren

Die Nieren scheiden Stoffwechselendprodukte (z. B. Harnstoff ), Fremdstoffe (z. B. Medikamente) und v. a. Wasser (etwa 1,5 l/Tag) aus. Ihr Grundbaustein ist das Nephron, von dem jede Niere 1,2 Millionen besitzt. Seine verschiedenen Abschnitte sind wie folgt an der Harnbereitung beteiligt:

  • In den Glomeruli wird per Ultrafiltration pro Tag etwa 170 l Primärharn gebildet.
  • In den proximalen Tubuli wird das Meiste davon wieder rückresorbiert, wobei die passive Rückresorption (entlang osmotischen und elektrischen Gradienten) überwiegt. Aktive Rückresorption (»Pumpen«) sorgt dafür, dass lebenswichtige Moleküle (z. B. Glukose) vollständig resorbiert werden.
  • Die distalen Tubuli dienen der Feineinstellung der Urinzusammensetzung.
  • In allen Tubulusabschnitten können durch aktive Sekretion Salze, Säuren und Fremdstoffe aus dem Blut in den Urin eliminiert werden.
  • Das Hormon Aldosteron ist an der Feineinstellung im distalen Tubulus beteiligt, in dem es, sobald dem Körper Salzmangel droht, den aktiven Transport von Natrium- Ionen aus den Tubuli in das Blut steigert. Sein Gegenspieler ist das Atriopeptin (atrialer natriuretischer Faktor, ANF). Beiden zusammen obliegt es, die Kochsalzmenge des Körpers konstant zu halten.
  • Im Sammelrohr wird schließlich mit Hilfe des Hormons Adiuretin die Rückdiffusion von Wasser so gesteuert, dass der osmotische Druck der Extrazellulärflüssigkeit konstant bleibt.

Völliges Nierenversagen ist mit dem Leben nicht vereinbar. Bei akuten wie chronischen Formen muss das Blut mit Hilfe der Dialyse von den toxisch wirkenden harnpflichtigen Substanzen befreit werden, sonst tritt der Tod durch Urämie ein. Die beste Langzeittherapie ist eine Nierentransplantation.

Der Harn

  • fließt über die Ureteren in die Harnblase, die bis zu einen Liter und mehr speichern kann;
  • wird von dort periodisch über den Vorgang der Miktion entleert, der teils willkürlich, teils unwillkürlich abläuft.
  • Harninkontinenz kann organisch (z. B. Beckenbodenschwäche nach Geburten), hirnorganisch (z. B. multiple Skerose) oder psychologisch (z. B. Enuresis nocturna) bedingt sein. Therapeutisch sind verhaltensmedizinische Verfahren oft erfolgreich.

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13. Bewegung und Handlung

Kontraktile Einheit der Skelettmuskulatur

Die kontraktile Einheit der Skelettmuskulatur ist das Sarkomer in den Myofibrillen der Muskelfasern. Nach der Gleitfilamenttheorie der Sarkomerkontraktion

  • gleiten die dünnen Aktinfilamente bei der Kontraktion unter Energieverbrauch zwischen die dicken Myosinfilamente, wobei das ATP der alleinige Energielieferant ist;
  • gleiten die dicken und dünnen Filamente passiv wieder auseinander;
  • verändert sich bei Dehnung des Muskels oder bei isometrischer Kontraktion weder die Länge des Aktins noch des Myosins, vielmehr dehnt sich das Titin, mit dem das Myosin an die Z-Scheiben angeheftet ist.

Endplatte

Die Skelettmuskeln werden von Motoneuronen innerviert. Deren Aktionspotenziale werden an der Endplatte auf den Muskel übertragen und die elektromechanische Kopplung sorgt für die Kontraktion.

  • Die Terminalen der Motoaxone, d. h. die Endplatten, setzen bei Erregung präsynaptisch Azetylcholin, ACh, frei, das in der Regel postsynaptisch ein überschwelliges Endplattenpotenzial auslöst, worauf sich ein Aktionspotenzial auf der Muskelfaser ausbreitet.
  • Über die transversalen und longitudinalen Tubuli breitet sich dieses Aktionspotenzial in die Muskelfaser aus und setzt dabei aus den Terminalzisternen Kalziumionen frei. Diese dienen als sekundäre Botenstoffe für die Umwandlung des elektrischen Signals in die Sarkomerkontraktion.

Abstufung der Muskelkraft

Muskeln können sich entweder verkürzen (isotonische Kontraktion) oder ihre Spannung erhöhen (isometrische Kontraktion). Sie haben dabei 2 Möglichkeiten der Abstufung der Muskelkraft:

  • Einzelzuckung bringt nur wenig Verkürzung oder Spannungsgewinn. Die Muskeln müssen daher mehrfach kurz hintereinander (tetanisch) aktiviert werden, um sich verstärkt zu kontrahieren.
  • Jedes Motoneuron innerviert nur eine begrenzte Zahl von Muskelfasern in einem Muskel. Jeder Muskel hat also zahlreiche bis sehr viele motorische Einheiten. Die Muskelkraft kann daher auch durch Änderung der Anzahl der aktivierten motorischen Einheiten variiert werden.

Elektromyogramm

Die elektrische Aktivität der motorischen Einheiten eines Muskels kann mit dem Elektromyogramm, EMG, erfasst werden.

  • Es handelt sich um eine extrazelluläre Ableitung mit Elektroden, die in den Muskel eingestochen oder außen auf die Haut über dem Muskel aufgelegt werden.
  • Das EMG ist ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel bei Muskelerkrankungen, es wird aber auch in der Psychophysiologie (Messung psychologisch bedingter Muskelanspannungen) und in der Verhaltensmedizin (EMG-Biofeedback) eingesetzt.

Reflexe

Als Reflexe werden stereotype, d. h. automatische, wiederholbare und zweckgerichtete Antworten des Organismus auf Störreize, bezeichnet. Sie können auch als ein Vorrat an elementaren Haltungs- und Bewegungsprogrammen bezeichnet werden, derer sich der Organismus bedienen kann.

  • Der einfachste Reflex ist der monosynaptische Dehnungsreflex, der durch Dehnung der Muskelspindeln ausgelöst wird, was durch äußere Dehnung wie durch Kontraktion der intrafusalen Muskelfasern möglich ist.
  • Alle anderen Reflexe haben 2 oder mehr zentrale Synapsen auf dem Weg vom Sinnesrezeptor zum Motoneuron, sie sind also di- oder polysynaptisch.
  • Je mehr Synapsen auf einem Reflexbogen liegen, umso größer ist die Möglichkeit, seinen Ablauf über andere Zuflüsse zu verstärken oder abzuschwächen.
  • Ganzkörperreflexe, wie z. B. der mit dem EMG erfassbare Schreckreflex, sind wichtige methodische Hilfsmittel in der Psychophysiologie.

Stützmotorik

Die Stützmotorik zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der normalen Körperstellung ist weitgehend eine Leistung der motorischen Zentren des Hirnstamms.

  • Diese können auch Laufbewegungen generieren und sie tragen zur Abstimmung der Stütz- mit der Zielmotorik bei
  • Das bipedale Stehen und Gehen des Menschen erfordert eine besonders feine Abstimmung von Stand, Haltung und Bewegung mit Hilfe von posturalen und antizipatorischen posturalen Synergien
  • Die Bewegungsprogramme für das rhythmische Schreiten, Laufen und Rennen sind bereits auf spinaler Ebene angelegt und durch absteigende Einflüsse anzustoßen und modifizierbar

Basalganglien

Die Basalganglien teilen sich die zielmotorischen Aufgaben mit dem Kleinhirn und dem Motorkortex.

  • Sie setzen dabei den Bewegungsplan aus dem assoziativen Kortex in ein Bewegungsprogramm, als in ein zeitlich und räumlich organisiertes Impulsmuster, um
  • Sie beteiligen sich an der Kontrolle der gerade ablaufenden Bewegungen, dabei regeln sie über Rückkopplungsschleifen durch den Thalamus die Erregungsschwellen lokaler kortikaler Zellensembles
  • Läsionen in den Basalganglien führen zu Bewegungsstörungen, von denen das hypokinetische Parkinson- Syndrom mit den Hauptsymptomen Akinese, Rigor und Ruhetremor am häufigsten ist. Die hyperkinetische Chorea Huntington wird autosomal-dominant vererbt, beginnt aber meist erst im mittleren Lebensalter

Kleinhirn

Das Kleinhirn ist sowohl an der Stütz- wie der Zielmotorik beteiligt.

  • Das Vestibulozerebellum beteiligt sich v. a. an der Okulomotorik, aber auch an der Stützmotorik und dem aufrechten Gang, dem Spinozerebellum obliegt die Koordination von Haltung und Bewegung und das Pontozerebellum ist v. a. für die Durchführung der ballistischen Zielmotorik verantwortlich
  • Erkrankungen des Kleinhirns führen zu motorischen Störungen, bei denen je nach Ort und Ausmaß der Läsionen als Hauptsymptome Asynergie (mit Dysmetrie, Ataxie und Adiadochokinese), Intentionstremor und Hypotonus beobachtet werden
  • Motorisches Langzeitlernen und die Adaptation der Motorik an wechselnde Bedingungen erfordern die Mitwirkung des Kleinhirns

Motorische Kortexareale

Die motorischen Kortexareale (primär-motorischer, supplementär-motorischer und prämotorischer Kortex) liegen, funktionell gesehen, an der Schnittstelle zwischen Bewegungsplanung und -ausführung.

