David G. Myers

Inhalt

  • 6.1 Hauptfragen der Entwicklungspsychologie
  • 6.2 Pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
    • 6.2.1 Empfängnis
    • 6.2.2 Pränatale Entwicklung
    • 6.2.3 Fähigkeiten des Neugeborenen
  • 6.3 Kleinkindzeit und Kindheit
    • 6.3.1 Körperliche Entwicklung
    • 6.3.2 Kognitive Entwicklung
    • 6.3.3 Soziale Entwicklung
  • 6.4 Adoleszenz
    • 6.4.1 Körperliche Entwicklung
    • 6.4.2 Kognitive Entwicklung
    • 6.4.3 Soziale Entwicklung
    • 6.4.4 Übergang ins Erwachsenenalter
    • 6.4.5 Überlegungen zur kontinuierlichen und stufenweisen Entwicklung
  • 6.5 Erwachsenenalter
    • 6.5.1 Körperliche Entwicklung
    • 6.5.2 Kognitive Entwicklung
    • 6.5.3 Soziale Entwicklung
    • 6.5.4 Gedanken zu Stabilität und Veränderung
  • 6.6 Kapitelrückblick
    • 6.6.1 Verständnisfragen
    • 6.6.2 Schlüsselbegriffe
    • 6.6.3 Weiterführende Literatur 

 

Zusammenfassung

 

Pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen

Die drei Hauptforschungsfragen, die Entwicklungspsychologen untersuchen, betreffen den relativen Einfluss der Anlagen (Vererbung) und der Umwelt (Erfahrung), ob Entwicklung ein kontinuierlicher Prozess ist oder aus einer Reihe voneinander unterschiedener Stufen besteht, ob die Persönlichkeit stabil ist oder ob sie sich verändert, wenn wir älter werden.

Bei der Empfängnis kann nur eine Samenzelle des Mannes die äußere Hülle der Eizelle einer Frau durchdringen, bevor die Oberfläche der Eizelle alle anderen abblockt. Innerhalb von etwa 12 Stunden vereinigen sich die Kerne von Samen- und Eizelle zu einer einzigen Zelle.

Eine Zygote ist eine befruchtete Eizelle, die zunehmend differenzierter wird. Nach etwa 10 Tagen ist der äußere Teil der Zellmasse mit der Uteruswand verbunden, und aus den inneren Zellen wird der Embryo. Hiermit beginnt eine Entwicklungsstufe, bei der sich die wesentlichen Organe ausbilden und ihre Funktion aufnehmen. Von der 9. Woche nach der Befruchtung an bis zur Geburt entwickelt sich der Organismus, der jetzt Fötus heißt, weiter und wächst. Teratogene sind potenziell schädliche Stoffe, die die Plazentaschranke passieren und den sich entwickelnden Embryo oder Fötus schädigen können.

Neugeborene kommen mit einer Anzahl automatischer Reaktionen (Reflexen) auf die Welt, die zum Überleben beitragen; dazu gehört auch der Suchreflex, der ihnen hilft, Nahrungsquellen ausfindig zu machen. Die sich rasch entwickelnden Seh- und Hörsinne scheinen auf soziale Ereignisse angepasst zu sein, wie etwa auf das Gesicht oder die Stimme der Betreuungsperson. Forscher können einiges von dem herausfinden, was Kleinkinder wahrnehmen und denken, indem sie beobachten, wie sie auf neuartige Reize reagieren (wie z. B. Farben, Gestalten und Formen) oder wie vertraute Reize zunehmend langweiliger werden (sie habuitieren). Um einen neuen Reiz als anders zu erkennen, muss sich ein Kleinkind an den alten Reiz erinnern; dies deutet auf eine einfache Form des Lernens hin.

 

Kleinkind- und Kindesalter

Das unreife Nervensystem eines Neugeborenen unterliegt nach der Geburt in dem Maße einem Wachstumsschub, in dem sich das neuronale Netz erweitert. Im Alter zwischen 3 und 6 Jahren ist das Wachstum in den Frontallappen am ausgeprägtesten. Die Entwicklung in den Assoziationsfeldern des Kortex befähigt zu Denken, Gedächtnis und Sprache. Wenn die Nervenbahnen im Gehirn genutzt werden, entwickeln sie sich und werden stärker bis in die Pubertät hinein, in der bei einem Pruning genannten Vorgang nach und nach überflüssige Verbindungen beseitigt werden. Wenn keine schwere Misshandlung oder Vernachlässigung vorliegt, führt die Reifung - die ordnungsgemäße Abfolge genetisch festgelegter biologischer Prozesse - alle Kleinkinder auf den Weg des gleichen allgemeinen Entwicklungsverlaufs.

