Kapitel 5 - Unterschiedliche Ansätze in der Phänomenologie

Margrit Schreier

 

Die Art und Weise, wie wir in der Lebenswelt Phänomene hervorbringen, wird in den verschiedenen phänomenologischen Traditionen je unterschiedlich gesehen. Entsprechend unterschiedlich gestalten sich auch die Vorgehensweisen und das Ziel phänomenologischer Untersuchungen in den verschiedenen Traditionen.

Nach Husserl erfolgt das Hervorbringen von Phänomenen in unserem Bewusstsein dadurch, dass wir uns etwas bewusst sind. Ziel einer phänomenologischen Analyse nach Husserl ist die Identifikation der Essenz eines Phänomens, und zwar mittels einer reinen Beschreibung invarianter Eigenschaften des Phänomens über verschiedene Kontexte hinweg. Ein wichtiges Instrument zu diesem Zweck ist die sog. Reduktion, das Einklammern von Vorannahmen und Vorwissen. Eine solche Reduktion vollzieht sich in mehreren, zunehmend umfassenderen Schritten und schließt bei Husserl auch die transzendentale Reduktion ein, was sich grob als Einklammern der Annahme über die Existenz der Dinge selbst beschreiben lässt. Ein neuerer Ansatz, der sich an der Husserl’schen Tradition orientiert, ist beispielsweise die deskriptive Phänomenologie von Giorgi (2009).

Während Husserl den Schwerpunkt bei der Hervorbringung von Phänomenen auf das Bewusstsein legt, betont Heidegger die Rolle der Lebenswelt. Entsprechend geht es für ihn bei der Analyse von Phänomenen nicht darum, Kontexte einzuklammern, sondern sie in die Analyse einzubeziehen. Die Analyse ist nach Heidegger nicht rein deskriptiv, sondern beinhaltet immer auch Interpretation. An dieser Stelle sieht Heidegger die Relevanz einer hermeneutischen Vorgehensweise für die Phänomenologie. Ein neuerer Ansatz, der die Phänomenologie in der Heidegger‘schen Tradition weiterführt, ist beispielsweise die interpretative Phänomenologie von Van Manen (2014).

In neueren Ansätzen werden zunehmend der dynamische Charakter von Phänomenen und ihre soziale Konstituiertheit berücksichtigt; dabei werden methodologisch sowohl Elemente der deskriptiven Tradition Husserls als auch der interpretativen Tradition Heideggers aufgegriffen. Hierzu zählen u.a. der reflexive Ansatz von Dahlberg, Dahlberg und Nystrom (2008) sowie der post-strukturalistische Ansatz von Vagle (2018). Weitere relevante Ansätze sind u.a. die interpretative phänomenologische Analyse von Smith (Smith, Flower & Larkin, 2009) und die heuristische Tradition nach Moustakas (1990).

 

Literatur

Dahlberg, K., Dahlberg, H. & Nystrom, M. (2008). Reflective lifeworld research (2nd ed.). Studentlitteratur.

Giorgi, A. (2009). The descriptive phenomenological method in psychology: A modified Husserlian approach. Duquesne University Press.

Moustakas, C. (1990). Heuristic research: Designs, methodology, and applications. Sage.

Smith, J. A., Flower, P. & Larkin, M. (2009). Interpretive phenomenological analysis: Theory, method and research. Sage.

Vagle, M. D. (2018). Crafting phenomenological research (2nd ed.). Routledge.

Van Manen, M. (2014). Phenomenology of practice: Meaning-giving methods in phenomenological research and writing. Left Coast Press.

 

 

 

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