  • Die Beteiligung des supplementär-motorischen Kortex an der Bewegungsplanung lässt sich an den Bereitschafts- und Erwartungspotenzialen ablesen, ebenso daran, dass bei beidseitigen Läsionen keine Willkürbewegungen mehr möglich sind
  • Der primär-motorische Kortex, der v. a. für die Feinkontrolle von Bewegungen zuständig ist, nimmt seinen Hauptausgang über die Pyramidenbahn, die ohne Unterbrechung, aber unter Abgabe zahlreicher Kollateralen, bis zu den Motoneuronen in Hirnstamm und Rückenmark führt
  • Unterbrechung der Pyramidenbahn, z. B. bei einem Schlaganfall (Apoplex, Hirnschlag), führt kontralateral zu einer zunächst schlaffen und später spastischen Lähmung (Hemiplegie)

Menschliche Hand

Die menschliche Hand dient mit ihrer dichten sensorischen und motorischen Innervation als Greif- und Tastorgan zugleich.

  • Grundformen des Greifakts sind der Kraftgriff und der Präzisionsgriff, wobei in beiden Fällen die Einstellung der Greifkraft teils proaktiv, teils reflektorisch erfolgt
  • Die Handgeschicklichkeit ist eng an das kortikomotoneuronale System gebunden, in dessen Neuronen das Bewegungsprogramm entworfen und über die Pyramidenbahn z. T. monosynaptisch an die Arm- und Handneurone übermittelt wird

Läsionen im motorischen System

Nach Läsionen im motorischen System können neben konventionell physiotherapeutischen Verfahren auch neuropsychologische Verfahren (z. B. Biofeedback) zur muskulären Entspannung oder zum Wiedererlernen von Harnblasen- und Mastdarminkontinenz) mit Erfolg eingesetzt werden.

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Wahrnehmung

14. Allgemeine Sinnesphysiologie und Grundlagen der Wahrnehmungspsychologie

Wissenschaftliche Betrachtung der Sinnesorgane

Unsere Sinnesorgane erfassen einen kleinen Ausschnitt aller Umweltreize. Die wissenschaftliche Betrachtung ihrer Leistungen umfasst:

  • Die objektive Sinnesphysiologie, die mit den gleichen Methoden beobachtet und analysiert wird, wie bei der Erforschung anderer Körperorgane. Sie verfolgt insbesondere, in welcher Weise die Sinnesreize im peripheren und zentralen Nervensystem kodiert, d. h. in elektrische Signale umgesetzt, werden.
  • Die Wahrnehmungspsychologie (subjektive Sinnesphysiologie), welche die Empfindungen und Wahrnehmungen analysiert, die durch Reizung der Sinnesorgane ausgelöst werden. Die Beziehungen zwischen beiden Gebieten werden durch die Psychophysik untersucht.

Modalitäten

Beim Studium der Leistungen der einzelnen Sinne oder Sinnesmodalitäten, kurz Modalitäten (von denen es neben den 5 »klassischen« zahlreiche gibt), sind zu unterscheiden:

  • deren Qualitäten (z. B. beim Auge Grauwert und Farbe);
  • Räumlichkeit (Lokalisation eines Lichtpunkts);
  • Zeitlichkeit (Dauer eines Lichtsignals);
  • Quantität oder Intensität (z. B. Helligkeit).

Sensoren

Die Aufnahme von Reizen erfolgt durch spezielle Nervenzellen, die Sinnesrezeptoren, Sinnesfühler oder Sensoren genannt werden. Der für sie optimale Reiz wird adäquater Reiz genannt. Wir unterscheiden:

  • Exterozeptoren, die Reize aus der Umwelt aufnehmen,
  • Propriozeptoren, die Lage und Bewegung des Körpers registrieren, und
  • Enterozeptoren, die Vorgänge in den Eingeweiden vermitteln.

Periphere Aufnahme von Sinnesreizen

Die periphere Aufnahme von Sinnesreizen durch die verschiedenen Modalitäten ist durch 2 Prozesse gekennzeichnet, nämlich

  • die Transduktion, das ist die Umwandlung des Reizes in ein elektrisches Potenzial, das Generatorpotenzial, dessen molekularer Mechanismus (meist das Öffnen von Ionenkanälen) vielfach bekannt ist,
  • die Transformation, das ist die Umwandlung des Generatorpotenzials in Aktionspotenziale, die durch ihre Frequenz und Dauer ihrer Impulssalven die Reizstärke kodieren, wobei neben linearen besonders nichtlineare, nämlich Potenzfunktionen, vorherrschen.

Zentrale Verarbeitung von Sinnesreizen

Die anschließende zentrale Verarbeitung von Sinnesreizen ist gekennzeichnet durch

  • divergente und konvergente Erregungsausbreitung (beide gewährleisten die Weitergabe schwacher Signale),
  • ausgeprägte Hemmvorgänge, z. B. laterale Hemmung durch negative Rückkopplung (Umfeldhemmung), die der Kontrastverschärfung dienen und an der funktionellen Organisation der rezeptiven Felder teilnehmen,
  • Übertragungsfunktionen, die, wie in der Peripherie, durch Potenzfunktionen am besten beschrieben werden können,
  • modalitätsspezifische Weiterleitung, z. B. der somatosensorischen Modalität im Hinter- oder Vorderseitenstrang des Rückenmarks, und, für den Kopfbereich, im N. trigeminus,
  • absteigende Kontrolle des afferenten Zuflusses zur Empfindlichkeitskontrolle und Bereichseinstellung, auch unter Beteiligung des motorischen Systems.

Subkortikale und kortikale Verarbeitung sensorischer Signale

Bei der supraspinalen subkortikalen und kortikalen Verarbeitung sensorischer Signale sind zu beachten:

  • der Thalamus, in dem alle sensorischen Signale auf dem Weg zur Großhirnrinde umgeschaltet werden müssen; er bildet nach den Hinterstrangkernen die 2. und vorletzte Synapse des spezifischen lemniskalen Systems (Basis v.a. für Tastsinn und Tiefensensibilität);
  • die kortikalen Areale der Somatosensorik (sensorische Hirnrinde, v. a. Gyrus postcentralis), die somatotopisch organisiert sind (sensorischer Homunculus). Zusammen mit dem unspezifischen System der Formatio reticularis sind sie für bewusste Wahrnehmungen verantwortlich.

Wahrnehmungspsychologie und Psychophysik

Die Wahrnehmungspsychologie samt der Psychophysik misst an Mensch und an Tieren (dort mit Verhaltensversuchen) die Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane durch die Bestimmung

  • der sensorischen Schwellen, auch Reizlimen, RL, genannt, die mit verschiedenen Methoden gemessen werden können (Grenzmethode, Konstantreizmethode, Sensorische Entscheidungstheorie),
  • der Unterschiedsschwellen, auch Differenzlimen, DL, genannt, die weitgehend der Weber-Regel folgen und deren Untersuchung - unter Einbeziehung der Beziehungen zwischen Reiz- und Empfindungsintensität - zum Weber-Fechner-»Gesetz« und zur Stevens-Potenzfunktion geführt haben,
  • des intermodalen Intensitätsvergleichs, als der Beziehungen zwischen verschiedenen Sinnesorganen, was ergab, dass sich die Intensität einer Empfindung auch als Intensität einer anderen ausdrücken lässt,
  • des zeitlichen Auflösungsvermögens, was bei allen Sinnesorganen recht schlecht ist und
  • von Adaptation und Deadaptation, die die Sinnesorgane für dynamische Vorgänge empfindlicher machen als für langanhaltende Reize.

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15. Somatosensorik

Somatoviszerale Sensibilität

Als somatoviszerale Sensibilität werden alle Sinnesmodalitäten zusammengefasst, deren Sensoren entweder als somatische Sensoren in der Haut oder in den Skelettmuskeln, ihren Sehnen und den Gelenken liegen, während die Sensoren der Eingeweide als viszerale Sensoren zusammengefasst werden. Der Tastsinn der Haut (die Mechanorezeption) umfasst 4 Qualitäten, nämlich Druck-, Berührungs-, Vibrations- und Kitzelempfindung. Er

  • hat Empfindungsschwellen, die an den Fingerspitzen mit rund 0,01 mm Eindrucktiefe sehr gering sind;
  • ist noch empfindlicher auf Vibrationsreize, deren minimale Amplitude bei Frequenzen von 150-300 Hz bei etwa 1 µm liegen;
  • basiert auf verschiedenen Typen von Mechanorezeptoren, die darauf spezialisiert sind, die Intensität (Drucksensoren), die Geschwindigkeit (Berührungssensoren) oder die Beschleunigung (Vibrationssensoren) mechanischer Reize zu signalisieren;
  • besitzt psychophysische Intensitätsfunktionen, die Potenzfunktionen folgen, deren Formung teils von den Mechanorezeptoren, teils von Prozessen der zentralen Informationsverarbeitung bestimmt wird.