Obwohl es Unterschiede bei den genauen Zeitpunkten geben kann, folgen nahezu alle Babys der gleichen Sequenz vom ersten Überrollen zum Sitzen ohne Hilfe, dann Krabbeln, danach Gehen. Die Erfahrung hat hier nur einen geringen Einfluss, die Reifung (einschließlich der des Kleinhirns) befähigt die Kinder zu diesen Ereignissen.

Die »infantile Amnesie« - eine Unfähigkeit, sich bewusst an Ereignisse zu erinnern, die vor dem Alter von 3 Jahren geschahen - ist die Folge einer Veränderung in der Art und Weise, wie das Gehirn Erinnerungen an etwa dieses Alter organisiert. Wenn der Kortex heranreift, wird das Langzeitgedächtnis besser; zudem lassen sich die vorsprachlichen Erinnerungen kleiner Kinder nicht leicht in Sprache übertragen.

Piagets Erklärung dafür, wie sich das Denken entwickelt: Piaget schlug vor, dass sich die Fähigkeit von Kindern, Schlussfolgerungen zu ziehen, in einer Reihe von Stadien entwickelt und dass Kinder aktiv ihr Verständnis von der Welt konstruieren und verändern, wenn sie in Interaktion mit ihr treten. Sie bilden Schemata (Begriffe oder Rahmenvorstellungen zur Organisation der Erfahrung). Dann assimilieren (interpretieren) sie Informationen mit Hilfe dieser Schemata, oder - wenn die Informationen nicht zum Schema passen - akkomodieren sie das Schema (passen es an), um es mit neuen Informationen anzureichern.

Piagets Hauptstadien der kognitiven Entwicklung: Im sensumotorischen Stadium (Geburt bis 2 Jahre) erleben die Kinder die Welt mit ihren Sinnen und Handlungen. In den ersten 6 Monaten haben die Kinder keine Objektpermanenz , d. h. kein Bewusstsein dafür, dass die Dinge weiter existieren, wenn sie aus den Augen sind. Im präoperatorischen Stadium (2 bis 6 oder 7 Jahre) lernen Kinder, Sprache zu verwenden, und können Dinge mit Worten oder Bildern darstellen, aber sie sind unfähig, logische Schlüsse zu ziehen. Sie haben keine Theory of Mind (Theorie zum Verständnis mentaler Zustände) und sind egozentrisch oder haben Schwierigkeiten, den Standpunkt einer anderen Person einzunehmen (auch Menschen mit einer autistischen Störung haben keine Theory of Mind). Präoperatorische Kinder haben keinen Begriff der Mengenerhaltung - ein Verständnis davon, dass die Dinge ihre Form ändern können, aber dabei ihre Masse, ihr Volumen oder ihre Anzahl erhalten bleibt. Im konkret-operatorischen Stadium (etwa von 7 bis 11 Jahre) können die Kinder logisch über konkrete Ereignisse nachdenken, Analogien verstehen und arithmetische Operationen ausführen. Im Stadium der formalen Operationen (12 Jahre bis zum Erwachsenenalter) erlangen sie die Fähigkeit, abstrakte Schlussfolgerungen zu ziehen. Piaget sah das Alter, das mit den Stadien verbunden war, als etwas Ungefähres an, doch deren Abfolge als universell.

Relativierung von Piagets Theorie: Die heutige Forschung zeigt, dass die formale Logik bei der kognitiven Entwicklung eine geringere Rolle spielt, als Piaget annahm, und dass die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten kontinuierlicher ist, wobei die Stadien früher beginnen und weniger abrupt einsetzen. Trotzdem sind Piagets Auffassungen darüber, in welcher Folge die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von Kindern abläuft, wiederholt bestätigt worden.

Fremdeln ist die Angst vor Fremden, die Kleinkinder mit etwa 8 Monaten zu zeigen beginnen. Kinder dieses Alters haben Schemata für vertraute Gesichter gebildet, und sie geraten durcheinander, wenn die Gesichter nicht zu ihren Schemata passen.

