• Ausgangspunkt für die Unterscheidung »impliziter« von »expliziten « Handlungsmotiven ist folgender Gedankengang David McClellands gewesen: Implizite Motive beruhen auf früh gelernten, emotional getönten Präferenzen, sich immer wieder mit bestimmten Formen von Anreizen auseinander zu setzen (z. B. im Falle des Leistungsmotivs: mit dem Schwierigkeitsanreiz einer Aufgabe). Da diese Präferenzen früh entwickelt bzw. gelernt werden, sind sie nichtsprachlich repräsentiert und können daher auch nicht mit Methoden des Selbstberichts erfasst werden. Weder die Anregung eines impliziten Motivs noch seine Umsetzung in instrumentelles Handeln erfordert Akte der Selbstreflexion und bewussten Kontrolle des Verhaltens. Explizite Motive spiegeln hingegen die Selbstbilder, Werte und Ziele wider, die sich eine Person selbst zuschreibt und mit denen sie sich identifiziert. Sie dokumentieren, welche Vorstellung eine Person von ihren eigenen handlungsleitenden Motiven hat. Die Motive, die sich eine Person selbst zuschreibt, müssen aber nicht unbedingt mit denjenigen Motiven übereinstimmen, die ihrem Handeln tatsächlich zugrunde liegen. Befunde, welche diese Annahmen stützen, indem sie die diskriminante Validität (empirische Unabhängigkeit) und prognostische Spezifität (Vorhersage unterschiedlicher Verhaltensweisen) beider Arten von Motiven belegen, werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.
• Die mithilfe von Bilder-Geschichten-Tests (TAT) und von Fragebögen (Selbstbericht) erfassten Motive weisen auch dann keine substanziellen Korrelationen auf, wenn sie sich inhaltlich auf das gleiche Thema beziehen. Dies lässt vermuten, dass die per TAT erfassten Motive entweder introspektiv schwer zugänglich sind oder dass ihr Ausdruck im Selbstbericht durch Verzerrungstendenzen (z. B. soziale Erwünschtheit) geschmälert wird. Eine andere Erklärung wäre, dass der TAT keine zufrieden stellende Reliabilität besitzt und daher keine hohen Korrelationen zu anderen Motivmaßen aufweist. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass dem Verhaltensausdruck eines bestimmten handlungsleitenden Motivs (TAT) auch von außen stehenden Beobachtern Eigenschaften zugeordnet werden, die nicht per se mit dem betreffenden Motiv assoziiert werden (z. B. leistungsbezogene Eigenschaften im Falle des Machtmotivs). Insgesamt lassen korrelationsstatistische Befunde vermuten, dass indirekt (TAT) und direkt (Selbstbericht) gemessene Motive diskriminante Validität aufweisen, dass sie also nicht das gleiche Konstrukt erfassen, obgleich dies durch die Verwendung identischer Bezeichnungen unglücklicherweise suggeriert wird. Für die prognostische Spezifität impliziter und expliziter Handlungsmotive sprechen drei Gruppen von Befunden: 1. Beide Motive sind mit unterschiedlichen Verhaltensweisen verknüpft. Implizite Motive sagen eher spontanes Handeln und zeitlich überdauernde Verhaltenstrends vorher. Explizite Motive wirken hingegen primär auf kurzfristige Entscheidungen und Bewertungen ein, die eine Person bewusst kontrollieren und daher mit ihrem Selbstbild gezielt in Übereinstimmung bringen kann. 2. Impliziten und expliziten Motiven entsprechen unterschiedliche Arten von Anreizen: z. B. aufgaben- und tätigkeitsbezogene Anreize (Schwierigkeit und Herausforderung) beim impliziten Leistungsmotiv vs. sozial-evaluative Anreize (Wettbewerb und soziale Anerkennung) im Falle des expliziten Leistungsmotivs. 3. Erziehungspsychologische Befunde liefern Indizien dafür, dass beide Arten von Motiven mit unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen im Zusammenhang stehen. Implizite Motive gründen sich vermutlich auf Erfahrungen, die vorsprachlich vermittelt werden, während explizite Motive erst später, im Kontext der Entwicklung sprachlich repräsentierter Selbstkonzepte ausgebildet werden. Bezüglich impliziter und expliziter Leistungsmotive kann vermutet werden, dass erstere eher mit internen Standards (Wetteifer mit sich selbst), letztere hingegen mit normativen Standards (Wetteifer mit anderen Personen) der Bewertung der eigenen Tüchtigkeit in Verbindung stehen. In der Ontogenese treten Selbstvergleiche früher als soziale Vergleiche auf, was wiederum erklären mag, warum das implizite Leistungsmotiv früher als das explizite Leistungsmotiv ausgebildet wird. Die Frage, ob, wann und wie beide Motive in ein Gesamtsystem integriert werden, kann derzeit nicht schlüssig beantwortet werden. Jugendliche sind dazu in der Lage, je nach Aufforderungsgehalt der Situation einmal Selbstvergleiche (Zuwachs an Fähigkeit) und ein anderes Mal soziale Vergleiche (Ausprägung der eigenen Fähigkeit, relativ zu der anderer Personen) zur Bewertung ihrer Leistungen heranzuziehen.