Tiefensensibilität

Die Tiefensensibilität (die Propriozeption) umfasst 3 Qualitäten, nämlich Stellungs-, Bewegungs- und Kraftsinn. Sie

  • signalisiert über den Stellungssinn die Stellung der Gliedmassen untereinander und zusammen mit dem Gleichgewichtssinn die Stellung des Körpers im Raum;
  • signalisiert über den Bewegungssinn Richtung und Geschwindigkeit der Gelenkbewegungen;
  • signalisiert über den Kraftsinn die Muskelkraft, die aufgewendet wird, um eine Bewegung durchzuführen oder eine Gelenkstellung einzuhalten (z. B. gegen die Schwerkraft);
  • bezieht ihre Signale v. a. aus Gelenk- und Muskelsensoren, deren afferente Zuflüsse im ZNS verarbeitet werden, wobei über Efferenzkopien aus dem motorischen System und über afferente Hemmung potenzielle Mehrdeutigkeiten ausgeschaltet werden;
  • ist zusammen mit dem Tastsinn an dem Erleben unserer Umwelt als Tastwelt und Fühlraum und in Zusammenarbeit mit diesen und den Gleichgewichtsorganen für das bewusste Erleben des Körpers im Raum, das Körperschema, verantwortlich.

Temperatursinn

Der Temperatursinn (die Thermorezeption) umfasst 2 Qualitäten, den Kaltsinn und den Warmsinn. Er

  • adaptiert in einem mittleren Temperaturbereich, der Zone der Indifferenztemperatur, vollständig auf konstante Temperaturreize;
  • führt bei konstanten Hauttemperaturen unterhalb bzw. oberhalb der Zone der Indifferenztemperatur zu dauernden Kalt- bzw. Warmempfindungen;
  • führt bei dynamischen Änderungen der Hauttemperatur zu Temperaturempfindungen, deren Intensität und Richtung (Weber-Drei-Schalen Versuch) von der Ausgangstemperatur, der Geschwindigkeit der Temperaturänderung und der Größe des gereizten Hautareals abhängen;
  • verfügt über spezielle äußere und innere Kalt- und Warmrezeptoren, die freie Nervenendigungen im Gewebe ausbilden und von dünnen Nervenfasern versorgt werden;
  • bezieht seine Information über konstante (statische) bzw. sich ändernde (dynamische) Hauttemperaturänderungen über das entsprechende Entladungsverhalten der Thermosensoren, wobei die zentrale Verarbeitung der afferenten Signale dafür sorgt, dass Mehrdeutigkeiten beseitigt werden.

Viszerale Sensibilität

Die Nerven zu den Eingeweiden, die viszeralen Nerven des parasympathischen und des sympathischen Nervensystems enthalten vorwiegend afferente Nervenfa- sern. Sie werden mit ihren Sensoren als viszerale Sensibilität zusammengefasst. Für sie gilt:

  • Ihre Aufgaben liegen nicht so sehr in der Vermittlung bewusster Sinnesempfindungen als in ihrer Beteiligung an der Homöostase (Aufrechterhaltung) des »inneren Milieus«, indem sie Abweichungen von dessen Sollwerten melden und damit Korrekturvorgänge einleiten.
  • Die Viszerorezeptoren weisen eine erhebliche Spezifität in Bezug auf die von ihnen innervierten Organe, wie z. B. Herz, Lunge, Magen-Darm-Trakt und Niere auf, so dass sich in diesen Organen die unterschiedlichsten Mechano-, Thermo- und v. a. Chemorezeptoren und Nozizeptoren finden.

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16. Nozizeption und Schmerz

Schmerz

Schmerz ist eine eigenständige Sinnesmodalität, die über das nozizeptive System vermittelt wird.

  • Akute Schmerzen werden durch gewebeschädigende oder potenziell gewebeschädigende Reize (Noxen) ausgelöst.
  • Akute Schmerzen sind in der Regel mit einem unlustbetonten Gefühlserlebnis verknüpft.
  • Akute Schmerzen wirken deshalb als ein Antrieb zur Vermeidung.
  • Eine einfache Klassifizierung des Schmerzes ist nach dem Ort seiner Entstehung (somatischer und viszeraler Schmerz etc.) möglich.
  • Schmerzen, die mehr als 6 Monate anhalten oder immer wiederkehren, werden als chronische Schmerzen bezeichnet.

Bewertung von Schmerzen

Bei der Bewertung von Schmerzen

  • sind in wechselndem Ausmaß die sensorische, die affektive, die vegetative und die motorische Komponente beteiligt;
  • kommt es entscheidend auf den Vergleich der aktuellen Schmerzen mit den im Schmerzgedächtnis gespeicherten Vorerfahrungen an;
  • sind auch soziale Faktoren (Partnerschaft, Belastungen etc) beteiligt.

Das Messen von Schmerzen

  • erfolgt einmal mit den klassischen Methoden der Psychophysik als subjektive Algesimetrie;
  • erfolgt als objektive Algesimetrie mit der Messung motorischer und vegetativer Reaktionen und von evozierten Hirnrindenpotenzialen;
  • bedient sich in der klinischen Algesimetrie Verhältnisschätzmethoden (z. B. visuelle Analogskala, VAS) und Fragebögen.

Nozizeptoren

  • sind nicht-korpuskuläre freie Nervenendigungen;
  • antworten zum Großteil polymodal auf diverse noxische Reize;
  • sind z. T. auf eine Modalität spezialisiert (z. B. Hitzenozizeptoren, Mechanonozizeptoren);
  • haben keine konstante Schwelle, sondern können sensibilisiert (z. B. bei Entzündungen) und desensibilisiert (z. B. durch Analgetika) werden;
  • haben durch die Freisetzung von Peptiden auch efferente Wirkungen (neurogene Entzündung);
  • haben für die verschiedenen noxischen Reize spezielle Membranrezeptoren wie z. B. den Vanilloidrezeptor aus der TRP-Familie;
  • haben z. T. so hohe Schwellen, dass sie in normalem Gewebe unerregbar sind (schlafende Nozizeptoren);
  • haben eine Untergruppe, die als Juckrezeptoren dienen.

Die zentrale Verarbeitung noxischer Signale

  • beginnt im Hinterhorn des Rückenmarks, wo die nozizeptiven Afferenzen auf Neurone aufgeschaltet werden, die in motorische und vegetative Reflexe eingebunden sind und/oder zum Thalamus und Kortex ziehen;
  • erfolgt im Rückenmark unter Beteiligung von Glutamat als erregendem und GABA und Glyzin als hemmenden Transmitter, die praktisch alle mit Peptiden kolokalisiert sind;
  • setzt sich mit der Weiterleitung der noxischen Signale in den Thalamus über die lateralen und medialen thalamokortikalen Bahnen fort;
  • ist durch absteigende schmerzhemmende Bahnen kontrolliert, an denen auch die endogenen Opiate beteiligt sind.

Sensibilisierung und Plastizität im zentralen nozizeptiven System

  • sind oft eine Folge der peripheren Sensibilisierung von Nozizeptoren;
  • können zu Allodynie führen, d. h. zu einer Überempfindlichkeit auf Berührung durch nicht-noxische Reize;
  • kann zu Hyperalgesie führen, d. h. zu einer erhöhten Empfindlichkeit auf noxische Reize;
  • kann auch eine Hyperpathie auslösen, v. a. bei repetitiver Reizung.

Phantomschmerzen

  • müssen im Gehirn entstehen, da sie auch ohne Afferenzen zum Gehirn bestehen bleiben;
  • führen in und außerhalb des rezeptiven Feldes zu massiven Änderungen des Entladungsverhaltens der Neurone;
  • bewirken eine kortikale Reorganisation, bei der sich bei Handamputierten das Gesichtsareal in das Handareal verschiebt.

Chronische Schmerzzustände

Eine große Rolle bei chronischen Schmerzzuständen spielen

  • Reaktionsstereotypien mit Hypererregbarkeit einzelner Körpergebiete auf persönliche Stressreize,
  • mangelnde Wahrnehmung der Hypererregungen,
  • klassische Konditionierung der Reaktionsstereotypien.

Lernprozesse beeinflussen zusätzlich chronischen Schmerz über

  • gelernte Stress-Analgesie,
  • operantes Lernen,
  • negative Verstärkung und Schonhaltungen.

Neuronale Grundlagen des Schmerzgedächtnisses

Die neuronalen Grundlagen des Schmerzgedächtnisses sind nicht anders als die aller übrigen Lernprozesse. NMDA-Rezeptorbindungen und Langzeitpotenzierung sind besonders wichtig.

Schmerztherapien

Pharmakologische Schmerztherapien benutzen

  • nicht-narkotische Schmerzmittel, v. a. nichtstereoidale Analgetika,
  • Morphin,
  • Psychopharmaka,
  • Lokalanästhesien.

Physikalische Schmerztherapien benutzen

  • Ruhe und Entspannung,
  • funktionelle Bewegung und Sport,
  • elektrische Nervenreizung,
  • Akupunktur,
  • Nervenläsionen.

Psychologische Schmerztherapien bestehen aus

  • Verhaltensanalyse,
  • EMG- und Temperaturbiofeedback,
  • operanter Therapie,
  • kognitiver Therapie.

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17. Das visuelle System

Farbensehen bei Tageslicht

Das Farbensehen bei Tageslicht (photopisches Sehen) zeichnet sich aus durch:

  • Gesichtsfelder, die sich teilweise überlappen und sich durch die Bewegung der Augen zu Blickfeldern weiten,
  • ein physiologisches Skotom, den blinden Fleck (Sehnervaustritt), das wir durch Wahrnehmungsergänzung in der Regel nicht bemerken,
  • einen Visus von 1 an der Stelle des schärfsten Sehens, dem Fixationspunkt,
  • Blendung beim abrupten Übergang von Dunkelheit in helles Licht, danach rasche Adaptation sowie
  • Nachbilder und Kontrastphänomene, Phi- und autokinetische Phänomene.