Auswirkungen von Nahrungsaufnahme, Körperkontakt und Vertrautheit auf die soziale Bindung eines Säuglings: Bis zu den Forschungsarbeiten der Harlows Mitte der 1950-er Jahre glaubten viele Psychologen, dass Kinder über einen Konditionierungsprozess Bindungen (Ausbildung einer emotionalen Verbundenheit) an Personen entwickeln, die sie ernähren. Die Experimente der Harlows zeigten, dass sich kleine Affen lieber eine Mutter suchen würden, die sie nicht ernährt, wenn sie denn Trost bot, als eine Mutter, die Nahrung bereitstellte, aber ihnen keinen Trost bot. Enten und andere Tiere zeigen das Phänomen der Prägung: Sie bilden eine Bindung gegenüber einem bedeutsamen Lebewesen oder Objekt aus, wenn dies ihnen in einem kritischen Zeitraum begegnet (einer Zeit kurz nach der Geburt, in der die richtige Entwicklung von der Konfrontation mit bestimmten Reizen und Erfahrungen abhängt). Menschen zeigen keine Prägung, aber sie entwickeln Bindungen an vertraute Menschen und Dinge, die ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben.

Unterschied zwischen sicherer und unsicherer Bindung: In der Versuchsbedingung, die man als »fremde Situation« bezeichnet, beobachten Forscher eine Mutter und ihr Kind in einem Laborspielzimmer; sie notieren, wie das Kind reagiert, wenn die Mutter das Zimmer verlässt und wiederkommt. In Anwesenheit der Mutter spielen und erkunden sicher gebundene Kinder sorglos, sind beunruhigt, wenn sie herausgeht, und suchen den Kontakt, wenn sie zurückkehrt. In Anwesenheit der Mutter erkunden unsicher gebundene Kinder weniger und klammern sich möglicherweise an sie, schreien laut, wenn sie das Zimmer verlässt, und sind weiterhin verstimmt oder reagieren gleichgültig, wenn sie zurückkommt. Andere Studien zeigen, dass sensible, einfühlsame Eltern gewöhnlich sicher gebundene Kinder haben. Das genetisch beeinflusste Temperament kann eine Einfühlsamkeit bei den Eltern auslösen, aber die Sensibilität der Eltern lässt sich lernen und erhöht durchaus in gewissem Maße die Bindungssicherheit des Kleinkinds. Sowohl aus der Liebe des Vaters als auch aus der der Mutter lässt sich die Gesundheit und das Wohlbefinden des Kindes vorhersagen. Die Beziehungen zwischen Erwachsenen sind gewöhnlich Ausdruck des sicheren oder unsicheren Bindungsstils in der frühen Kindheit; dies stützt Erik Eriksons Vorstellung, dass das Urvertrauen durch unsere Erfahrungen mit einfühlsamen Betreuungspersonen gebildet wird.

Wenn Vernachlässigung durch die Eltern oder ein anderes Trauma Kindern die Möglichkeit nehmen, eine Bindung aufzubauen, ziehen sich Kinder allmählich in sich zurück, werden ängstlich und entwickeln sich sprachlich nicht. Wenn die Kindesmisshandlung länger andauert, setzt dies die Kinder einem erhöhten Risiko für eine Vielfalt körperlicher, psychischer und sozialer Probleme aus und kann den Serotoninspiegel im Gehirn verändern. Schädigungen durch Unterbrechung wichtiger, durch Bindung geprägter Beziehungen, wie dies etwa geschieht, wenn Kinder zu Pflegeeltern kommen, scheinen vor einem Alter von 16 Monaten nur geringfügig zu sein. Kinder jedoch, die wiederholt an unterschiedliche Stellen gegeben werden oder auf andere Weise davon abgehalten werden, bis zum Alter von 2 Jahren Bindungen aufzubauen, können jedoch einem Risiko für Bindungsprobleme ausgesetzt sein. Eine qualitativ gute Tagesbetreuung mit einfühlsamen Erwachsenen, die mit dem Kind in einer sicheren und stimulierenden Umwelt interagieren, scheint sich nicht schädlich auf die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten von Kindern auszuwirken. Einige Studien haben jedoch Folgendes erbracht: Je länger ein Kind in Tagesbetreuung ist, desto aggressiver und trotziger ist es.

