Kapitel 6 - Das Interview: Epistemologische Perspektiven

Margrit Schreier

 

In der Literatur finden sich unterschiedliche Sichtweisen des Interviews, die mit je unterschiedlichen ontologischen und epistemologischen Positionen verbunden sind. Diese Sichtweisen werden hier in stark vereinfachter Form als zwei Gegenpole dargestellt:

  • Neo-positivistische Sichtweise: Dieser Auffassung zufolge wird das Interview als Prozess der Erfassung und Erhebung von Wissensbeständen verstanden. Demnach verfügen Personen unabhängig vom Prozess der Datenerhebung über Wissen, das es im Interview aufzudecken gilt – ähnlich wie ein Arbeiter im Bergwerk Kohle schürft. Brinkmann und Kvale verwenden hier die Metapher der Interviewer*innen als Bergarbeiter*innen (2018, Kap. 2).
  • Konstruktivistisch-interaktionistische Sichtweise: Dieser Sichtweise entsprechend wird Wissen im Prozess der Datenerhebung von Forscher*innen und Teilnehmer*innen interaktiv hergestellt. Wissen ist demnach immer situativ, (inter-)subjektiv und kontextgebunden. Brinkmann und Kvale vergleichen die Forscher*innen im Rahmen dieser Auffassung mit Reisenden, die sich gemeinsam mit den Teilnehmer*innen auf unbekanntes Terrain begeben.

 

Die jeweilige Sichtweise steht in engem Zusammenhang sowohl mit der Beurteilung der Qualität eines Interviews als auch mit der weiteren Auswertung. So macht es beispielsweise im Rahmen einer konstruktivistischen Sichtweise keinen Sinn, die Äußerungen von Teilnehmer*innen im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt zu beurteilen oder von Verzerrungen im Interviewverlauf zu sprechen. Zugleich gewinnt innerhalb einer konstruktivistischen Sichtweise die Reflexivität der Interviewer*innen an Bedeutung, denn nur so lässt sich die Ko-Konstruktion von Wissen seitens der Interviewer*innen bei der Analyse angemessen einbeziehen.

 

Literatur

Brinkmann, S. & Kvale, S. (2018). Doing interviews. Sage.

 

 

 

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