Schwarz-Weiß-Sehen in der Dämmerung

Das Schwarz-Weiß-Sehen in der Dämmerung (skotopisches Sehen) zeichnet sich aus durch

  • Gesichtsfelder, die etwas größer sind als die farbigen,
  • ein zusätzliches Skotom (Zentralskotom) an der Stelle des schärfsten Farbensehens,
  • eine höhere Empfindlichkeit für blaues als für rotes Licht (Purkinje-Phänomen) sowie
  • einen langsamen Verlauf der Dunkeladaptation.

Sehen und Wahrnehmen des dreidimensionalen Raums

Beim Sehen und Wahrnehmen des dreidimensionalen Raums wird das Sehen mit 2 Augen und das Sehgedächtnis zur Gestaltwahrnehmung und -deutung eingesetzt. Insbesondere

  • wird die Konvergenz der Sehachsen und die Querdisparation zur Tiefenwahrnehmung im Nahbereich eingesetzt;
  • werden zur Tiefenwahrnehmung in der Ferne zahlreiche monokulare Signale herangezogen (z. B. Überdeckungen, Schatten, Größenunterschiede etc.);
  • wird die Größen- und Formkonstanz zur Gestaltwahrnehmung eingesetzt, wobei es bei mehrdeutigen Abbildungen zu Sinnestäuschungenkommen kann.

Farbensehen

Beim Farbensehen erscheint der langwellige Teil des sichtbaren Lichts rot, der kurzwellig violett, die übrigen Spektralfarben sind dazwischen angeordnet. Dazu kommt,

  • dass es zahlreiche Mischfarben gibt, z. B. die Purpurtöne,
  • dass normale Menschen etwa 7 Mio. Farbwerte unterscheiden können,
  • dass additive und subtraktive Farbmischung möglich ist,
  • dass die häufigste Farbsinnstörung die Rot-Grün-Verwechslung ist,
  • dass es dazu zahlreiche andere Farbsinnstörungen gibt, von denen wegen des Vererbungswegs Männer häufiger als Frauen betroffen sind.

Das Auge

Das Auge ist das bildgebende Organ des Sehsystems. Für Bau und Funktion sind zu beachten:

  • Hornhaut (Kornea) und Linse entwerfen auf der Netzhaut ein stark verkleinertes Abbild der Umwelt, wobei in Ruhe unendlich weit entfernte Gegenstände in der Fovea zentralis scharf abgebildet werden.
  • Die Iris ändert in Abhängigkeit vom Lichteinfall den Pupillendurchmesser und trägt dabei zur Anpassung der Augenempfindlichkeit an die Leuchtstärke bei.
  • Die Linse kann zum Nahsehen über eine Verstärkung ihrer Krümmung ihre Brechkraft erhöhen. Dies ist im Alter durch Elastizitätsverlust nicht mehr möglich (Presbyopie).
  • Kurz- und Weitsichtigkeit sind durch Missverhältnisse zwischen Bulbuslänge relativ zur Brechkraft des optischen Apparats (Hornhaut, Linse) bedingt.
  • Weitsichtigkeit geht bei Nahakkommodation mit Schielen einher, was zur zentralen Blindheit eines Auges führen kann (Schielamblyopie).

Signalaufnahme und -verarbeitung

Für die Signalaufnahme und -verarbeitung in der Netzhaut ist festzuhalten:

  • Die Retina enthält die farbempfindlichen Zapfen für das photopische und die Stäbchen für das skotopische Sehen. In der Fovea centralis gibt es nur Zapfen, am Rande der Netzhaut fast nur Stäbchen. Den 120 Mio. Stäbchen stehen 6 Mio. Zapfen gegenüber.
  • Zapfen wie Stäbchen sind ähnlich aufgebaut, enthalten aber unterschiedliche lichtempfindliche Sehfarbstoffe. Diese zerfallen bei Lichteinfall, was den hyperpolarisierenden Transduktionsprozess einleitet.
  • Von den Photosensoren werden die Signale über langsame lokale synaptische Potenziale auf die übrigen Neuronenschichten der Netzhaut übertragen und schon beträchtlich verarbeitet (z. B. konzentrische Organisation der rezeptiven Felder).
  • Die Ganglienzellen bilden den Ausgang des retinalen Neuronennetzwerks. Hier entstehen Aktionspotenziale, die über die Axone der Ganglienzellen (den Sehnerv) das Auge zentralwärts verlassen.

Signalverarbeitung

Für die Signalverarbeitung in den subkortikalen und kortikalen visuellen Zentren ist festzuhalten:

  • Nach der Aufteilung der Sehbahn im Chiasma opticum enden die Ganglienzellaxone beidseitig im Corpus geniculatum laterale, dessen Ausgang als Sehstrahlung zum primären Sehkortex, V1, führt.
  • V1 ist retinotop organisiert und weist eine Säulenstruktur (okuläre Dominanzsäulen mit Orientierungssäulen) und einfache, komplexe und hyperkomplexe rezeptive Felder auf.
  • Von V1 gehen zahlreiche Ausgänge zu den sekundären (V2-V4) und den höheren Sehzentren aus, die alle sehr spezifische Aufgaben bei der Verarbeitung der visuellen Signale haben. Das V2-Areal dient der visuellen Gestalterkennung ruhender, das V3-Areal der Erkennung bewegter Objekte, das V4-Areal ist farbspezifisch organisiert.
  • Eine optimale Arbeitsweise der Sehrinden setzt ihre normale ontogenetische Entwicklung und frühkindliche Nutzung voraus.

Okulomotorik

Sehen ist immer mit Augenbewegungen verknüpft. Für diese Okulomotorik ist festzuhalten:

  • Mit Hilfe von je 6 Augenmuskeln können die Augen horizontal, vertikal und zyklorotatorisch bewegt werden. Auch bei Fixation wird durch einen Mikrotremor die vollständige Adaptation der Photorezeptoren verhindert.
  • Beim Sehen in die Nähe konvergieren die Sehachsen und die Pupillen verengen sich. Beim Sehen wechseln sich meist Fixationsperioden mit Sakkaden ab, es gibt aber auch langsame Augenfolgebewegungen.
  • Periodische Wechsel zwischen Augenfolgebewegungen und Sakkaden werden Nystagmus genannt (z. B. Eisenbahnnystagmus, rotatorischer oder kalorischer Nystagmus).
  • Die blickmotorischen Zentren liegen überwiegend im Hirnstamm (prätektale Region, vorderen 4 Hügel). Sie sorgen für die Umweltstabilität beim Umherblicken und für die Bewegungswahrnehmung.

Visuelle Assoziationsfelder des Kortex

Die kognitiven visuellen Leistungen werden hauptsächlich in den visuellen Assoziationsfeldern des Kortex erbracht. Festzuhalten ist:

  • Diese Felder erstrecken sich über weite Areale des Parietal- und Temporallappens, unterscheiden sich aber zytoarchitektonisch und in ihren Verbindungen untereinander und mit subkortikalen Strukturen.
  • Die visuelle Objektidentifikation wird im okzipitotemporalen Übergangsbereich geleistet.
  • Räumliche Lokalisation und Orientierung ist eine Leistung der parietalen und präfrontalen Regionen.
  • Die Repräsentation des extrapersonalen Raums ist überwiegend eine Funktion des inferioren und posterioren Parietallappens.
  • Auch für die Signalverarbeitung bewegter visueller Felder gibt es spezielle Kortexareale, z. B. V5 (Area MT) und die Areale MST und FST.
  • Linker Gyrus angularis mit linkem Gyrus circumflexus sind besonders beim Lesen und Schreiben aktiv.
  • Die Gestaltwahrnehmung erfordert das Zusammenbinden von Zellensembles (Bindung durch Synchronie).
  • Emotionale Aspekte des Sehens werden im limbischen System verarbeitet.

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18. Hören und Gleichgewicht

Das Ohr

Das Ohr nimmt periodische, longitudinale Druckschwankungen der Luft im Frequenzbereich von 16-20.000 Hz als Schall war.

  • Schalldruckwellen breiten sich mit einer Geschwindigkeit von 340 m/s wellenförmig aus.
  • Nur Schalldruckwellen zwischen 20 Hz und 16.000 Hz werden gehört. Je höher die Schallwellenfrequenz, desto höher der Ton. Infraschall (<20 Hz) und **Ultraschall** (>16.000 Hz) sind unhörbar.
  • Die Intensität des Schalldrucks wird als Schalldruckpegel in Dezibel (dB SPL) angegeben.

Psychophysik (Psychoakustik) des Hörens

Für die Psychophysik (Psychoakustik) des Hörens gilt:

  • Als Hörschwelle bezeichnet man den für eine Schallwahrnehmung notwendigen Minimalschalldruck. Die Hörschwelle ist stark frequenzabhängig, sie ist am niedrigsten zwischen 2000-5000 Hz.
  • Zunahmen des Schalldrucks über die Hörschwelle werden als zunehmende Lautstärke empfunden.
  • Wird bei unverändertem Schalldruck die Tonhöhe geändert, ändert sich auch die subjektiv empfundene Lautstärke, da nicht nur die Hörschwelle, sondern auch die Lautstärke frequenzabhängig ist.
  • Sollen alle Tonhöhen gleichlaut gehört werden, so muss der Schalldruck in Abhängigkeit von der Frequenz angepasst werden. Dadurch entstehen Kurven gleicher Lautstärkepegel (Isophone). Bei 1000 Hz stimmen Phonwerte und dB-SPL-Werte vereinbarungsgemäß überein.
  • Beim Hören liegt die Intensitätsunterschiedsschwelle bei 1 dB oder weniger, die Frequenzunterschiedsschwelle bei 0,3%, die Mithörschwelle oberhalb der Ruhehörschwelle.
  • Das Hören mit 2 Ohren dient der akustischen Raumorientierung und der Verbesserung der Hörbarkeit akustischer Signale in gestörter Umgebung.