Das Selbstkonzept, ein Sinn für die eigene Identität und den eigenen Wert, entwickelt sich allmählich ab dem Alter von etwa 6 Monaten. Mit 15 bis 18 Monaten erkennen sich Kinder selbst im Spiegel. Ab dem Schulalter können sie viele ihrer eigenen Merkmale beschreiben, und ab dem Alter von 8 bis 10 Jahren ist das Selbstbild stabil.

Drei elterliche Erziehungsstile: Autoritäre Eltern zwingen ihren Kindern Regeln auf und erwarten Gehorsam. Permissive Eltern unterwerfen sich den Forderungen der Kinder, bitten sie nur um wenige Dinge und strafen nur selten. Autoritative Eltern sind gegenüber ihren Kindern fordernd, aber einfühlsam. Ein autoritativer elterlicher Erziehungsstil korreliert mit sozialer Kompetenz, aber die Ursache-Wirkungs-Beziehung ist nicht eindeutig. Dieser elterliche Erziehungsstil kann zu sozial kompetenten Kindern führen, oder angenehme, unbeschwerte Kinder können Auslöser für einen autoritativen Erziehungsstil sein. Oder ein dritter Faktor (wie gemeinsame Gene) kann zu einem Temperament führen, das gut zu einem autoritativen Erziehungsstil passt und das sich in angenehmen unbeschwerten Interaktionen äußert. 

 

Adoleszenz

Die Adoleszenz ist die Übergangsperiode zwischen Kindheit und Erwachsenalter. Sie beginnt mit der Pubertät und endet mit dem Erreichen der Selbstständigkeit.

Die Adoleszenz beginnt mit der Pubertät, der Zeit der beginnenden Geschlechtsreife, die zur Fortpflanzung befähigt. Ein Hormonschub löst eine etwa 2-jährige Phase intensiven körperlichen Wachstums aus. Bei Mädchen beginnt diese Phase normalerweise im 11., bei Jungen im 13. Lebensjahr. Während der Pubertät entwickeln sich die primären (die Fortpflanzungsorgane und die äußeren Genitalien) und die sekundären Geschlechtsmerkmale (die Geschlechtsmerkmale, die nichts mit der Fortpflanzung zu tun haben wie die Brüste bei Mädchen und die tiefere Stimme bei Jungen); der genaue Zeitpunkt dafür variiert jedoch von einer Person zur nächsten. Bei den meisten Mädchen kommt es innerhalb des 12. Lebensjahres zur Menarche. Bei den meisten Jungen tritt die Spermarche im 14. Lebensjahr auf. Anlage und Umwelt interagieren, und je nachdem, wie andere Menschen reagieren, kann eine frühe oder späte Reife die Anpassung beeinflussen. Während der Adoleszenz kommt es zu einer bedeutsamen Entwicklung des Gehirns; dabei reifen die Frontallappen heran und nicht gebrauchte Neuronen entwickeln sich zusammen mit ihren Verbindungen zurück.

Mit der Entwicklung formaler Operationen erlangen die Jugendlichen die Fähigkeit, abstrakt zu schlussfolgern. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, Hypothesen zu bilden und Schlussfolgerungen abzuleiten.

Die moralische Entwicklung aus der Perspektive des moralischen Denkens, Fühlens und Handelns: Nach Piagets Auffassung kommt in moralischen Urteilen die sich bei einem Kind entwickelnde Schlussfolgerungsvermögen zum Ausdruck. Lawrence Kohlberg schlug drei Stufen des moralischen Denkens vor. Die präkonventionelle Moral ist eine am Eigeninteresse orientierte Moral, die versucht, Bestrafung zu vermeiden und konkrete Belohnungen zu bekommen. Die konventionelle Moral ist eine gesetzestreue Moral, die darauf basiert, dass bestehende Gesetze befolgt werden müssen. Die postkonventionelle Moral (nicht jeder erreicht diese letzte Stufe) ist eine Moral, die selbst definiert was ethisch, richtig und fair ist. Bei der sozial intuitiven Auffassung von Moral wird die Meinung vertreten, dass moralische Gefühle moralischem Denken und Urteilen vorausgehen. Einige Experimente zur Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren bestätigen die Hypothese, dass die Emotionsareale im Gehirn aktiv sind, wenn Menschen über moralische Dilemmata nachdenken. Die Perspektive der moralischen Handlung konzentriert sich auf soziale Einflüsse auf Entscheidungen darüber, das Richtige zu tun. Programme zum moralischen Handeln bringen Kindern bei, wie sie Empathie mit anderen empfinden und die Befriedigung von Bedürfnissen aufschieben können, um später größere Belohnungen zu bekommen.

