Kapitel 7 - Untersuchungsbeispiel Dokumentarische Methode:
Doing und Undoing Gender durch muslimische Frauen in Österreich und Deutschland

Margrit Schreier

 

In ihrer Studie über Doing und Undoing Gender sowohl auf der konzeptuellen als auch der handlungspraktischen Ebene führte Volkmann offene Interviews mit 28 Frauen mit muslimischem Hintergrund in Deutschland und Österreich durch (2018). Dabei legte sie den Schwerpunkt auf drei Bereiche, in denen Gender von zentraler Bedeutung ist: Einkommenserwerb, Mutterschaft sowie Zugehörigkeit zu abstrakten Gruppen (z.B. eine Religionsgemeinschaft); dieser letztere Aspekt erwies sich induktiv als relevant. Von diesen 28 wertete sie ein besonders ‚dichtes‘ Sample von 11 Interviews mit der dokumentarischen Methode aus. Die Frauen unterschieden sich im Hinblick auf Alter, ethnischen Hintergrund, Religiosität und Ausbildungsstand.

Eine sinngenetische Typenbildung für den Bereich der Mutterschaft ergab vier Typen: (1) Mutterschaft als Selbstverständlichkeit; (2) Idealisierung von Mutterschaft als Mittel zum Statusgewinn; (3) strategische Mutterschaft; und (4) Vermeidung von Mutterschaft. Für Frauen des Typs (1) stellt es eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit dar, dass sie Kinder haben werden. Mit dieser Erwartung gehen zugleich auch normative Annahmen über die Rolle der Mutter bei der Versorgung und Erziehung der Kinder einher. Auch für Frauen des Typs (2) stellt Mutterschaft eine Selbstverständlichkeit dar. Allerdings sehen Frauen des Typs (2) Mutterschaft eher als Aufgabe an (begründet in biologischen Aspekten des Frau-Seins), die sich mit anderen Aufgaben – wie etwa bezahlter Arbeit – vereinbaren lässt. Frauen, die dem strategischen Typ (3) zuzuordnen sind, bewerten sowohl Mutterschaft als auch berufliche Tätigkeit als gleichermaßen wichtig; Mutterschaft ist hier eine Frage der freien Entscheidung. Frauen des Typs (4) schließlich erleben die sozialen Normen und die daraus erwachsenden Anforderungen an Mütter als eine Überforderung. Sie tendieren dazu, Mutterschaft als etwas zu sehen, was ihnen geschieht, was nicht in ihrem Ermessensspielraum liegt, und womit sie sich letztlich alleine gelassen fühlen.

Eine vollständige soziogenetische Analyse war in der vorliegenden Studie aufgrund der begrenzten Fallanzahl nicht möglich. Volkmann nahm daher lediglich eine sog. relationale Typenbildung vor, d.h. sie analysierte das milieuspezifische Verhältnis der Typen untereinander, ohne im Einzelnen deren Genese nachzuzeichnen. Diese relationale Analyse ergab beispielsweise, dass Frauen des Typs (1) eher einer älteren Generation angehören (50 und darüber), eher viele Kinder haben (5 und mehr), nur über eine geringe Schulbildung verfügen, sämtlich religiös sind und alle ihren Ehemännern nach Österreich oder Deutschland gefolgt sind. Aufgrund ihrer zentralen Rolle in der Familie in Kombination mit ihrem eher geringen Bildungsstand bieten sich ihnen in dem neuen Land praktisch keine Möglichkeiten für soziale Interaktionen außerhalb ihrer muslimischen und muttersprachlichen Gemeinschaften; entsprechend bleiben sie stark den Normen dieser Gemeinschaften verhaftet.

 

Literatur

Volkmann, C. (2018). Muslim women in Austria and Germany doing and undoing gender. Springer VS.

 

 

 

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