Bau und Arbeitsweise des Ohres

Bei Bau und Arbeitsweise des Ohres ist zu beachten:

  • Die Gehörknöchelchenkette des Mittelohrs dient als Impedanzwandler des Schalls beim Übergang von der Luft auf die Flüssigkeit des Innenohrs.
  • Im Corti-Organ kommt es dabei zu tonotopisch angeordneten Wanderwellen. Hohe Frequenzen bilden sich steigbügelnah, tiefe Frequenzen helicotremanah ab.
  • Die Wanderwellen erregen frequenzselektiv die äußeren Haarzellen und bringen sie zur Kontraktion.
  • Die Kontraktionen der äußeren Haarzellen versteilern lokal die Wanderwellen und führen zur Erregung der korrespondierenden innerenHaarzellen.
  • Die inneren Haarzellen geben ihre Erregung synaptisch an die afferenten Nervenfasern des N. acusticus weiter. In diesen ist dann das Schallereignis durch die Entladungsrate und die Zeitdauer der Aktivierung verschlüsselt.

Hörbahnen

Die Hörbahnen führen von jedem Ohr über mindestens 5-6 synaptische Umschaltungen zu den auditorischen Kortexgebieten beider Hirnhälften.

  • Wichtige Stationen sind Nucl. cochlearis, Olivenkerne, lateraler Schleifenkern und Corpus geniculatum mediale.
  • Das zentrale auditorische System führt eine Musteranalyse des Schallsignals durch. Dabei werden verschiedene Charakteristika des Schallsignals analysiert. So werden in zunehmendem Maße bedeutsame Komponenten von Schallreizen (z. B. arteigene Kommunikationslaute, Sprache) herausgearbeitet.
  • Der primäre auditorische Kortex und die mit ihm verbundenen assoziativen Kortexareale sind für die Analyse der semantischen Bedeutung der Sprache zuständig.

Schwerhörigkeit

Schalleitungs- ebenso wie Schallempfindungsstörungen führen zur Schwerhörigkeit. Sie können diagnostisch relativ leicht voneinander abgegrenzt werden.

  • Im Alter kommt es in der Regel durch Untergang von Haarzellen zu einer gewissen Schwerhörigkeit, Presbyakusis genannt.
  • Der wichtigste klinische Hörtest ist die Schwellenaudiometrie.

Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Kopfes im Raum

Die Wahrnehmung der Stellung und Bewegung des Kopfes im Raum erfolgt über das Gleichgewichtsorgan.

  • Im Gleichgewichtsorgan werden lineare Beschleunigungen (Translationsbeschleunigungen) durch die 4 Makulaorgane (je 2 Maculae sacculi et utriculi auf jeder Seite) erfasst.
  • Drehbeschleunigungen (Rotationsbeschleunigungen) werden durch die je 3 senkrecht aufeinander stehenden Bogengänge beider häutiger Labyrinthe erfasst.
  • Die Stellung des Körpers im Raum wird in Zusammenarbeit zwischen dem Gleichgewichtsorgan und der Tiefensensibilität ermittelt.
  • Die statischen Labyrinthreflexe erhalten das Gleichgewicht beim ruhigen Stehen, Sitzen und Liegen.
  • Die statokinetischen Reflexe treten während Bewegungen auf und stellen selbst Bewegungen dar (z. B. Liftreaktion und vestibulärer Nystagmus).

Gleichgewichtsorgan

Für die Arbeitsweise der peripheren und zentralen Anteile des Gleichgewichtsorgans gilt:

  • Die Haarzellen der Maculae und der Bogengangsorgane haben eine Ruheaktivität, die durch Beschleunigungsreize bei Verbiegen der Zilien in Richtung auf das Kinozilium erhöht und in der Gegenrichtung reduziert wird.
  • Infolge der Kalziteinlagerungen der Otolithenmembran wirkt die Erdbeschleunigung (Schwerkraft) lebenslänglich auf die Haarzellen der Maculae ein.
  • Die Vestibulariskerne sind die erste synaptische Station der Afferenzen aus dem Vestibularorgan. In diese Kerne projizieren außerdem Afferenzen der Somatosensorik, insbesondere aus dem Halsbereich.
  • Die Information aus den Vestibulariskernen dient der Gleichgewichtserhaltung beim Stehen und Gehen, der Steuerung von Augenbewegungen, der Feinabstimmung der Motorik im Kleinhirn und über kortikale Projektionen der bewussten Empfindung von Körperstellungen.
  • Die Prüfung auf Spontannystagmus, des postrotatorischen Nystagmus und des kalorischen Nystagmus sind wichtige Methoden in der Funktionsdiagnostik des Gleichgewichtsorgans.

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19. Geschmack und Geruch

Geschmack

Als die 5 Grundqualitäten des Geschmacks gelten:

  • süß,
  • sauer,
  • bitter,
  • salzig und
  • umami.

Als Nebenqualitäten des Geschmacks gelten:

  • alkalisch (oder seifig) und
  • metallisch.

Die Geschmacksqualitäten

  • sind auf der Zungenoberfläche ohne eindeutige Topographie angeordnet;
  • haben Wahrnehmungsschwellen, die besonders für bittere und saure Stoffe sehr niedrig sind;
  • zeigen eine deutliche Adaptation.

Als Hauptaufgaben des Geschmacksinns gelten:

  • Prüfung der Nahrung auf Verträglichkeit, bei besonders hoher Empfindlichkeit für (giftige) Bitterstoffe;
  • antizipatorische und reflektorische Anregung und Steuerung der Sekretfreisetzung durch die Verdauungsdrüsen;
  • seine psychophysiologische Rolle als primärer positiver Verstärker oder als primärer Bestrafungsreiz: Die Reaktionsmuster auf Geschmacksreize sind teils angeboren, teils erworben. Geschmacksreize gelangen direkt in positive oder negative Verstärkerzonen des Gehirns und stellen daher besonders wirksame Reize für dauerhaftes instrumentelles Lernen dar.

Die Schmeckzellen

  • sind in den Geschmacksknospen der Geschmackspapillen (Pilz-, Wall- und Blätterpapillen) wie Apfelsinenscheiben angeordnet;
  • sind sekundäre Sinneszellen, die von afferenten Nervenfasern des VII. und IX. Hirnnerven innerviert werden;
  • ihre afferenten Nervenfasern sind für mehrere, oft alle Geschmacksqualitäten empfindlich;
  • verschlüsseln die Information über die Geschmacksqualität im afferenten Impulsmuster, das daher auch als Geschmacksprofil bezeichnet wird.

Die Geschmacksbahn

  • führt über den Tractus solitarius und den Thalamus überwiegend ipsilateral zur primär sensorischen Hirnrinde und zur Inselregion;
  • hat Kollateralen, die zum limbischen System und zum Hypothalamus gehen.

Geruch

Düfte

  • werden in 7 typische Duftklassen eingeteilt;
  • sind meist Duftgemische, in denen es charakteristische Leitdüfte gibt;
  • können zu mehreren Tausenden unterschieden, aber oft nicht benannt werden;
  • werden bei sehr geringer Konzentration zunächst nur wahrgenommen und erst bei höherer Konzentration erkannt;
  • haben eine sehr ausgeprägte Adaptation.

Als Hauptaufgaben des Geruchssinns gelten

  • seine Rolle als Duftabzeichen, Duftmarken, Eigen- und Familiengeruch etc. im Bereich der sozialen Beziehungen,
  • seine Rolle bei der Steuerung der Fortpflanzung,
  • seine ausgeprägte angeborene und erlernte Hedonik und
  • seine Schutzfunktion gegen aversive Geruchsreize.

Die Riechzellen

  • sind primäre Sinneszellen, die auf das Riechepithel der Nase begrenzt sind;
  • haben zentrale Axone, die als Fila olfactoria zum Bulbus olfactorius ziehen;
  • sind spontan aktiv;
  • haben Transduktionsmechanismen, die über sekundäre Botenstoffe laufen und im Endeffekt die Spontanfrequenz erhöhen;
  • haben je nach ihrem Rezeptorbesatz eine abgestufte Selektivität.

Die Verarbeitung der Geruchssignale

  • beginnt im Bulbus olfactorius, wo sie durch starke Konvergenz, ausgeprägte Hemmprozesse und eine deutliche efferente Kontrolle gekennzeichnet ist;
  • setzt sich in den verschiedenen Arealen des Riechhirns (Tuberculum olfactorium, Area praepiriformis, Regio entorhinalis) fort, die alle zum dreischichtigen Allokortex gehören;
  • schließt auch die Weiterleitung in den Thalamus und den orbitofrontalen Neokortex ein;
  • findet auch im limbischen System, im Hypothalamus und in der Formatio reticularis statt.

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Funktionen des Nervensystems und Verhalten

20. Methoden der Biologischen Psychologie

Kausale Beziehungen zwischen Gehirn und Verhalten

erfordern die gleichzeitige (simultane) Erfassung von neuronalen und psychologischen Maßen:

  • invasive Methoden der Biologischen Psychologie, wie die Läsionsmethode und histologische Präparation von Hirngewebe; diese können zwar in der Regel nur im Tierversuch eingesetzt werden, bilden aber die Grundlage unseres Wissens über Hirn-Verhaltens-Beziehungen;
  • histologische Präparation von Hirngewebe;
  • Läsionsmethode zum Studium der Verhaltensausfälle;
  • elektrische und magnetische Hirnreizung (TMS, tDCS).