Eriksons acht Stufen der psychosozialen Entwicklung: Nach Erik Erikson durchlaufen wir 8 Stufen im Leben (die sich ungefähr bestimmten Altersgruppen zuordnen lassen), in denen man jeweils eine eigene psychosoziale Aufgabe lösen muss. In der Säuglingszeit (bis zu 1 Jahr) ist Vertrauen vs. Misstrauen das zentrale Thema, im Trotzalter (1 bis 2 Jahre) Autonomie vs. Scham und Zweifel. Für Vorschulkinder (3 bis 5) ist dies, Initiative oder Schuld zu lernen, für Grundschulkinder (6 bis zur Pubertät), Kompetenz vs. Unterlegenheit zu empfinden. Eine Hauptaufgabe der Adoleszenz (vom 13. bis etwa 20. Lebensjahr) besteht darin, das Selbstwertgefühl - das Gefühl für die eigene Identität - zu festigen. Für junge Erwachsene besteht das zentrale Problem in Intimität vs. Isolation, und für das mittlere Erwachsenenalter (40 bis Ende 60) in Generativität vs. Stagnation. Die Aufgabe des späten Erwachsenenalters (Ende 60 und älter) ist Integrität vs, Verzweiflung.

In westlichen Kulturen probieren Jugendliche unterschiedliche Konzepte vom Selbst aus, bevor sie sich auf eine konsistente und wohltuende Identität einlassen. Eine kleinere Anzahl übernimmt, ohne groß darüber nachzudenken, die Identität der Eltern oder übernimmt die Identität der Gleichaltrigen, wobei sie gleichzeitig die Wertvorstellungen der Eltern ablehnt. Mit dem Erreichen der Identität nimmt das Selbstwertgefühl zu. Erikson war der Auffassung, dass es eine wichtige Voraussetzung zur Bildung enger Beziehungen ist, eine eindeutige und wohltuende Identität zu haben, mit der man sich wohl fühlt.

Jugendliche in westlichen Kulturen werden gewöhnlich immer unabhängiger von ihren Eltern; aber Forscher haben auch herausgefunden, dass die meisten Teenager trotzdem einigermaßen gute Beziehungen zu ihren Eltern haben. Die Zustimmung der Gleichaltrigen und Beziehungen sind für sie sehr wichtig; sie kleiden sich und handeln wie ihre Altersgenossen. Die Eltern haben weiterhin einen Einfluss auf Teenager in Bereichen wie Religiosität sowie Auswahl der Universität und Berufswahl.

Merkmale des allmählich erlangten Erwachsenenstatus: Der allmählich erlangte Erwachsenenstatus bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 18 Jahren und Mitte 20, in dem viele junge Leute in westlichen Kulturen keine Heranwachsenden mehr sind, aber noch keine vollständige Unabhängigkeit als Erwachsene erreicht haben. In dieser Zeit gehen viele junge Leute auf eine Hochschule oder zur Arbeit, leben jedoch weiterhin im Elternhaus. In den Vereinigten Staaten, aber auch in Deutschland verschiebt sich das Alter der ersten Heirat für Männer und Frau auf Mitte 20 und später.

 

Erwachsenenalter

Körperlichen Veränderungen im mittleren Erwachsenenalter: Muskelkraft, Reaktionszeit, sensorische Fähigkeiten und Herzleistung beginnen Ende 20 schlechter zu werden. Um die 50 Jahre beendet die Menopause bei den Frauen die Phase der Fruchtbarkeit, doch sie können weiterhin ein befriedigendes Sexualleben haben. Die meisten Frauen leiden während der Menopause nicht unter einer Depression oder unter anderen psychischen Problemen. Männer sind nicht einer ähnlich schroffen Veränderung ihres Hormonspiegels oder ihrer Fruchtbarkeit ausgesetzt.