o Die in diesem Abschnitt zusammengefassten Befunde legen die Vermutung nahe, dass Affekte zentrale Momente der Anregung und Befriedigung von impliziten Motiven bilden. Implizite Motive werden mit affektiven Höhepunkten der eigenen Biografie verknüpft. Zudem weisen sie neuroendokrine Korrelate auf, denen eine bekräftigende Funktion für das vorausgehend gezeigte instrumentelle Verhalten zugeschrieben wird (z. B. Testosteron beim Machtmotiv). Explizite Motive bringen hingegen kognitive Bedürfnisse zum Ausdruck, die sich auf den Aufbau und Erhalt stabiler und positiver Selbstkonzepte beziehen und eher in den Verhaltensroutinen als in den Höhepunkten des Alltagslebens Ausdruck finden. Weinberger und McClelland (1990) spekulierten, dass implizite Motive auf einem Anreizsystem beruhen, das sich in der Evolution vergleichsweise früh entwickelte, später jedoch durch ein kognitives Motivationssystem ergänzt und überformt wurde. Entscheidend dafür war die Entwicklung der Sprache und die damit verbundene Möglichkeit, das eigene Verhalten in Übereinstimmung mit kulturell vermittelten Regeln vorausschauend planen und reflektieren zu können. Geht man von der Koexistenz zweier unabhängiger Motivsysteme aus, so stellt sich die Frage, ob und wie beide Systeme in der Verhaltensregulation zusammen wirken und aufeinander abgestimmt werden.
• Explizite Handlungspräferenzen, Eigenschaften, Rollenbilder und Werte beeinflussen, wie Motive im Verhalten Ausdruck finden. Bestimmte Kombinationen, wie hohe Extraversion in Verbindung mit Macht- und Affiliationsmotiven, erleichtern die Realisierung von impliziten Motiven, während andere Kombinationen die Befriedigung solcher Motive erschweren (z. B. hohe Introversion in Verbindung mit denselben, vorgenannten Motiven). Diskrepanzen zwischen impliziten und expliziten Handlungsmotiven können, sofern sie sich auf die gleiche Verhaltensdomäne beziehen, zwei Arten von Beeinträchtigungen nach sich ziehen: 1. Es treten Motivationskonflikte auf, die in emotionalen Belastungen resultieren. 2. Die Handlungsregulation erfordert eine erhöhtes Maß an Selbstkontrolle (Impulsunterdrückung oder Anreizverschärfung), der jedoch Grenzen gesetzt sind, sofern es nicht gelingt, beide Arten der Motivation miteinander in Einklang zu bringen. Hierzu scheinen insbesondere (handlungsorientierte) Personen in der Lage zu sein, die über hohe selbstregulative Fertigkeiten verfügen. Umgekehrt wäre denkbar, dass die Bildung bedürfniskongruenter Ziele handlungsorientierte Verhaltensstile begünstigt, während chronische Diskrepanzen zwischen impliziten Motiven und expliziten Zielen zu einer Überbeanspruchung und später zu einer Erschöpfung volitionaler Ressourcen führen.
Selbstbestimmung bei der Auswahl von Handlungszielen sowie das Vermögen, sich die emotionale Bedeutung von Handlungsalternativen lebhaft zu vergegenwärtigen, sind zwei Beispiele, wie explizite Handlungsziele mit impliziten Motiven in Übereinstimmung gebracht werden können.

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