Elektroenzephalographie (EEG), Elektrokortikographie (EcoG) und Magnetoenzephalographie (MEG)

  • bilden die neuronalen und psychischen Prozesse zeitgetreu ab;

  • erlauben Quantifizierung von Zeit und Ort der Informationsverarbeitung im Gehirn;
  • erlauben keine Aussage über strukturell-anatomische und metabolische Veränderungen während geistiger Tätigkeit.

Bildgebende Verfahren umfassen

  • Messung regionaler Hirndurchblutung (rCBF),
  • Positronenemissionstomographie (PET),
  • funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT),
  • optische Bildgebung und Nahinfrarotspektroskopie.

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21. Bewusstsein und Aufmerksamkeit

Bewusstsein

Es existieren mehrere heterogene Formen von Bewusstsein und Aufmerksamkeit. Voraussetzung für das Bewusstwerden von Information sind

  • ein hohes Maß an Neuheit,
  • Komplexität und
  • subjektive Bedeutung durch assoziative Bindungsprozesse.

Limitiertes Kapazitätskontrollsystem

Ein limitiertes Kapazitätskontrollsystem (LCCS) entscheidet über

  • automatische (nicht-bewusste) oder kontrollierte (bewusste) Verarbeitung,
  • Zuteilung der Aufmerksamkeitsressourcen,
  • Unterbrechung und Lösung der Aufmerksamkeit,
  • die Ergebnisse der motivationalen Bewertung und des Vergleichs im Gedächtnis.

Großhirnhemisphären

Die beiden Großhirnhemisphären produzieren unterschiedliche Bewusstseinszustände.

Die rechte Hemisphäre verarbeitet die Information

  • holistisch,
  • nach Ähnlichkeiten,
  • nonverbal.

Die linke Hemisphäre verarbeitet die Information

  • kausal,
  • nach Funktion,
  • verbal-syntaktisch.

Aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem

Das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) erhöht die tonische Wachheit des Kortex, garantiert aber keine zielgerichtete bewusste Aufmerksamkeit: Es besteht aus mehreren heterogenen subkortikalen Systemen, die als Transmitter v.a. verwenden:

  • Azetylcholin (ACh),
  • Glutamat,
  • Noradrenalin (NA),
  • Dopamin (DA) und
  • Histamin.

Retikulärer Thalamus

Der retikuläre Thalamus (NR, Nucl. reticularis) regelt die Selektion der ankommenden Information und Motorik zusammen mit dem präfrontalen Kortex.

Informationsaustausch

Bewusstwerden von Erlebnisinhalten ist an den Informationsaustausch (»re-entry«) gebunden zwischen:

  • primären und sekundären Assoziationskortizes (bei visuellen Inhalten Parietal- und Temporalkortex),
  • präfrontalen Kortizes und
  • anteriorem Zingulum.

Entstehung und der Zeitverlauf bewussten, aufmerksamen Verarbeitens

Die Entstehung und der Zeitverlauf bewussten, aufmerksamen Verarbeitens kann man an neuronalen Oszillationen und ereigniskorrelierten Hirnpotenzialen (EKP) ablesen.

Hochfrequente, am Kortex lokalisierte Gamma-Oszillationen und EKP vor 150 - 200 ms nach Reizdarbietung repräsentieren präattentive, vorbewusste Verarbeitung. Danach setzt die kontrollierte, bewusste Verarbeitung ein, die am Verlauf langsamer Hirnpotenziale verfolgt werden kann.

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22. Zirkadiane Periodik, Schlaf und Traum

Zirkadiane Periodik

Die zirkadiane Periodik von ungefähr 24 h

  • wird von endogenen Oszillatoren erzeugt;
  • wird durch helles Licht beeinflusst (mitgenommen);
  • wird vom Nucleus suprachiasmaticus (SCN) dem Gehirn und Körper »aufgezwungen«;
  • hängt von rhythmischer Genexpression ab;
  • ist mit endokrinen und psychologischen Rhythmen gekoppelt;
  • wird durch Nacht- und Schichtarbeit und Überfliegen von Zeitzonen gestört.

Elektroenzephalogramm und REM

Das Elektroenzephalogramm und schnelle Augenbewegungen (REM, »rapid eye movements«) erlauben

  • Einteilung der Schlafstadien,
  • Messung des 90-min-»Basic-rest-activity-cycle« (BRAC),
  • Abgrenzung von SWS (»slow wave sleep«) beim Einschlafen und der darauf folgenden REM-Phase mit schnellem EEG, REM und Muskelatonie (= 1 BRAC),
  • Messung der 4 - 6 Wiederholungen einer BRAC-Periode in einer Nacht.

REM-Schlaf

  • ist vor der Geburt und in Entwicklung maximal;
  • führt zu Erregungsentladungen in subkortikalen und kortikalen Systemen (PGO);
  • geht mit aktiven Träumen einher;
  • wird von cholinergen subkortikalen Kerngruppen erzeugt;
  • wird von aminergen subkortikalen Kerngruppen gehemmt.

SWS

  • ist homöostatisch organisiert;
  • akkumuliert mit Anwachsen von Adenosin während Wachheit;
  • wird von hypothalamischen und subkortikalen Kernen erzeugt;
  • ist im Alter reduziert.

Träumen

  • tritt in allen Schlafstadien auf;
  • ist während REM bizarr und aktiv;
  • geht mit Hemmung der primären Projektionsareale und des dorsolateralen Frontalkortex einher;
  • ist am Beginn der Nacht eher abstrakt-gedankenartig.

SWS und REM sind

  • lebensnotwendig;
  • durch Schlafmittel störbar;
  • durch psychologische und medizinische Krankheiten praktisch immer gestört.

Schlafstörungen bestehen aus

  • Ein- und Durchschlafstörungen,
  • Hypersomnien mit exzessiver Tagesmüdigkeit.

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23. Vererbung

Erbe (Nature) und Umwelt (Nurture)

Was die Interaktion zwischen Erbe (Nature) und Umwelt (Nurture) angeht,

  • so ist der Normalfall die Interaktion von Anlage und Umwelt, eine dynamische Interaktion, die bereits unmittelbar nach der Befruchtung einsetzt;
  • gibt es einige wenige Sonderfälle der Dominanz angeborener Verhaltensweisen (z. B. Atmen, Schlucken);
  • gibt es auch wenige Sonderfälle der Dominanz erlernten Verhaltens (z. B. Kaspar Hauser).

Mendelsche Vererbungsregeln

Mit monohybriden Kreuzungen reinrassiger Gartenerbsen konnte Gregor Mendel seine Vererbungsregeln erarbeiten:

  • Jedes Merkmal (Gen) liegt als Paar vor, jeder Paaranteil wird Allel genannt.
  • Von jedem Allelpaar wird jeweils ein Anteil auf die Nachkommen übertragen (Spaltungsregel).
  • Es gibt dominante und rezessive Allele. Beim gemischten (heterozygoten) Vorkommen setzt sich das dominante durch, das rezessive Gen kann sich nur beim homozygoten Vorkommen durchsetzen.
  • Wegen der Dominanz oder Rezessivität der Allele entspricht daher der Phänotyp nicht immer seinem Genotyp.
  • Die Allele werden unabhängig voneinander nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit vererbt.

Ergänzung der Mendel-Regeln

Die Mendel-Regeln bedürfen der Ergänzung:

  • Gene werden nicht immer unabhängig voneinander, sondern viele auch gekoppelt, vererbt.
  • Bei unvollständiger Dominanz kommt es zu intermediären Erbgängen (z. B. rosa Blüten statt weißen oder roten).
  • Beide Allele eines Paars können unterschiedlich für den Phänotyp, aber gleich dominant sein (Kodominanz). Viele Gene kommen in mehr als 2 Allelen vor (multiple Allele, z. B. beim AB0-Blutgruppensystem).
  • Allele können mehr als eine phänotypische Wirkung haben, genannt Pleiotropie (Beispiel Sichelzellanämie).
  • Manche Gene können die phänotypische Ausprägung anderer Gene verändern (Epistase).
  • Manches phänotypische Merkmal wird als Kontinuum ausgeprägt (z. B. die Körpergröße), was darauf hinweist, dass 2 oder mehr Gene beteiligt sind (polygene Vererbung).

Biopolymere

Drei Biopolymere sind für normales Leben und die Erbsubstanz unentbehrlich:

  • Polysaccharide, hauptsächlich zur zellulären Energiespeicherung, aber auch als Bausubstanz.
  • Proteine aus Aminosäuren. Als Bausubstanz, zur Signalübertragung (Hormone, Rezeptoren) und als Biokatalysatoren (Enzyme).
  • Nukleinsäuren aus Ketten von Nukleotiden. In DNA und RNA ist die Erbsubstanz verschlüsselt.

Erbsubstanz

Die Erbsubstanz ist in den Chromosomen enthalten, die bei der Zellteilung sichtbar werden.

  • Die Chromosomen sind aus Komplexen von DNA und Eiweiß, Chromatin genannt, aufgebaut, von denen die DNA die Erbsubstanz enthält.
  • Die Doppelhelix ist das Strukturmodell der DNA. Dabei ist die DNA so angeordnet, dass die Struktur eines Stranges die des anderen bestimmt.
  • Die RNA ist v. a. an der Eiweißsynthese beteiligt.