Weltweit ist die Lebenserwartung von 49 Jahren Mitte des 20. Jahrhunderts auf 67 Jahre zu Beginn des 21. Jahrhunderts angestiegen; und in einigen entwickelten Ländern ist sie höher als 80 Jahre. Frauen leben länger als Männer, und in den meisten Altersgruppen nach der frühen Säuglingszeit gibt es mehr weibliche als männliche Wesen. Im späten Erwachsenenalter, vor allem nach dem Alter von 70 Jahren werden die Entfernungswahrnehmung und der Geruchssinn schlechter, wie dies auch für die Muskelkraft, die Reaktionszeit und die Ausdauer der Fall ist. In dem Maße, in dem das Immunsystem des Körpers schwächer wird, werden ältere Menschen auch anfällig für lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs und Lungenentzündung; doch kurz andauernde Leiden werden seltener. Die neuronalen Prozesse werden, vor allem bei komplexen Aufgaben, langsamer, und etwa mit 80 Jahren schrumpft das Gehirn um 5%. Körperliche Aktivität kann zur Entwicklung einiger neuer Hirnzellen und -verbindungen anregen. Mit dem Alter nimmt die Demenzhäufigkeit zu - einschließlich der fortschreitenden Verschlechterung durch die Alzheimer-Krankheit -, von Anfang 60 an mit einer Verdopplung der Rate alle 5 Jahre. Demenz ist ein normaler Bestandteil des Alterungsprozesses.

Die Fähigkeit, neue Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, nimmt im frühen und mittleren Erwachsenenalter ab, doch bezogen auf die Fähigkeit, solche Informationen zu erkennen, ist dies nicht der Fall. Ältere Erwachsene erkennen bedeutsame Informationen leichter als bedeutungslose Informationen, aber es kann bei ihnen länger dauern, die Wörter hervorzubringen, die beschreiben, was sie wissen. Das prospektive Gedächtnis (»Denk daran, dass ...«) bleibt weiterhin gut, wenn Hinweisreize zur Verfügung stehen, doch ohne Erinnerungshilfen, sind an Termine gebundene und gewohnheitsmäßige Aufgaben anfällig für Gedächtnisausfälle.

Querschnittstudien (Vergleich von Menschen unterschiedlichen Alters) deuten darauf hin, dass die Intelligenz nach dem frühen Erwachsenenalter gleichmäßig abnimmt. Doch bei diesen Forschungsarbeiten wurden die Generationsunterschiede in Bezug auf Bildung und andere Lebenserfahrungen nicht berücksichtigt. Längsschnittstudien (häufiger wiederholte Testung derselben Personen über einen längeren Zeitraum hinweg) geben Hinweise darauf, dass die Intelligenz bis zu einem sehr späten Zeitpunkt im Leben stabil ist. Doch ein Problem der Längsschnittuntersuchungen bestand darin, dass sie Personen nicht berücksichtigen konnten, die durch die Studien nicht mehr erfasst wurden, die weniger intelligent waren oder in einer ärmeren Umgebung lebten als die Überlebenden; dadurch blieb im späten Lebensalter eine Gruppe von Teilnehmern übrig, die über dem Durchschnitt lag. Die heutige Auffassung ist, dass die fluide Intelligenz (Fähigkeit, schnelle und abstrakte Schlussfolgerungen zu ziehen) nachlässt und die kristalline Intelligenz (angehäuftes Wissen und damit verbundene Fertigkeiten) stabil ist.

Psychologen haben ihre Zweifel, dass Erwachsene eine geordnete Abfolge altersabhängiger Stufen durchlaufen, von denen einige mit einer Zeit der Krise einhergehen, wie etwa der Midlifecrisis Anfang 40. Lebenskrisen werden gewöhnlich durch wichtige Ereignisse (wie eine Scheidung) oder durch zufällige Vorkommnisse (wie eine Begegnung mit dem künftigen Partner) ausgelöst und weniger durch vorhersagbare Stufen. Durch Stufen definierte Krisen setzen auch eine rigide zeitliche Abfolge sozialer Ereignisse voraus; und die Forschung zeigt, dass die soziale Uhr (kulturell festgelegte Vorschriften in Bezug auf den »richtigen Zeitpunkt« für solche Ereignisse) von einem Ort zum anderen und von einem Zeitpunkt zum anderen variiert.

