Kapitel 6 - Anforderungen an Beobachtungsprotokolle

Margrit Schreier

 

Beobachtungsprotokolle sollten die folgenden Anforderungen erfüllen (Wästerfors, 2018):

  • Sie sollten das Beobachtete möglichst detailliert wiedergeben. So ist es beispielsweise wenig ergiebig, wenn eine Person in einem Beobachtungsprotokoll als ‚schlecht gelaunt‘ beschrieben wird. Woran genau haben die Beobachter*innen die ‚schlechte Laune‘ erkannt? Vielleicht spielten dabei die Mimik und/oder die Gestik der beobachteten Person eine Rolle. Vielleicht fand ein Wortwechsel mit einer anderen Person statt, in der die ‚schlecht gelaunte‘ Person laut wurde; vielleicht hat sie die Interaktion auch vorzeitig abgebrochen. Solche Einzelheiten sollten im Protokoll beschrieben sein.
  • Das Protokoll sollte Ereignis- und Handlungssequenzen wiedergeben, nicht nur punktuelle Ereignisse und -handlungen. Die Bedeutung von Handlungen oder Ereignissen erschließen sich oft erst aus dem Kontext, und vorausgehende und nachfolgende Handlungen / Ereignisse stellen wichtige Aspekte dieses Kontextes dar.
  • Das Beobachtungsprotokoll sollte einen Eindruck von der jeweiligen Atmosphäre vermitteln. Dabei ist allerdings darauf zu achten, zwischen den eigentlichen Beobachtungen und den Interpretationen und Reflexionen der Beobachter*innen zu unterscheiden.

 

Beispiel

Aus der Praxis: Beobachtungsprotokoll

Die Tür, die vom Korridor in das Zimmer führte, öffnete sich. Ein Mann hielt für einen Moment an der Tür inne und kam dann auf Zehenspitzen herein (Er wirkte überrascht, als er die Tür öffnete, als hätte er nicht so viele Menschen erwartet. Ich hatte den Eindruck, dass er auf Zehenspitzen ging, um möglichst wenig Lärm zu machen. Er wirkte so, als wollte er sagen: Ich weiß, ich gehöre eigentlich nicht hierher.) Er war ungefähr 5 Fuß und 7 Inches groß und war tief gebräunt. Seine Haut sah ledrig aus. Seine Haare waren schwarz und nach hinten zurückgekämmt. Die Haare hatten ein paar graue Strähnen, und an der Stirn hatte er eine leichte Glatze. Er war dünn. Seine Kleidung war sauber, gebügelt und saß gut. Hinten an seinem Gürtel war ein Schlüsselring befestigt; daran hingen mehrere Schlüssel herunter. Er trug dunkelbraune Flanellhosen, die gerade fielen. Sein Gürtel war hellbraun, und er trug die Schnalle auf den Hüften. Sein Hemd war dunkelbraun kariert mit einer Knopfleiste. Seine Schuhe glänzten, und er trug eine Brille mit einem schwarzen Gestell. (Auszug aus einem Beobachtungsprotokoll; Taylor & Bogdan, 1998, S. 76; Übersetzung M. Sch.)

 

Literatur

Taylor, S. J. & Bogdan, R. (1998). Introduction to qualitative research methods: The search for meanings (3rd ed.). Wiley.

Wästerfors, D. (2018). Observations. In U. Flick (Ed.), The Sage handbook of qualitative data collection (S. 314-326). Sage.

 

 

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