Das menschliche Erbgut

  • ist in 23 Chromosomenpaaren enthalten, von dem jedes mehrere tausend Gene enthält;
  • besteht in jedem Gen aus vielen »Wörtern«, die Triplets oder Kodons genannt werden;
  • verdoppelt sich bei der Zellteilung (Replikation) derart, dass jeder Strang der Doppelhelix als Matrize für einen neuen Strang dient;
  • verändert sich bei der Replikation durch Mutationen, die zu Polymorphismen führen.

Die Eiweißsynthese

  • beginnt mit der Transkription, bei der die DNA im Zellkern durch die ähnlich aufgebaute RNA kopiert wird;
  • wird durch den Prozess der Translation in den Ribosomen vollendet.
  • Bei der Bildung der Ei- und Samenzellen, der Meiose, kommt es zu einer Halbierung des Chromosomensatzes, wobei sich die ehemals mütterlichen und väterlichen Chromosomen zufällig auf die Gameten verteilen.
  • Außerdem kommt es durch Crossing-over zu einer weiteren Vermischung der Gene, die durch die anschließenden Zufälligkeiten der Befruchtung noch verstärkt werden.

Chromosomenstörungen

Chromosomenstörungen entstehen meist durch Genmutationen.

  • Sie bewirken meist intellektuelle Störungen und Minderleistungen.
  • Sie zeigen, dass psychische Leistungen meist polygen vererbt werden.

Verhaltensgenetik

Die Verhaltensgenetik vergleicht Familien und ein- und zweieiige Zwillinge. Sie erbrachte, dass

  • eine starke Erblichkeit für Intelligenz, Persönlichkeit, Interessen und Verhaltensstörungen vorliegt;
  • hohe Erblichkeitskoeffizienten oft stark von Umweltbedingungen erzeugt werden;
  • meist emergente Eigenschaften vererbt werden, die aber nicht innerhalb von Familien weitergegeben werden.

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24. Entwicklung und Altern

Das Nervensystem folgt in seiner Entwicklung einem genetischen Bauplan. Aber bereits im fetalen Stadium und nach der Geburt bewirken Umweltfaktoren selektives Wachstum und selektiven Zelltod. Dabei ist besonders kurz nach der Geburt „Pruning" (Zuschneiden) überflüssiger Nervenzellverbindungen der entscheidende Faktor in der geordneten umweltabhän-gigen Entwicklung des ZNS.

Synaptische Plastizität bildet die wichtigste Grundlage für Lernen und bleibt bis zum Tode für spezifische Funktionen erhalten. Besonders an der Entwicklung von Sprache und Kommunikation lässt sich die Interaktion von genetischem Bauplan und Lernen besonders gut verfolgen.

Wie in der Entwicklung des ZNS hängen auch das Altern und die Lebenserwartung von genetisch bedingten molekularen, sich akkumulierenden Schädigungen des Erbgutes ab, besonders von hochreaktiven Sauerstoffverbindungen und den dafür vorgesehenen antioxidativen zellulären Schutzmechanismen, wobei das Nervensystem im Vergleich zu anderen Körpersystemen langsamer altert.

Kognitives Altern besteht vor allem in einem Abfall der fluiden Intelligenz, welche aus explizitem Kurzzeitgedächtnis und kulturunabhängigen Handlungsfunktionen besteht. Das temporal-hippokampale System stellt dabei das störanfällige Hirnsystem und die neuronale Grundlage vieler kognitiver Leistungseinbußen dar.

Demenzen sind als ein überdurchschnittlicher Abfall kognitiver Funktionen definiert, vor allem der Merkfähigkeit. Über dem 80. Lebensjahr leiden bereits 40% der Bevölkerung daran, an erster Stelle der Alzheimer Demenz. Der größte Teil der Demenzen beruht auf sich im Alter akkumulierenden genetischen Defekten, welche zur Degeneration einzelner und später vieler Hirnsysteme führen - beim Alzheimer des tempero-hippocampalen Systems, bei Parkinson des nigrostriatalen Dopaminsystems.

Die Behandlung altersbedingter kognitiver Störungen besteht vor allem aus neuropsychologischer Rehabilitation mit Training des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und motorisch-sozialer Funktionen.

Für die Behandlung von chronischem Schlaganfall und dessen Folgen sowie Anfallserkrankungen wurden Gehirn-Computer-Schnittstellen(Brain-Computer-Interfaces, BCI) mit Selbstregulation der Gehirnaktivität als biologisch-psychologische Methoden entwickelt und erfolgreich erprobt.

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25. Lernen und Gedächtnis

Psychologie von Gedächtnis und Lernen

Die Psychologie von Gedächtnis und Lernen unterscheidet

  • implizites Gedächtnis oder Verhaltensgedächtnis (Fertigkeiten und Konditonierung) und
  • explizites Gedächtnis: episodisch und semantisch.

Erwerb von Wissen

Erwerb von Wissen (explizites Lernen) unterscheidet sich von implizitem Gedächtnis durch

  • Inanspruchnahme des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses sowie
  • limitierte Verarbeitungs- und Aufmerksamkeitsressourcen.

Kortikale Plastizität

Kortikale Plastizität beruht auf

  • der Bildung von assoziativen Hebb-Synapsen,
  • dem Zusammenschluss von Zellensembles,
  • synchronen Oszillationen in Zellensembles (»binding«) und
  • kortikalen Karten.

Synaptische Plastizität

Synaptische Plastizität wird erzeugt durch

  • Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression,
  • Modifikation dendritischer »spines«,
  • Aktivierung von NMDA-Rezeptoren,
  • Regulation von Erregungsschwellen an ACh-Synapsen im Kortex und
  • Modulation emotionaler Einflüsse über dopaminerge und noradrenerge Systeme.

Intrazelluläre Ebene

Intrazellulär besteht Konditionierung aus

  • G-Protein-gesteuerten Veränderungen der synaptischen Erregbarkeit,
  • verstärktem Ca++-Einstrom und
  • veränderter Genexpression und Proteinbiosynthese.

Temporallappen-Hippokampus-System

Das Temporallappen-Hippokampus-System ist verantwortlich für

  • explizites Gedächtnis,
  • assoziatives Zusammenbinden von Kontextreizen und
  • Bündelung der aufgenommenen Information vor Ablage in den Kortexarealen.

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26. Motivation und Sucht

Motivation

Homöostatische Triebe

  • sind Durst, Hunger, Temperaturerhaltung und Schlaf;
  • besitzen feste Sollwerte;
  • sind im Hypothalamus verankert;
  • stellen die Antriebsenergie für Instinkte und gelerntes Verhalten zur Verfügung.

Nichthomöostatische Triebe

  • sind Sexualität, Exploration, Bindung und Emotionen;
  • werden in kritischen Phasen der Entwicklung gelernt;
  • besitzen variable oder zyklische Sollwerte.

Motiviertes Verhalten benötigt Verstärkung

  • für seine Richtung (Annäherung - Vermeidung - Kampf ) und
  • zur Entwicklung körpernahen Sinneseinstroms.

Durst entsteht als

  • osmotischer Durst über Osmosensoren im Hypothalamus;
  • hypovolämischer Durst über Barorezeptoren, Ausschüttung von ADH und Renin-Angiotension II.

Hunger entsteht bei

  • Glukosemangel im Hypothalamus,
  • Leptinabfall im Fettgewebe,
  • Änderung gastrointestinaler Hormone (Ghrelin),
  • konditionierter Anreizsituation.

Sättigung erfolgt

  • präresorptiv und schnell über Mund- und Rachenraum,
  • resorptiv und langsam über Chemorezeptoren.

Anorexie und Bulimie treten auf

  • fast nur bei jungen Frauen,
  • nach einer Diät,
  • als Folge kulturell bedingter Körperideale,
  • nur in entwickelten Industrieländern,
  • mit pathophysiologischen Konsequenzen des Fastens oder Medikamentenmissbrauchs.

Übergewicht (Fettsucht)

  • ist eines der bedeutendsten Krankheitsrisiken der »entwickelten« Länder (Diabetes 2, Herz-Kreislauf );
  • hat ein genetisches Risiko;
  • bewirkt veränderte Insulin-/Leptin-Sensitivität im Gehirn;
  • ist schwer zu behandeln.

Die sexuelle Reaktion beim Menschen besteht aus

  • Erregungsphase (sympathisch - parasympathisch),
  • Plateauphase (parasympathisch),
  • Orgasmus (sympathisch),
  • Refraktärphase (oxytozinerg).

Sexuelle Differenzierung

  • beginnt nach Vereinigung von Ei- und Samenzelle;
  • wird genetisch gesteuert;
  • benötigt Androgene zur Entwicklung eines männlichen Körpers und Gehirns;
  • benötigt weibliche Sexualhormone zur Demaskulinisierung;
  • benötigt männliche Sexualhormone zur Defemininisierung.

Die sexuelle Orientierung (homo, bi, hetero, trans) hängt

  • vom organisierenden Einfluss der Sexualhormone auf das pränatale Gehirn ab,
  • von kritischen Entwicklungsphasen der hypothalamischen Entwicklung ab,
  • in einigen Fällen von genetischen Faktoren ab,
  • wenig mit Erziehung und sozialem Kontext zusammen.

Die neurophysiologischen Mechanismen sexuellen Verhaltens umfassen

  • eine hypothalamische Integrationsstruktur,
  • das »parakrine Herz« der Neurachse,
  • sensorisch-taktile Systeme,
  • kortikosubkortikale Areale für die emotionalen Begleitreaktionen,
  • das Sakralmark und die Nerven des Urogenitaltraktes.

