Kapitel 6 - Photo-Elicitation

Margrit Schreier

 

Die Photo-Elicitation gliedert sich in die folgenden Phasen (Rose, 2016):

  • Vorbereitung: Im Rahmen der Vorbereitung ist zu überlegen, ob die Teilnehmer*innen ihre eigenen Smartphones zum Fotografieren nutzen oder ob ihnen von Forscher*innen-Seite Kameras zur Verfügung gestellt werden (meist Einweg-Kameras).
  • Einführung in die Methode: In einem ersten Treffen werden die Teilnehmer*innen aufgefordert, zu einem bestimmten Thema eine bestimmte Anzahl Fotos aus ihrer eigenen Perspektive zu erstellen. In der Regel ist es an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es darum geht, was den Teilnehmer*innen wichtig ist – nicht darum, Fotos zu produzieren, die die Forscher*innen ‚interessant‘ oder ‚ästhetisch gelungen‘ finden. In diesem ersten Treffen sollten die Teilnehmer*innen auch in die Ethik des Fotografierens eingeführt werden. Dies bezieht sich vor allem darauf, dass die Teilnehmer*innen andere Personen nur mit deren ausdrücklichem Einverständnis fotografieren sollten; dies beinhaltet auch das Einverständnis dazu, dass die Fotos anschließend den Forscher*innen gezeigt und erläutert werden.
  • Anfertigen der Fotos: In dieser Phase machen die Teilnehmer*innen Fotos zu der vorgegebenen Thematik.
  • Drucken der Fotos: Wenn die Teilnehmer*innen ihre Fotos angefertigt haben, lassen die Forscher*innen die Fotos entwickeln und drucken. Idealerweise sollten die Forscher*innen die Bilder an die Teilnehmer*innen weiterleiten, ohne die Bilder zuvor angesehen zu haben. So haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, Fotos nachträglich auszusortieren.
  • Interviewphase: In der anschließenden Interviewphase erläutern die Teilnehmer*innen den Forscher*innen die Bedeutung der Bilder. Dafür eignen sich beispielweise Fragen wie „Was ist auf dem Foto zu sehen?“ oder „Weshalb haben Sie dieses Bild gemacht?“, „Was war Ihnen dabei wichtig?“. Weiterhin haben sich auch Fragen danach als fruchtbar erwiesen, was die Teilnehmer*innen zusätzlich noch fotografieren wollten, aber aus den verschiedensten Gründen doch nicht fotografiert haben. Auch Fragen nach dem Prozess des Fotografierens sind oft weiterführend.
  • Auswertung: Bei der Auswertung empfiehlt es sich, die Fotos und das Interviewmaterial zunächst getrennt zu betrachten und erst in einem anschließenden Schritt zusammenzuführen.

 

Beispiel

Die Rolle von Konsumartikeln für die Identität Jugendlicher

Croghan, Griffin, Hunter und Phoenix (2008) nutzten Photo-Elicitation, um die Rolle zu untersuchen, die Gebrauchsgüter im Rahmen der Identitätskonstruktion von Jugendlichen einnehmen. Sie verteilten Einwegkameras an 28 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren und baten sie, solche Konsumgüter zu fotografieren, die ihnen persönlich wichtig waren. Jede Kamera enthielt einen Film mit 24 Bildern. Im Anschluss an das Fotografieren führten die Forscher*innen Interviews mit den Jugendlichen durch, in denen sie danach fragten, weshalb sie die Bilder aufgenommen hatten und was die dargestellten Motive für sie bedeuteten.

Die Ergebnisse wiesen teilweise in erwartbare Richtungen. So zeigten die Fotos der Mädchen eher feminin konnotierte Situationen, wie beispielsweise Einkaufen oder Schminken gemeinsam mit Freundinnen, die Fotos der männlichen Jugendlichen eher maskulin konnotierte Situationen, etwa im Zusammenhang mit Sport. Auch verweist die Studie auf die wichtige Rolle, die Markennamen bei der Identitätskonstruktion zukommt. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass die Jugendlichen die Vorgaben der Forscher*innen teilweise uminterpretierten und an ihre eigenen Kontexte anpassten. So zeigte ein erheblicher Teil der Fotos nicht in erster Linie Konsumgüter, sondern Personen – was wiederum einen Hinweis auf die zentrale Rolle anderer Personen und sozialer Situationen für die Identitätskonstruktion Jugendlicher darstellt.

 

Die Methode der Photo-Elicitation ermöglicht es, ein Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und unterschiedliche Datenarten dazu zu erheben. In der Interviewphase wird durch die Fotos ein vertiefter und oft auch emotionalerer Zugang zu dem Forschungsthema möglich als allein auf der Grundlage eines Interviews. Die Äußerungen im Interview enthalten mehr konkrete Informationen, und die Fotos können dazu dienen, Erinnerungsprozesse anzuregen. Aufgrund des niedrigschwelligen Zugangs lassen sich leichter Personen für die Teilnahme gewinnen als bei Verwendung anderer, voraussetzungsvollerer Erhebungsmethoden. Aus demselben Grund eignet sich Photo-Elicitation besonders gut für die Verwendung im Rahmen partizipativer Ansätze, wie dies auch an der Adaptation der Photo-Elicitation zur Photovoice sichtbar wird.

Allerdings stellen sich bei der Nutzung von Photo-Elicitation eine Reihe ethischer Probleme, wie sie für die Nutzung von visuellem Material wie Fotos und Videos generell typisch sind. So ist es bei Fotos schwierig, dem Grundsatz der Anonymisierung gerecht zu werden. Um eine Anonymisierung von Personen sicherzustellen, die auf Fotos abgebildet sind, ist eine Verfremdung der Fotos erforderlich – die aber möglicherweise wiederum in Konflikt mit dem Forschungszweck steht. Wie bereits erwähnt, ist zudem nicht nur die Einwilligung der Teilnehmer*innen in die Untersuchung einzuholen, sondern auch die Einwilligung der abgebildeten Personen. Dabei ist weiterhin zu berücksichtigen, worauf deren Einwilligung sich genau bezieht. Schließt sie beispielsweise auch die Abbildung in einem wissenschaftlichen Artikel ein? Außerdem ist bei einer Publikation der Ergebnisse zu bedenken, dass das Copyright für die Fotos bei der Person liegt, die das Foto erstellt hat, also bei den Untersuchungsteilnehmer*innen – nicht bei den Forscher*innen.

 

Literatur

Croghan, R., Griffin, C., Hunter,J. & Phoenix, A. (2008). Young people's constructions of self: Notes on the use and analysis of the photo‐elicitation methods. International Journal of Social Research Methodology, 11(4), 345-356.

Rose, G. (2016). Making images as research data: Photo-documentation and photo-elicitation. In dies., Visual methodologies (4. Aufl., S. 307-329). Sage.

 

 

 

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