Die Bedeutung von Liebe, Heirat und Kindern sowie Arbeit im Erwachsenenalter: Liebe und Arbeit sind die Themen, die das Erwachsenenleben bestimmen. Evolutionspsychologen sind der Auffassung, dass die Festlegung auf einem Partner für unsere Vorfahren einen Wert für das Überleben hatte. Denn die Eltern, die zusammenblieben, zusammenwirkten und Kinder bis zum Alter der Fortpflanzungsfähigkeit großzogen, hatten eine größere Chance, ihre Gene an die Nachwelt weiterzugeben. Die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung hat sich über die letzten 40 Jahre hinweg verdoppelt, teilweise weil die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen zugenommen hat und teilweise weil die Erwartungen von Frauen und Männern an akzeptable Eigenschaften eines Lebenspartners gestiegen sind. Zusammenleben vor der Heirat korreliert mit höheren Scheidungsraten und mehr Eheproblemen. Die meisten Menschen gehen immer noch davon aus, dass sie einmal heiraten werden, und diejenigen, die es tun, sind gewöhnlich glücklicher als ihre unverheirateten Pendants. Die Geburt eines Kindes ist normalerweise ein willkommenes Ereignis, aber es kann die materiellen und emotionalen Ressourcen eines Paares erschöpfen. Seinen beruflichen Weg zu finden, ist schwierig und erfordert Zeit, aber eine befriedigende Arbeit (die zu den eigenen Interessen passt und der Person eine Gefühl der Kompetenz und der Leistungsfähigkeit vermittelt) korreliert auch mit Lebenszufriedenheit.

Entwicklungstrends in Bezug auf die Lebenszufriedenheit bei Menschen: Das Wohlbefinden und das Gefühl der Zufriedenheit ist bei den Menschen über die Lebensspanne hinweg stabil. Wie Untersuchungen zeigen, sind, wenn wir älter werden, die Höhepunkte weniger großartig und die Tiefpunkte weniger niederschmetternd; doch das Durchschnittsniveau der Zufriedenheit bleibt gleich.

Reaktionen auf den Tod eines geliebten Menschen: Es gibt keine »normale« Reaktion oder Abfolge von Trauerstufen nach dem Tod eines geliebten Menschen. Die Trauer ist am schlimmsten, wenn der Tod plötzlich oder vor dem erwarteten Zeitpunkt eintritt, wie etwa beim Tod eines Kindes. Menschen, die im hohen Alter ein Gefühl der Integrität (um Eriksons Ausdruck zu verwenden) erreichen, treten vielleicht dem Tod entgegen, indem sie sich selbst versichern, dass ihr eigenes Leben einen Sinn hatte und lebenswert war.

 

Zwei wichtige Themen der Entwicklungspsychologie

Die Forscher, die die Entwicklung als einen langsamen kontinuierlichen Prozess ansehen, sind i. Allg. auch die, die Erfahrung und Lernen betonen. Forscher, die die biologische Reifung hervorheben, verstehen die Entwicklung als eine Abfolge von Schritten, die durch genetische Prädispositionen festgelegt sind. Die Stadientheorien von Piaget (kognitive Entwicklung) sowie die Stufentheorien von Kohlberg (moralische Entwicklung) und von Erikson (psychosoziale Entwicklung) wurden in der später Forschung modifiziert, aber alle drei Theorien haben die Psychologie insofern bereichert, als sie uns auf die Aspekte aufmerksam machten, in denen sich Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten der Lebensspanne unterscheiden. Die Forschung zeigt auch, dass die lebenslange Entwicklung sowohl durch Stabilität als auch durch Veränderung geprägt ist. Die Persönlichkeit wird in dem Maße, in dem Menschen älter werden, allmählich stabiler; aber aus den Persönlichkeitsmerkmalen eines Kleinkinds lassen sich nicht unbedingt die eines Erwachsenen vorhersagen. Ältere Kinder und Erwachsene verändern sich nämlich auch noch. Einige Persönlichkeitsmerkmale wie das Temperament sind stabiler als andere. Wenn man älter wird, verändert man sich möglicherweise in Beziehung zu seinem früheren Selbst, während man gleichzeitig seine charakteristischen Merkmale im Vergleich mit den Altersgenossen beibehält.

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