Abhängigkeit und Sucht

Abhängigkeit und Sucht sind

  • gelerntes motiviertes Verhalten;
  • von sozial-kulturellen Normen bedingt;
  • von protektiven und nicht-protektiven Risikosituationen in der Entwicklung des Kindes und Heranwachsenden ausgelöst;
  • durch die Gegensatzdynamik von positiven und negativen emotionalen Hirnsystemen bestimmt;
  • aufrechterhalten durch positiven Anreiz und Verlangen, weniger Abstinenzaversion;
  • klassisch und instrumentell konditioniert.

Die neuronalen Grundlagen der Sucht sind

  • Aktivierung deszendierender und aszendierender mesolimbischer Dopamin- und Opiatsysteme für positiven Anreiz,
  • kurzzeitig reduziertes intrazelluläres cAMP und Proteinkinase,
  • chronische Neuroadaptation mit erhöhter Aktivität des genetischen Apparates, vor allem in dopaminergen und opioidergen Zellen,
  • D2-Rezeptoradaptation,
  • bei Abstinenz Ausschüttung von Stresshormonen und glutamaterge Überaktivierung,
  • substanzspezifische pharmakologische Wirkungen.

Die Behandlung der Sucht besteht aus

  • Konfrontation mit Drogenreizen und Reaktionsbehandlung,
  • Umgebungswechsel,
  • Verabreichung von Rezeptorantagonisten,
  • Aversionstherapie.

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27. Emotionen

Gefühle

Gefühle sind Reaktionen auf hedonisch positive und aversive Reize, die auf 3 Reaktionsebenen ablaufen:

  • der physiologisch-hormonellen,
  • der motorisch-verhaltensmäßigen und
  • der subjektiv-psychologischen.

Die Rückmeldung der peripher-physiologischen und muskulären Ausdrucksäußerungen von Gefühlen bestimmen Qualität und Intensität der Gefühlsreaktionen mit (James-Lange).

Die Rückmeldungen aus den peripheren Erfolgsorganen (»somatic markers«) werden im superioren Parietalkortex analysiert und erlauben Gefühlswahrnehmung ohne bewusste Registrierung der auslösenden Reize.

Höhere kognitive Prozesse sind zur Entstehung der Basisgefühle nicht notwendig. Als Basisgefühle gelten:

  • Freude-Glück,
  • Interesse-Orientierung,
  • Wut,
  • Trauer,
  • Furcht,
  • Ekel.

Angst und Furcht

Angst und Furcht werden

  • über klassische emotionale Konditionierung erworben und
  • über instrumentelles Vermeidungslernen aufrechterhalten.

Assoziative Verknüpfung zwischen auslösenden Reizen und Furchtreaktionen

Die assoziative Verknüpfung zwischen auslösenden Reizen und Furchtreaktionen erfolgt im lateralen Kern der Amygdala.

Die efferenten Ausgänge zu den autonomen, muskulären und endokrinen Erfolgsorganen erfolgen über den zentralen Kern der Amygdala.

An der Steuerung von Furcht und Angst sind neben der Amygdala beteiligt:

  • Orbitofrontalkortex,
  • vordere Inselregion und
  • anteriores Zingulum.

Im Furchtnetzwerk

  • steuern NMDA-Rezeptor- und glutamaterge Synapsen die assoziativen Bindungen;
  • erhöht Noradrenalin die Aufmerksamkeit auf Furchtreize und verbessert deren Speicherung;
  • hemmen GABAerge-Systeme Furcht;
  • führen die Stresshormone der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse bei lange anhaltendem Stress zu Zerstörung hippokampaler und präfrontaler Neurone und der Neurogenese.

Trauer und Depression

Trauer und Depression sind Folgen von

  • gelernter Hilflosigkeit und
  • Mangel an positiver Verstärkung.

Die Hirnregionen, die für Depression verantwortlich sind, bestehen aus:

  • subgenualem anteriorem Zingulum,
  • ventrolateralem Präfrontalkortex,
  • vorderer Insel,
  • einem Teil der Amygdala,
  • serotonergen und noradrenergen Systemen,
  • der Nebennierenrinden-Hypophysen-Achse.

Neurochemisch

Neurochemisch ist bei Depression

  • die Wachstumshormonausschüttung in der ersten Nachthälfte reduziert;
  • die Kortisolausschüttung in der 2. Nachthälfte verfrüht erhöht;
  • die Rezeptor-Bindung von serotonergen und noradrenergen Synapsen erniedrigt.

Aggressives Verhalten

Aggressives Verhalten wird vor allem gelernt und besteht aus

  • reaktiver Aggression, z. B. Frustration nach Verstärkerverlust, und
  • instrumenteller Aggression, z. B. zielgerichteter Beuteaggression.

Lateral-medialer Hypothalamus

Der lateral-mediale Hypothalamus integriert bei Aggression die Afferenzen aus

  • der Amygdala,
  • dem medialen Präfrontalkortex und
  • dem lateralen Orbitofrontalkortex.

Er gibt die neuronalen Muster an subkortikale Regionen weiter, nämlich

  • das periaquäduktale Grau,
  • Mittelhirnregionen, reich an Androgenrezeptoren, und
  • motorische und sensorische Ein- und Ausgänge.

Neurochemisch

  • reduziert Anstieg der Rezeptorbindung und Verfügbarkeit von Serotonin die Aggressivität;
  • erhöhen Substanzen, die an GABAA-Rezeptoren binden, vor allem Alkohol und Benzodiazepine, die Aggressivität;
  • erhöhen männliche Sexualhormone in kritischen Perioden der Hirnentwicklung das Risiko für antisoziale Akte.

Psychopathie-Soziopathie

Psychopathie-Soziopathie erhöht das Risiko für antisoziales-aggressives Verhalten, weil

  • das Furchtsystem im Gehirn unteraktiv ist;
  • die allgemeine Aktivierbarkeit durch Strafreize auf allen Ebenen vermindert ist;
  • familiäre und soziale Bindungen reduziert sind.

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28. Kognitive Prozesse

Kognitive Neurowissenschaften

Die Kognitiven Neurowissenschaften befassen sich mit den neuronalen Grundlagen von

  • Sprache,
  • Vorstellungen,
  • Konzeptbildung,
  • Problemlösen und Intelligenz.

Rechte Hemisphäre, linke Hemisphäre

Die rechte Hemisphäre bevorzugt räumlich-ganzheitliche kognitive Prozesse, die linke Hemisphäre sequenziell- zeitliche.

Die linke perisylvische Region ist beim Menschen besonders ausgedehnt, sie assoziiert

  • akustisch temporale,
  • visuell-räumlich parietale,
  • somatisch postzentrale und
  • motorisch-artikulatorische

Information und bildet so die Voraussetzung für Sprachentwicklung und Syntax.

Die Funktionen der rechten und linken Hemisphäre und anderer kognitiv-kortikaler Areale sind durch Lernen modifizierbar.

Syntaktische Verarbeitung und Produktion

Syntaktische Verarbeitung und Produktion äußert sich in

  • links-perisylvischen hochfrequenten Oszillationen im EEG/MEG sowie in
  • ereigniskorrelierten Hirnpotenzialen mit einer Latenz von 200 - 700 ms.

Semantische Verarbeitung

Semantische Verarbeitung findet in beiden Hemisphären in einem ausgedehnten präfrontalen medialparietalen assoziativen Netzwerk statt.

  • Agrammatismus und Aphasien sind primär linkshemisphärisch.
  • Alexien und Störungen des Sprachverständnisses können beidseitig sein.
  • Agraphie (Störungen des Schreibens), Apraxie (Störungen der Planung und koordinierten Ausführung von Willkürbewegungen) sowie Dyslexien (Lese-Rechtschreib-Störung) sind auf lokale Läsionen oder Unteraktivierungen primär der linken parietotemporalen Regionen zurückzuführen.

Neglekt und Extinktion

Neglekt und Extinktion betreffen vor allem Läsionen des rechten parietotemporalen Gebietes, das als assoziatives Koordinationsnetzwerk zwischen allen sensorischen Eingängen dient und Aufmerksamkeit gemeinsam mit präfrontalen Strukturen steuert.

Temporallappen

Der Temporallappen ist ein besonders heterogenes Gebilde zur Koordination

  • expliziten Gedächtnisses und Kontexterinnerung,
  • hierarchischer Analysen der Bedeutung visueller und auditiver Information,
  • der Kategorisierung der Wahrnehmungsinhalte und Begriffsbildung sowie
  • sensorisch-musikalischer Funktionen.

Die Präfrontalregion umfasst

  • prämotorische Anteile für Planung und Durchführung von Handlungen,
  • dorsolaterale Anteile für Funktionen des Arbeitsgedächtnisses,
  • medial-ventrale Anteile für konsistente Zukunftserwartungen und Zielhierarchien des Verhaltens,
  • orbitale Anteile zur Bewertung von Verstärkern sowie
  • alle gemeinsam zur exekutiven Selbstkontrolle und Verstärkeraufschub notwendigen Abschnitte.

Schwere Störungen kognitiver Funktionen sind

  • Demenzen, besonders Alzheimer (cholinerge und temporal-limbische Gedächtnisstrukturen),
  • Parkinson-Erkrankung (Basalganglien),
  • Schizophrenien (Präfrontalkortex und mesolimbisches Dopaminsystem und Temporalregionen mit Hippokampus).

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